Herr Kastner, seit Sommer sind sie Geschäftsführer von Endemol Shine Germany. Sie kennen das TV-Geschäft aus vielen Jahren bei Discovery und Viacom - jetzt aber erstmals auf Produzentenseite. War es nun eine Rückkehr auf gewohntes Terrain oder Neuland für Sie?

Beides. Ich kenne das Fernsehgeschäft von Sender- und Vermarkterseite genauso wie aus Sicht der Agenturen. Eigentlich bin ich in meiner beruflichen Laufbahn schon von allen Seiten um den Kern herumgekreist und jetzt endlich dort angekommen, wo alles anfängt: Bei den Inhalten. Die Arbeit bei Endemol Shine Germany macht wirklich großen Spaß, die Firma hat eine sehr gute DNA. Und unser Team hat mir schnell das Gefühl gegeben, angekommen zu sein. In den ersten Wochen bestand meine Aufgabe auf neuem Terrain zunächst natürlich darin, gut zuzuhören.


 
Sie haben sich in den ersten Monaten auch ihren Kunden, den Sendern vorgestellt. Was haben sie aus diesen Gesprächen mitgenommen?

Der Hunger nach Inhalten und die Lust gemeinsam Neues zu entwickeln ist groß. Ich freue mich, dass Endemol Shine in Deutschland so einen hervorragenden Ruf genießt und mir persönlich viel Interesse entgegengebracht wurde. Außerdem war es beeindruckend zu sehen, dass eigentlich jeder Zweite in der Branche irgendwann schon einmal für Endemol gearbeitet hat.
 
Das klingt so harmonisch - wäre da nicht der Verlust von Florida TV, die Einstellung von „Akte“ und damit verbunden auch das Aus von Meta Productions. Mit Verlaub: Das klingt nicht nach einem idealen Start…

Ich habe bei einem bekannten Medienmagazin auch schon gelesen, das seien bittere Pillen (lacht). Also, lassen Sie mich mit der Florida TV anfangen. Dazu drei Dinge: Zunächst einmal ist der Verlust von Florida TV für mich, wenn ich mir das nach der kurzen Zeit erlauben kann zu sagen, menschlich sehr schade. Das Team dort, allen voran Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, besteht aus richtig guten Typen. Ich habe die beiden erst dieses Jahr kennengelernt und gleich einen guten Eindruck gehabt – professionell genauso wie persönlich. Allein deswegen hätte ich mich gefreut, wenn wir in der bisherigen Konstellation weitergemacht hätten. Das ist die persönliche Sicht der Dinge. Zweitens: Professionell gesehen ist es eine saubere Trennung nach guten gemeinsamen Jahren, die aus deren Sicht sicher auch Sinn machen kann. Da gibt es keinen Groll zwischen uns. Und Drittens: Die Außenwirkung dieser Trennung ist deutlich größer als sie kaufmännisch für Endemol Shine Germany tatsächlich ist. Das Aus von Florida TV ist für uns verkraftbar.
 
Jetzt war Florida TV vom Genre her ohnehin näher am Kerngeschäft dran. Der Verlust des Produktionsauftrags der „Akte“ hat jetzt auch zum Aus für Meta Productions geführt. Damit verliert Endemol Shine Germany eine mit Infotainment eher komplementär aufgestellte Tochter. Trifft Sie das härter?

Eine 25 Jahre alte Marke wie die „Akte“ zu verlieren, ist weiß Gott kein Spaß. Wenn hinter der Entscheidung aber eine übergeordnete Strategie der ProSiebenSat.1 TV Deutschland steht, wieder mehr inhouse zu produzieren, kann ich das respektieren. Nach intensiven Gesprächen mit der Meta-Geschäftsführung haben wir uns dazu entschlossen, die Meta Productions leider schließen zu müssen. Infotainment war aber schon immer ein spannendes Genre für Endemol Shine. So wurden z.B. die ersten Staffeln von „Achtung Abzocke“ schon vor Jahren in Köln produziert. Wir werden dieses Genre und unsere journalistische Kompetenz um das Team von Rainer Laux auch in Zukunft weiter ausbauen.
 
Das Aus für Florida TV und Meta Productions haben Sie also nicht aus der Bahn geworfen?

Nein, natürlich nicht. Auf die Dinge, die in den vergangenen Wochen passiert sind, konnte ich nur noch bedingt Einfluss nehmen -  aber es spielt unserer neuen Strategie bei Endemol Shine Germany durchaus in die Hände. Wir werden zukünftig den Fokus noch mehr auf organisches Wachstum legen. Mit neuen Staffeln und Erfolgen von Formaten wie "Big Bounce", "Kitchen Impossible", "Zahltag", "The Wall", "Showdown", "6 Mütter", "Hot oder Schrott", "Beat the Box", "Vermisst", "Julia Leischik sucht: Bitte melde dich", "MasterChef" oder der Comedy-Produktion für Netflix, haben wir die Weichen für mehr Wachstum schon längst gestellt. Ganz zu schweigen von dem diesjährigen Erfolg von "Promi Big Brother" und dem weiterhin sehr starken "Wer wird Millionär?".
 
Passt das im April 2017 gegründete Joint Venture mit Judith Rakers noch in Ihre neue Strategie der Fokussierung? Man hat bislang ohnehin nicht viel gehört davon…

Die vergangenen Wochen waren durchaus von vielen Entscheidungen geprägt, so dass es einzelne Themen gibt, zu denen ich seit meinem Amtsantritt hier noch nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit gekommen bin. Grundsätzlich möchte ich aber festhalten: Ich bin dann ein Freund von Partnerschaften, wenn sie für beide Seiten Sinn machen.
 
Endemol Shine Germany ist weitgehend non-fiktional unterwegs, daher nehme ich an, dass ihre Zusammenarbeit mit Wiedemann & Berg für Sie durchaus Sinn macht?

Weil wir mit Endemol Shine Germany in Deutschland sehr stark non-fiktional aufgestellt sind, wir aber auch international großen Wert auf das fiktionale Geschäft legen, bin ich sehr froh über unsere Perle der fiktionalen Unterhaltung - die Zusammenarbeit mit Wiedemann & Berg. Max und Quirin machen hervorragende Arbeit. Wir freuen uns beispielsweise sehr, mit „Tribes of Europa“ nun schon das zweite Netflix Original produzieren zu können. Und um auf den immer internationaleren Wettbewerb der fiktionalen Unterhaltung zu reagieren, werden wir Wiedemann & Berg auch mit unseren internationalen Endemol Shine-Kollegen noch besser vernetzen. Von der Expertise und enormen Kreativität der beiden können wir nicht nur in Deutschland profitieren.

"Die Beyond hat auch intern eine wichtige Schlüsselrolle beim Verständnis neuer Zielgruppenansprachen und damit der Weiterentwicklung unseres Kerngeschäfts."

Aber insgesamt scheint die Begeisterung, Talente mit eigenen Firmen an sich zu binden, vorbei zu sein…

Persönlichkeiten an sich zu binden, in dem man eine Firma um sie herum baut, kann dann funktionieren, wenn man ein solches Joint Venture auch intensiv pflegt. Dieses Modell hat aber auch nicht Endemol Shine erfunden, sondern ist seit den 90ern üblich. Die gemeinsame Firmengründung ist aber nur der erste Schritt, es kommt darauf an, was man in der Folge daraus macht, d.h. wie intensiv und konsequent man mit den Künstlern zusammenarbeitet und sie auf ihrem Weg unterstützt.
 
Seit Wochen spekuliert die Branche, wer wohl Endemol Shine kaufen wird. Der Verkaufsprozess zieht sich in die Länge. Tangiert Sie die Ungewissheit im Tagesgeschäft?

Also bei der MIPCOM in Cannes hat das Thema auf jeden Fall für Gesprächsstoff gesorgt (lacht). Ich bin in meiner Vergangenheit schon häufiger durch solche Phasen gegangen. Man lernt dabei, sich von Gerüchten nicht beeinflussen zu lassen und sich auf das eigentliche Geschäft zu konzentrieren.
 
Reden wir über Endemol Shine Beyond. Welchen Stellenwert hat das Unternehmen in Ihrer Strategie?

Wenn Sie sich meine Vita anschauen, dann war ich ja schon immer etwas „beyond“ unterwegs. Branded Entertainment jenseits von TKPs und 30-Sekünder lag mir immer schon sehr am Herzen und ich freue mich, dass Endemol Shine Beyond nicht nur profitabel ist, sondern für uns als Türöffner zu neuen Themen und Kunden funktioniert. Die Budgets für Branded Entertainment und digitales Storytelling wachsen aber oft stehen Aufwand und Ertrag noch nicht im richtigen Verhältnis. Von dieser Herausforderung abgesehen, hat die Beyond aber auch intern eine wichtige Schlüsselrolle beim Verständnis neuer Zielgruppenansprachen und damit der Weiterentwicklung unseres Kerngeschäfts.
 
Branded Entertainment ist nun schon fast ein alter Hut, aber konstante Geschäftsmodelle haben sich daraus in der Tat selten etabliert.

Und das nach fast 20 Jahren! Eigentlich sind sich alle einig, dass in unserer immer stärker fragmentierten und übersättigten Medienlandschaft subtilere Markenbotschaften vonnöten sind. Branded Content ist da sicher eine gute Antwort. Aber solange sich Sender, Vermarkter, Agenturen und Produzenten uneinig sind und gegenseitig behindern, verunsichern wir nicht nur die Werbetreibenden, sondern drücken auch die Preise für diese komplexe Werbeform. Es herrscht meines Erachtens Konsens, wie ein wachsender Teil der Bewegtbildwerbung in wenigen Jahren aussehen wird, nämlich integriert. Aber der Weg dorthin ist noch immer unklar. Ich glaube, wenn die Branche ihre jeweiligen Silos verlässt und an einem Tisch zusammenkommt, steckt großes kreatives und wirtschaftliches Potenzial in dem Thema.
 
Herr Kastner, herzlichen Dank für das Gespräch.