Als "Berlin – Tag & Nacht" und "Köln 50667" gestartet sind, war Facebook ein wichtiger Treiber für die Formate. Hat sich das verändert?

Dies ist sehr formatabhängig, eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht. Richtig ist, dass wir und andere durch die Veränderungen im Facebook-Algorithmus Reichweitenverluste hinnehmen mussten. Dazu kommt, dass Facebook bei den 14- bis 19-Jährigen nicht mehr die Plattform ihrer Wahl ist, sondern eher Instagram und TikTok. Im Falle von "Krass Schule" haben wir uns wegen der sehr jungen Ausrichtung klar gegen Facebook und für Instagram entschieden. Auch die zweite Staffel von "Love Island", die sowohl linear als auch bei den digitalen Kanälen klar erfolgreicher war als die erste, funktionierte bei Facebook weniger gut. Doch auch ohne Facebook spielt Social Media eine zentrale Rolle bei der Content-Distribution, weil sich auf diese Weise Viralität schaffen lässt. Die braucht es, damit sich die Nutzer aktiv mit dem Content auseinandersetzen. Je nach Format entscheiden wir immer wieder aufs Neue, auf welche Social-Media-Plattform wir gehen. Auch hier geht es letzten Endes darum, die User zu RTL II oder zu TV Now zu führen.  

Dennoch begeben Sie sich in das Gutdünken angloamerikanischer Player und stehen im Zweifel blöd da, wenn die ihren Algorithmus ändern. 

Das ist der Grund, weshalb wir mit unseren Daten-Analysten die Plattform-Algorithmen permanent überwachen und zu verstehen versuchen. Dann können wir Rückschlüsse ziehen und faktenbasiert entscheiden, wie und auf welchen Kanälen wir unsere Inhalte anbieten. 

"Fernsehen ist nicht mehr im gleichen Maße ein Bauchgeschäft wie früher."
Julian Krietsch

Früher gab es nur eine Quote und am nächsten Tag haben sich alle an einer Deutung versucht. Heute stehen im Netz viel mehr Daten zur Verfügung. Geben die zusätzlichen Daten mehr Klarheit oder auch neue Fragen?

Natürlich gibt es immer mal wieder erfolglose Formate, von denen wir annehmen, dass es vielleicht nur am Sendeplatz liegt – und wir dann feststellen, dass sie auch digital keine Rolle spielen. Das ist dann ein Indiz, dass es womöglich doch am Format selbst liegt. (lacht) Fernsehen ist nicht mehr im gleichen Maße ein Bauchgeschäft wie früher. Wir haben jetzt neue Indikatoren in der Hand, mithilfe derer wir Inhalte bewerten und verbessern können. Wir arbeiten und entscheiden mehr und mehr datengetrieben. 

Könnte der Shift hin zur non-linearen Nutzung auf absehbare Zeit zum Problem für RTL II werden?

Lineares TV wird auch in den nächsten Jahren beherrschende Nutzungsform bleiben. Bei den Streaming-Plattformen ist das Angebot mittlerweile so riesig, dass es kaum mehr zu bewältigen ist. Ich persönlich brauche den "social EPG", Empfehlungen von Freunden, um zu entscheiden, was ich mir dort anschaue. Die Angabe von Netflix, dass eine Serie zu 99 Prozent mit meinen Interessen übereinstimmt, ist keine Hilfe. Lineare Nutzung ist dagegen bequem, sie entspannt. Das Bedürfnis sich einfach zurückzulehnen wird bleiben. Ich denke, dass die Menschen langfristig verstärkt personalisierte individuelle lineare Streams nutzen. Der lineare Content wird automatisch selektiert, er ist komplett auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt.  

Finanziell wichtig: Wird der Weg hin ins Digitale eigentlich von den Werbekunden mitgegangen?

Das ist eine große Herausforderung, aber ich bin zuversichtlich. Multi-Channel ist ein überzeugendes Verkaufsargument. Wir aggregieren auf diese Weise viel Reichweite in verschiedenen Zielgruppen. Das erleichtert die Mediaplanung und das können so nur die TV-Sender bieten. Das Interesse der Werbekunden an unseren Inhalten bei TV Nowund YouTube ist groß. Werbeflächen im Video-on-Demand-Markt sind zunehmend ein knappes Gut, gerade weil die Werbeakzeptanz durch Player wie Amazon und Netflix nachlässt. Mittlerweile ist die Hälfte der weltweiten Videonutzung werbefrei. Genau das ist der Grund, weshalb wir SVoD, also den Premium-Bereich bei TV Now, sehr forcieren und seit einigen Monaten unter anderem Pre-TV anbieten. Die Folgen unserer Soaps sind seither drei Tage vor der eigentlichen Ausstrahlung verfügbar. Parallel dazu optimieren wir im Sinne unserer Kunden die bestehenden, werbefinanzierten Angebote. 

Julian Krietsch© RTL II

Aber reicht das, um mit dem Angebot bestehen zu können?

Die Mischung macht’s. Bei TV Now setzen wir auf "windowing", also den differenzierten Einsatz von Verwertungsfenstern. Neben Pre-TV haben wir im vergangenen Jahr erstmals mit Online-First-Ausstrahlungen agiert. Das wollen wir 2019 noch einmal verstärken. Gleichzeitig haben wir unsere Catch-up-Fenster zuletzt gezielt verkürzt und etwa "Love Island" nach der Ausstrahlung nicht mehr 30 Tage lang kostenlos zum Abruf bereitgestellt, sondern nur noch sieben Tage. Auch durch solche Schritte lässt sich der Pay-Bereich aufwerten. Die Zahl der Videoviews von RTL-II-Content bei TV Now ist 2018 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 50 Prozent gestiegen. Wir sind also auf einem guten Weg. 

Sind denn perspektivisch auch Online-Originals von RTL II denkbar?

Damit haben wir bereits begonnen. RTL II ist inzwischen das zweitgrößte Medienhaus Deutschlands bei YouTube, und unser "Grip"-Channel gehört zu den drei erfolgreichsten Automotive-Channels. Dort veröffentlichen wir inzwischen wöchentlich Originals mit einer Länge von zehn bis 15 Minuten. Dadurch können wir Inhalte zeigen, die genau auf die Interessen der User auf YouTube zugeschnitten sind, und uns auf den Feldern Branded Entertainment und Placements ausprobieren. Ein erster Kunde ist hier Koch Media Games mit DIRT Rally 2.0. Zielgruppe junge Männer also, die begehrteste im Werbemarkt. 

Jetzt haben wir über TV Now und zahlreiche Plattformen gesprochen. Aber welchen Zweck erfüllt eigentlich noch die klassische Sender-Website? 

Das ist ein weiterer, bedeutender Touchpoint. Wir werden unsere rtl2.de in diesem Jahr einem Relaunch unterziehen und uns auch dort noch stärker auf Video-Inhalte konzentrieren. Die Website ist deshalb wichtig, weil wir hier gezielt User ansprechen können, die über die Online-Suche zu uns kommen. Auch rtl2.de dient damit gewissermaßen als Einfallstor für TV Now. Daneben wollen wir 2019 unsere Soap-Apps auf Basis der App zu "Love Island" relaunchen. Der Erfolg dieser App mit bisher über 500.000 Downloads hat uns in dem Vorhaben bestärkt. Durch die nahtlose Integration von TV Now können die Nutzer dann direkt ganze Episoden anschauen. Wir wollen es ihnen so einfach wie möglich machen.  

Herr Krietsch, vielen Dank für das Gespräch.