Herr Maffay, auf welches Medium hätten Sie für Ihre Karriere eher verzichten können, aufs Fernsehen oder aufs Radio?

Aufs Fernsehen. Wir machen ja eine Art von Musik, die mehr zum Hören als zum Sehen gedacht ist. Mir persönlich liegt Radio näher, auch im täglichen Gebrauch. Es kann durchaus passieren, dass ich zwei Wochen keinen Fernseher einschalte. Radio hingegen muss jeden Tag sein. Ich bin notorischer Hörer von B5 aktuell.

Da läuft allerdings keine Musik von Ihnen...

... was für viele andere Wellen ebenfalls gilt, auch wenn sie keine Wortprogramme sind. Meine Vorliebe für Radio widerspricht dem Umstand, dass wir dort kaum stattfinden. Eigentlich müsste ich auf diese Branche stocksauer sein. Aber wir haben nun mal selbst ein Format entwickelt, dass es anderen schwer macht, uns einzuordnen. Wenn man auf der einen Seite "Tabaluga" macht, auf der anderen Rockmusik, dann suchen manche Leute verzweifelt nach der passenden Schublade. Und wenn man dann auch noch ein konvertierter Schlagersänger ist, wird's erst recht kompliziert. Die meisten Sender haben es lieber klar formatiert und eindeutig.

Klingt erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Sie mit bislang 18 Nummer-eins-Alben Deutschlands erfolgreichster Rockmusiker sind. Kein Künstler hat in irgendeinem Land der Welt mehr Nummer-eins-Alben veröffentlicht. Wenn das kein radiotauglicher Mainstream ist.

Was man zu hören bekommt, sind Aussagen wie: "Geile Nummer. Geht gut ab. Können wir nur leider nicht spielen." Oder: "Wunderschöne Ballade, aber viel zu lang." Oder: "Der Typ ist für unsere Zielgruppe zu alt." Sowas sagt mir natürlich keiner ins Gesicht, aber man bekommt's dann über andere Wege mit.

Viele Songs werden heute gezielt so geschrieben, dass sie möglichst viel Airplay bekommen und gut in die Playlists von Spotify oder Apple Music passen. Das könnten Sie auch tun, wenn Sie wollten.

Das wäre in meinen Augen Prostitution.

Ein hartes Urteil. Aber so funktioniert doch ein Großteil des Musikgeschäfts?

Peter Maffay© W. Köhler
Das stimmt und das hat die Landschaft enorm verändert. Die Vermarktungsstrategien von Rundfunksendern und Streaming-Plattformen haben zur Folge, dass sich auch die Tonträgerfirmen daran ausrichten. Oft wird von vornherein gesagt: Unsere Künstler müssen exakt so klingen und exakt diesen Stil bedienen. Wir erleben derzeit eine starke Dominanz von Rap und HipHop. Das ist aktuell das Segment, das am meisten gestreamt wird. Und plötzlich hört man es überall im Mainstream durchscheinen, nicht nur bei Rappern, auch in anderen Genres. Ich mache meine Musik nicht mit dem Rechenschieber. Bevor ich die Gitarre aus der Hand legen würde, weil sie gerade nicht en vogue ist, würde ich eher ganz aufhören. Gleichzeitig macht es aber dieselbe Technologie, nämlich Internet und Streaming, für Musiker einfacher denn je, gehört zu werden, unabhängig zu agieren und einen eigenen Stil zu entwickeln. Das ist also auch eine historische Chance für Kreativität und Vielfalt.

Gibt es einzelne Radio-Sender oder -Persönlichkeiten, die für Sie besonders prägend waren?

Es gibt vielleicht ein Dutzend Radiomacher, die aufgrund ihrer Persönlichkeit selbst zum Format geworden sind. Mit einigen davon bin ich seit langem befreundet. Frank Elstner gehört auf jeden Fall dazu. Er war der Allererste, der sich erbarmte und 1970 meine Single "Du" bei Radio Luxemburg spielte. Danach folgten die anderen Sender. Ein echter Radio-Gigant ist für mich Werner Reinke, früher hr3, heute hr1. Werner spielt, was er will, und keine Sendung ist langweilig. Weil er eine wandelnde Musikbibliothek ist und echte Unterhaltung bietet. Er besitzt einen Freiraum innerhalb des Senders, den sonst kaum jemand hat. Den hat er sich über Jahrzehnte erarbeitet.

"Dann kam man aufs 'Bravo'-Cover, nachdem die Plattenfirma dem Chefredakteur dezent einen Kühlschrank hingestellt hatte"

Peter Maffay

Auch wenn Sie das Fernsehen eben auf den hinteren Rang geschoben haben, dürfte die "ZDF-Hitparade" mit Dieter Thomas Heck in den ersten Jahren Ihrer Karriere von entscheidender Bedeutung gewesen sein.

Klar, das war damals der Leuchtturm schlechthin. Wenn man in die Charts wollte, war es der wirksamste und daher auch begehrteste Weg. Die Wirkung dieser Sendung konnte man in der Woche drauf sehr deutlich an den Plattenverkäufen ablesen. Ich war Anfang 20, hatte mir schon lange einen Schallplattenvertrag gewünscht und hätte nicht gedacht, dass ich in der Schlagerecke landen würde. Vor allem hatte ich keine Ahnung, welche langfristigen Auswirkungen das auf mein Image haben würde. (lacht) Jedenfalls wollte damals jeder in die "ZDF-Hitparade" und man hat geschachert, um reinzukommen. Ähnlich umkämpft war noch die "Bravo". Da konnte es durchaus passieren, dass ein Chefredakteur sagte: "Ich brauche einen Kühlschrank." Und dann kam man aufs Cover, nachdem die Plattenfirma oder das Management dezent einen Kühlschrank hingestellt hatte.

Nachdem Sie zum Rock konvertiert waren, wurde "Wetten dass..?" Ihre TV-Kathedrale. Mit 18 Auftritten halten Sie den Rekord, kein anderer Gast war so oft in der Show.

Die Sendung lief lange Zeit wie geschnitten Brot, Gottschalk war übermäßig populär. Darin stattzufinden, war ein spürbarer Impulsgeber, der sich auf den kommerziellen Erfolg auswirkte. In den späteren Jahren ging dieser Effekt allerdings verloren. Die Attraktivität der Sendung ließ langsam nach, und es konnte vorkommen, dass man samstags auftrat, ohne dass montags bei den Plattenverkäufen viel passierte. Das war schon ein Vorgeschmack auf die fragmentierte Situation heute, in der das Publikum ungleich viel mehr Angebote zur Verfügung hat.

Um zehn Millionen Menschen mit einem TV-Auftritt zu erreichen, müssten Sie in der Halbzeitpause vom WM-Finale singen.

Dafür gibt es viele neue, spannende Wege zum Publikum, die es früher nicht gab. Wenn man etwa mit einem Anbieter wie der Telekom zusammenarbeitet …

... die Ihr Jubiläumskonzert am 29. August in Berlin live auf MagentaTV und MagentaMusik 360 überträgt...

... dann kann man schon mit einer gehörigen Promotion und Reichweite rechnen. Wir haben vorher auch andere Adressen abgeklappert und festgestellt, dass es dort an dem, was uns vorschwebte, kein Interesse gab. Früher wäre es das Ende der Fahnenstange gewesen, wenn ARD, ZDF oder ein Privatsender gesagt hätten: "Zu laute Gitarren, zu haarige Typen – nein danke!" Heute lechzen viele neue Anbieter nach substanziellem Content. Das ist unsere Chance.

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