Auf welche Genres schauen Sie denn besonders? Quiz-Sendungen sind derzeit sehr beliebt, im Ersten ist es "Wer weiß denn sowas?" und bei ServusTV läuft "Quizmaster" sehr gut.

Wir sehen am Markt, dass es einige Formate gibt, die am Vorabend gut funktionieren. Es gibt einen Boom im Bereich Kunst und Krempel, es gibt "Galileo" und diverse Quiz-Formate. Das heißt jetzt nicht, dass wir das machen werden. Aber es gibt durchaus Genres, die gut in den Vorabend hineinpassen würden, und die wir bislang noch nicht im Programm haben.

Wo sehen Sie weitere Baustellen im Programm?

ORF eins ist ein Haus, das auf einem sehr guten Fundament steht, jedoch einige Zimmer mit Renovierungsbedarf hat. Es gibt meines Wissens nach keinen öffentlich-rechtlichen Vollkanal, der in der jungen Zielgruppe und in den Sinus Milieus wie sie ORF eins hat, einen derartigen Marktanteil hat. Auch bei den 12- bis 29-Jährigen sind wir sehr stark. Eine Baustelle ist für mich jedes Format zwischen 18 und 22 Uhr, das nicht österreichisch ist. Diese österreichische Programmierung ist nicht nur für ORF eins sondern für den gesamten ORF fundamental wichtig. Wir wissen seit der Untersuchung von Fehr Advice, dass sich die österreichische Bevölkerung nach Ö3 am stärksten mit ORF eins identifiziert. Diese Beziehung der Österreicher gilt es mit den richtigen Programmen weiter zu stärken.

Wie finanzieren Sie diese ganzen neuen Produktionen?

Wir haben bei ORF eins etwa 83 Prozent gebundenes Budget. Da geht es um Lizenzen für Serien und Filme oder auch Sportrechte die teilweise über mehrere Jahre laufen. Der Beton ist also schon angerührt, den habe ich als Bauherrin übernommen und Schritt für Schritt reduziere ich den Anteil des gebundenen Budgets. Dann gibt es flexibles Budget, darunter fällt unter anderem die Dienstagnacht mit "Willkommen Österreich". An dieser Programmierung werde ich aber nichts ändern, also ist das eigentlich auch gebunden. Wir haben nun die große Herausforderung genau zu schauen, wo wir investieren und was gleichzeitig zurückgefahren werden kann, um Ressourcen für Neues freizubekommen.

In Österreich mischt die Politik beim ORF viel mit, gefühlt auch viel mehr als in Deutschland. Derzeit wird an einem neuen ORF-Gesetz gearbeitet, immer wieder beschweren sich Politiker, weil sie angeblich ungerecht behandelt wurden. Warum ist das in Österreich so ausgeprägt?

Ich habe mehrmals längere Zeit in der Nachrichtenredaktion des ZDF und auch der ARD verbracht. Das nimmt dort vielleicht andere Form an, aber ich würde mich nicht trauen zu sagen, ob das mehr oder weniger ist als hierzulande. Ich finde auch nicht, dass das der relevante Faktor ist. Für die Bürger ist es zentral, dass ihr öffentlich-rechtlicher Rundfunk unabhängig und objektiv ist mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert, wertschätzend und nicht überheblich daherkommt. Wir als ORF müssen alles dafür tun, dass wir auch so sind und so wahrgenommen werden. Für uns haben die Bürgerinnen und Bürger im Fokus zu stehen, nicht die Politik.

"Eine Baustelle ist für mich jedes Format zwischen 18 und 22 Uhr, das nicht österreichisch ist."

Kann der ORF denn auch künftig unabhängig und objektiv sein, wenn die Finanzierung umgestellt werden würde? Die FPÖ will ja zum Beispiel eine Finanzierung aus dem Staatsbudget heraus und keine Gebühren mehr.

Grundsätzlich haben wir als ORF immer die Möglichkeit, unabhängig zu sein. Es liegt an uns, nicht nur an der Herkunft der Finanzmittel. Unabhängigkeit kann mit einem Gebührensystem gut funktionieren oder mit einer Budgetfinanzierung. Letztere birgt aber in ihrer Unmittelbarkeit ein höheres Risiko, die Verlockung, Druck auf den ORF auszuüben, ist mutmaßlich eine höhere. Wenn Sie mich fragen, würde ich mich für das bewährte Gebührenmodell entscheiden. Damit ist Österreich bislang gut gefahren.

In einigen Ländern Europas wird gerade diskutiert ob Rundfunkgebühren überhaupt noch zeitgemäß sind.

Ich denke, dass die Frage falsch gestellt wird und lauten sollte: Was kann der ORF ermöglichen, das einer breiten Mehrheit so wichtig ist, dass sie dazu etwas beitragen möchte. Wie gestalten wir unser Programm, dass sich die Menschen hinter den ORF stellen, weil er ihnen als Institution in diesem Land wichtig ist. Einige Dinge, die klar von uns erwartet werden, wie etwa die Nähe und Zugänglichkeit in der Region oder das spezifisch "österreichische" in Sprache und Programm, erfüllen wir bereits sehr gut. Aber reicht das aus? Als Ergebnis der breit angelegten Untersuchung von Fehr Advice haben wir die Treiber der ORF-Identität klar vor uns und sehen auch den notwendigen Handlungsbedarf:  Die Menschen in Österreich erwarten einen glaubwürdigen, unabhängigen ORF, der mit ihnen in Dialog tritt, der ihnen Orientierung in unsicheren Zeiten gibt und der für die Vielfalt Österreichs steht. Es geht auch darum Meinungsvielfalt zuzulassen, um einen sparsamen Umgang mit Ressourcen aber auch um einen ehrlichen Umgang mit Fehlern. Wenn wir diese Beziehungsarbeit mit der Bevölkerung konsequent umsetzen, dann wird es uns gelingen, dass sich die Menschen für einen solchen ORF stark machen, der selbstverständlich auf den Beitrag aller Menschen angewiesen ist.

Es ist ja immer von Freundeskreisen die Rede und davon, dass man viele Mitarbeiter des ORF einem politischen Spektrum zuordnen kann. Sie werden der ÖVP zugerechnet. Wieso?

Das ist eine sehr österreichische Eigenheit, hierzulande muss jeder in eine Schublade gesteckt werden. Wenn jemand in keiner ist, bockt das eingelernte Koordinatensystem und dann bekommt die Person erst einmal einen Stempel aufgedrückt. Da geht es nicht nur um den ORF, sondern um alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei öffentlichen Institutionen. Für mich ist das nicht ausschlaggebend. Es hat uns egal zu sein, wo die Menschen bei den Wahlen ihre Kreuze machen. Es kommt darauf an, welche Geschichten wir machen. Und bei Führungskräften: welche Leute wir in den Sender holen. Am Tun zeigt sich, ob eine Zurechnung zu Recht besteht oder nur "fake folklore" ist. Deswegen beschäftige ich mich damit nicht mehr und ärgere mich auch nicht, wenn das irgendwo steht. Relevant ist das, was ich tue. Das sind die "hard facts" an denen wir einander messen sollten.

Aber ist es nicht problematisch, wenn auch nur der Eindruck entsteht, das bestimmte Personen aus dem ORF einem gewissen politischen Lager zuzuordnen sind?

Natürlich ist das problematisch, wenn solche Eindrücke aufgestempelt werden. Ich finde es nicht gut und das ist auch der Grund, weshalb uns Bürger als abhängig wahrnehmen. Ich möchte in einem unabhängigen ORF tätig sein. und viel lieber an seiner Zukunftsfähigkeit arbeiten, als Zeit damit zubringen solche Zuschreibungen zu entkräften.

"Unabhängigkeit kann mit einem Gebührensystem gut funktionieren oder mit einer Budgetfinanzierung."

Zuletzt konnte man diversen Medien entnehmen, dass Sie nach einer möglichen ORF-Reform Vorsitzende einer wie auch immer aussehenden Geschäftsführung sein könnten. Stehen Sie dafür zur Verfügung?

Das habe ich auch schon gelesen, und nicht nur einmal. Wieder so eine Zuschreibung, die uns aber nicht vom wesentlichen abhalten soll: Gutes Programm für unser Publikum machen, damit unsere wahrgenommene Unabhängigkeit erhöhen und durch verstärkten Zuspruch des Publikums unabhängig von negativen Außeneinflüssen bleiben. Dafür stehe ich zur Verfügung, insbesondere wenn die Rahmenbedingungen und die gesetzliche Grundlage stimmen.

Und die ORF-Führung?

Es gibt auch Voraussetzungen, unter denen ich es mir nicht vorstellen könnte, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine erfolgreiche Zukunft führen zu können. Wie ich den Medien entnehme, geht es aktuell um eine Kollektiv-Geschäftsführung und nicht mehr um eine AlleingeschäftsführerInnen-Struktur wie jetzt. Bei einer Kollektiv-Geschäftsführung ist es natürlich zentral, wer die anderen Partner sind. Das muss ein Team sein und nicht lauter Einzeldarsteller. Der ORF hat in den nächsten Jahren viele herausfordernde Aufgaben zu erledigen und wird sich ein Stück weit selbst verändern müssen. Wenn die Geschäftsführung hier nicht gemeinsam an einem Strang zieht, dann wäre das eine schwierige Ausgangslage.

Frau Totzauer, vielen Dank für das Gespräch!