Herr Jauch, wir stehen kurz vor dem großen Jubiläum von „Wer wird Millionär“. Ist die Sendung aus Ihrer Sicht heute noch die gleiche wie vor 20 Jahren?
Nicht exakt. Der Markenkern von "Wer wird Millionär" ist weiterhin unangetastet. Musik und Lichtstimmungen sowie das Studio haben im Laufe der Zeit vielleicht mal ein rein formales Mini-Facelifting erfahren. Im Grunde steht da aber immer noch das Ur-Modell von vor 20 Jahren. Wichtiger ist aber, dass der inhaltliche Markenkern erhalten blieb. Dieses absolut simple "15 Fragen bis zur Million"- Konzept mit anfangs drei Jokern. Jetzt sind es halt vier. Ich rate auch dazu, nicht an diesem Markenkern zu rühren. Ich habe nichts dagegen, hier und da mal ein Special zu machen – vom Prinzip her sollte die Marke aber in ihrer fast schon genialen Einfachheit bestehen bleiben.
Und was hat sich dann verändert, wenn Sie sagen, dass die Sendung nicht exakt die Gleiche ist?
Der Ehrgeiz.
Bei Ihnen oder den Kandidaten?
Bei mir ist es so: Ich habe in meiner Karriere immer die lange Distanz bevorzugt. Ob das beim Sport war oder bei Stern TV. Ich muss für „Wer wird Millionär“ nicht viel mehr mitbringen als eine gesunde Neugier. Zum einen auf die Fragen bzw. Antworten, aber noch wichtiger auf die Menschen. Wenn Sie ein Misanthrop sind, werden Sie als Moderator dieser Sendung ihre Probleme haben. Sie müssen Spaß daran haben, mit Gottes großem Zoo umzugehen. Da es unendlich verschiedene Menschen gibt und ebenso viele Fragen, kommt der Verdacht auf, dass sich das Konzept dieser Sendung auch niemals erschöpfen wird. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass das Publikum irgendwann einfach keine Lust mehr darauf hat, Leute dabei zu beobachten, wie sie Fragen beantworten. Erst dann hätte die Sendung wohl ein Problem.
Was hat sich beim Ehrgeiz der Kandidaten geändert?
Ganz am Anfang war die Faszination der Millionen-Summe und des vermeintlich ewigen Feierabends für den Neumillionär deutlich stärker, als es heute der Fall ist. Früher hatten wir Kandidaten, die mit derart viel Selbstbewusstsein reingegangen sind, dass ich mir schon dachte: „Kinder, jetzt rüstet aber mal ein bisschen ab“. Das hatte aber auch etwas verwegenes, das musste man sich als Kandidat vor einem Millionenpublikum auch erstmal trauen. Heute wird die Sendung oft als alternative Geldbeschaffung gesehen, um beispielsweise den Wintergarten zu finanzieren. Der Kostenvoranschlag ist bereits eingeholt und der Kandidat weiß, dass man da mit 16.000 Euro hinkommt. Also werden Joker bis dahin gleichmäßig verballert, um nur ja kein Risiko einzugehen. Das ist aber in Ordnung, weil der Stuhl fast immer etwas mit den Kandidatinnen und Kandidaten macht. In der Sendung öffnen sich nämlich stets neue Türen. Beispielsweise, wenn bemerkt wird, dass es selbst für den Wintergarten eng wird oder, wenn die Person merkt, dass vielleicht doch mehr zu holen wäre. Es sind schon viele Kandidatinnen und Kandidaten aus den Schubladen gesprungen, in die man sie stecken wollte.
Ist Deutschland heute dümmer oder schlauer als vor 20 Jahren?
Wenn der klassische Wissenskanon, der vor 20 Jahren gegolten hat, heute abgefragt wird, insbesondere bei Jüngeren, sind da schon erhebliche Lücken zu beklagen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass vollkommen neue Wissensfelder dazugekommen sind. Stichwort: Digitalisierung. Da haben die Älteren oft wenig bis keine Ahnung. Einerseits wandelt sich Wissen, andererseits das, was darunter verstanden wird. Niemand sollte sich zu sicher sein, auch kein klassisch hochgebildeter Bundespräsident.
Wie kommen Sie darauf?
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker war ein großer Fan der Sendung und erklärte mir einmal, dass er bei uns schon mehrmals die Million hätte abräumen können. Da habe ich ihn gefragt, wie er darauf käme. Er meinte, er hätte schon einige der Millionen-Fragen richtig beantwortet. Ich entgegnete daraufhin: "Bei allem Respekt, Herr Bundespräsident, aber ich habe die Vermutung, dass Sie bei uns nie Millionär geworden wären." Er wunderte sich: "Warum denn nicht?" Ich antwortete: "Wenn ich Ihnen eine 1000-, 2000- oder 4000-Euro-Frage zu 'GZSZ' stelle, wären sie schon raus gewesen". Die Bandbreite der Fragen ist nämlich so groß, dass man zusätzlich zum Grundwissen nicht nur Glück braucht, sondern sich auch für extrem viel interessieren muss. Da hat er gelacht und mir Recht gegeben.
Gibt es Themengebiete, bei denen Sie am meisten Spaß haben?
Es wurde mal die Frage gestellt, welcher Baum in Deutschland am häufigsten vorkommt. Die Buche, Eiche, Tanne oder Fichte. Dann fangen die Leute wahnsinnig an, zu überlegen: Wo kommen unsere ganzen Weihnachtsbäume her, was für Bäume stehen denn im Schwarzwald? Da lief alles auf die Tanne hinaus. Heraus kam jedoch, dass es die am allerseltensten in Deutschland gibt. Bei solchen Fragen entwickeln sich Diskussionen, die ich sehr mag. Wenn Menschen überlegen, ob sie, statistisch ermittelt, im Leben eher fünf gute Freunde haben oder bis dahin fünf verschiedene Autos gefahren sind. Das hat auch was. Unsere wirklich kreative Fragenredaktion macht da seit Jahrzehnten einen unglaublich soliden und gleichzeitig absolut kreativen Job.
Eine Frage, die Ihnen schon zum 10. Geburtstag der Sendung gestellt wurde und heute nicht weniger naheliegend ist: Wie lange wollen Sie noch „Wer wird Millionär“ moderieren?
Hmm, mit der Geschichte des Handschlagvertrages brauche ich DWDL wohl nicht mehr kommen…
(lacht) Nein. Im Vorfeld eines so großen Jubiläum wird man sich doch selbst mal gefragt haben, ob das jetzt das große Finale sein soll oder man noch Lust auf mehr hat. Man feiert ja kaum Jubiläum und macht einen Monat später spontan Schluss, nur weil man es könnte…
Im Grunde hängt es von drei Dingen ab. Vom Publikum, dem es gefallen muss, vom Sender, der es kommerziell verkaufen können muss und mir, der auch Lust haben muss. Wenn eine der drei Säulen wegbricht, hat es sich erledigt. Für mich persönlich gibt es derzeit keinen Grund, ein Ende zu terminieren. Man darf auch nicht vergessen, dass wir ja mal mit drei Sendungen an drei Abenden pro Woche liefen. Dementsprechend hat sich die Ausstrahlung bereits reduziert, was ich auch vollkommen in Ordnung finde. Der Abnutzungsprozess hält sich somit in Grenzen. Stellenweise lag die Flughöhe bei den Quoten im Weltallbereich, heute sind wir immer noch stabil und deutlich über der Wolkendecke.
Wir halten fest: Sie machen weiter, auch mit „Denn Sie wissen nicht, was passiert“. Das kam zunächst aus der Konserve und erst dieses Jahr live. Warum?
Wer die Barbara, den Thomas und mich kennt, weiß, dass wir alle drei immer für live sind. Es gibt natürlich Produktionsgründe für Aufzeichnungen. Nachgelassen hat zum Glück der Wunsch, dass eine Unterhaltungssendung in jeder Hinsicht, also Kosten, Länge, Inhalt etc. immer schön berechenbar sein soll. Diese Denke ist erfreulicherweise gerade etwas auf dem Rückzug. RTL setzt immer öfter auf Live-Events. Speziell, was diese Sendung angeht, hat uns auch DWDL zwei Mal in die Hände gespielt. Erst mit einer positiven Kritik, die bemerkte, dass es endlich mal wieder ein Stück Live-Fernsehen gibt, das Spaß macht. Und dann ein Weckruf, dass die Social-Media-Begleitung für das Format verbesserungswürdig ist. Da hat der Sender sofort reagiert, so dass wir selbst in den Werbepausen oft weiter live im Netz präsent sind.
Produziert wird die Sendung von der von Ihnen gegründeten Produktionsfirma i&u TV, die Sie aber vor einigen Monaten verkauft haben. Warum?
Ich bin jetzt 63 Jahre alt und Entscheidungen als Unternehmer sollte man immer ein bisschen hochrechnen: Wo ist eine Firma in drei, fünf oder auch zehn Jahren? Wer folgt mir nach? In meiner Familie gibt es niemanden mit entsprechenden Ambitionen. So hätte ich also einfach immer weiter machen müssen. Dann sollte man sich schon selbstkritisch fragen, ob man bei dieser sich fundamental verändernden Medienlandschaft mit Mitte 60 oder dann Anfang 70 Jahren wirklich der richtige ist, um weiter an der Spitze solch einer Medienfirma zu stehen.
Und diese Frage haben Sie für sich negativ beantwortet?
Jein. Ich glaube, dass ich das jetzt noch prima kann. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das in den kommenden Jahren immer noch so ist. Außerdem: Ich habe vor der Kamera immer noch genug zu tun. Ich habe dazu eine kleine Landwirtschaft, die mir viel Freude bereitet, wo ich aber auch pendeln muss. In ein paar Wochen mache ich außerdem in Potsdam zusammen mit Tim Raue ein Restaurant auf, was wirklich ein großes Abenteuer für mich ist. Fernsehen, Landwirtschaft und Gastronomie – da bin ich mehr als ausgelastet.
Wie schwer fiel die Entscheidung?
Bereits früher habe ich bewusst Türen zugemacht. Beispiel: Stern TV. Nach 21 Jahren hatte ich das Gefühl, es sei der richtige Moment zu gehen. Und rückblickend war das die richtige Entscheidung. Das war bei zehn Jahren „Aktuelles Sportstudio“ so, bei der Champions League, beim Skispringen und beim Polittalk, auch wenn da noch andere Gründe reinspielten. Wenn ich mit so etwas abgeschlossen habe, ist das bisher immer ohne Reue gewesen. Ich schaue dann gerne zurück und möchte die Erfahrungen nicht missen. Es bleiben jedoch zwei Gefühle: Es war gut und jetzt ist es auch mal gut.
Wie kam es dann konkret zum Verkauf an KKR unter Führung von Fred Kogel?
Fred Kogel kenne ich seit knapp 40 Jahren, weil wir schon zusammen beim Bayerischen Rundfunk waren. Er kennt sich im Film- und Fernsehbereich, öffentlich-rechtlich wie kommerziell, sowohl von der programmlichen wie auch der Managementseite, exzellent aus. Ich glaube, dass die von ihm gezimmerte neue Plattform auch neue Chancen für i&u TV birgt. Er freut sich außerdem darauf, mit dem Team unter Führung von Andreas Zaik weiterarbeiten zu können. Und ich habe ihm zugesagt, mich jetzt nicht vom Fernsehen zurückzuziehen, sondern für eine geraume Zeit weiter zur Verfügung zu stehen. Ich bin mir sicher, dass wir so insgesamt den bestmöglichen Übergang gefunden haben.
Herr Jauch, eine Abschlussfrage noch: Warum ist die Show-Unterhaltung in Deutschland eigentlich von Männern dominiert? Jauch, Gottschalk, Kerner, Pilawa, Pflaume, Opdenhövel, Gätjen, Bommes, Hartwich, Geissen. Namen wie Schöneberger oder Nebel sind die Ausnahme.
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich wurde vor kurzem als TV-Dino bezeichnet und da dachte ich mir auch: Wie das mit den Dinos geendet ist, ist ja bekannt. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass Frauen endlich – und natürlich viel zu spät – auf dem Vormarsch sind. Eine Quote fürs Fernsehen fände ich trotzdem nicht glücklich. Im Unterhaltungsbereich gibt es doch aber großartige Frauen. Anke Engelke, Carolin Kebekus und Martina Hill fallen mir sofort ein. Oder Hazel Brugger in der „heute show“. Die ist gerade mal Mitte 20. Es gibt also eine Generation, der ich unheimlich viel zutraue. Und was mich betrifft: Bin ich mal nicht mehr gefragt, glaube ich, dass ich mich entspannt und ohne Entzugserscheinungen zurückziehen kann. Es gibt den talentierten Nachwuchs - männlich wie weiblich.
Herr Jauch, herzlichen Dank für das Gespräch.