Gabriela Sperl© BR / Max Hofstetter
Frau Sperl, Herr Wiedemann – Sie beide sind als Produzenten äußerst aktiv im deutsch-deutschen Zeitalter. Was fasziniert Sie so an den Jahren 1945 bis ’89?

Gabriela Sperl: Immer wieder interessant ist, dass die Fragen von heute fast immer aus dieser Vergangenheit heraus entstehen.

Max Wiedemann: Und weiterhin vielfach unbeantwortet sind.

Sperl: Wie zum Beispiel haben Westdeutsche die Epoche der Nationalsozialisten aufgearbeitet, von denen es im Osten offiziell ja gar keine gab? Wie verhält es sich umgekehrt mit SED und Stasi, mit denen man im Westen angeblich nichts zu tun hatte? Woher stammt dieses neurechte Gedankengut, das heute wieder nach oben kommt, und damit verbunden: warum tun sich 30 Jahre nach dem Mauerfall überall in Deutschland und Europa solche ideologischen Gräben auf?

Wiedemann: Ich war damals zwölf Jahre alt, komme also aus einer Generation, die die Wende politisch noch nicht ganzbewusst erlebt hat. Für mich war sie daher ein mediales Ereignis, das wir zuhause am Fernseher verfolgt hatten; das prägt zwar unterbewusst, aber ich bin doch unter der heilen „Wetten, dass..?“-Käseglocke aufgewachsen und musste mir meine Freiheiten anders als Gabriela Sperl nicht wirklich erkämpfen.

Sperl: Und was folgt daraus?

Wiedemann: Dass ich mehr vom Bewusstsein endgültiger Gewissheiten von Demokratie und Freiheit geprägt bin als vorherige Generationen. Weil diese Gewissheiten jedoch zusehend ins Wanken geraten, ist und bleibt die Zeit vor 1989 auch aus filmischer Sicht so bedeutend.

Also aus Angst vor dem, was noch kommt?

Sperl: Ich würde es eher Sorge nennen.

Wiedemann: Und aus der heraus geht es uns darum zu erkennen, was die Menschen seinerzeit dazu gebracht hat, Systeme wie den NS-Staatoder die DDR zu errichten, aber eben teils auch unter Einsatz ihres Lebens zu bekämpfen. Deutschland war diesbezüglich schon immer ein weltpolitischer Brennpunkt. Und das spiegelt sich in unseren Arbeiten ständig wieder.

Hat sich die erzählerische Herangehensweise zwischen Nationalsozialismus und Realsozialismus dabei seit der europäischen oder auch der Flüchtlings-Krise verändert?

Sperl: An der grundsätzlichen Hoffnung, die mit dem Fall der Mauer verknüpft war, hat sich gewiss nichts verändert. Dass ein ganzes Volk plötzlich seine Angst vor einem Unterdrückungsregime verliert, ist dramaturgisch ebenso faszinierend wie die Tatsache, dass diesem Volk nach dem Erlangen der Freiheit plötzlich nicht mehr zugehört wurde und wie nach dem Zweiten Weltkrieg viel zu wenige der Täter vor Gericht gelandet sind. Das Gefühl vieler Menschen, Opfer zweier, je nach Alter sogar dreier Systeme infolge zu sein, ist ein großes Thema meiner Arbeit.

Konnte man früher, als diese Verwerfungen noch nicht so offensichtlich waren, argloser, also unpolitischer zeitgeschichtlich unterhalten?

Sperl: Nein, denn ich wollte schon immer beides – Zeitgeschichte vermitteln und dabei viele Menschen erreichen. Es geht mir seit jeher um Unterhaltung, bei der Millionen Zuschauer am Ende darüber nachdenken und nachlesen, was in der jeweiligen Epoche abging und was das für die Gegenwart bedeutet. Bei Fiktion docken die Zuschauer nochmal anders emotional an als bei einem informativen Dokumentarfilm. Wir haben „Preis der Freiheit“ vielen Menschen aus dem ehemaligen Osten gezeigt; die kamen sofort ins Reden und wollten gar nicht mehr nach Hause, so viel an Erinnerung kam hoch. Unterhalten Sie sich mal mit Nadja Uhl über „Tannbach“.

Die ZDF-Geschichte eines geteilten Dorfes im Kalten Krieg.

Sperl: Sie wird Ihnen erzählen, dass der ganze Osten viel über die Reihe geredet hat, weil jeder persönliche Erfahrungen damit hatte.

Wiedemann: Deshalb müssen wir ungeheuer dankbar sein, noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben, der solche Formate mit diesem Diskussionspotenzial zulässt und es ermöglicht, Geschichte ansprechend, hochwertig und auch emotional so nachvollziehbar zu vermitteln wie im Fall von „Tannbach“ oder „Preis der Freiheit“. Das ist weder bei uns noch in anderen Ländern im frei empfangbaren Fernsehen selbstverständlich.

Max Wiedemann© W&B Film
Herr Wiedemann, während Sie „Tannbach“ mit Gabriele Sperl fürs ZDF gemacht haben, produziert Quirin Berg mit Ihnen auch viel für Streamingdienste. Ist das Filmemachen für beide Plattformen gleich oder grundlegend verschieden?

Wiedemann: Das ist schwer zu vergleichen, hängt aber auch vom Genre ab, weil jedes davon seine ganz eigenen Ansprüche und Zielgruppen hat. Auch wenn über die neuen Anbieter momentan viel gesprochen wird, entsteht auch bei den Öffentlich-Rechtlichen sehr hochwertiges Programm. Beides hat seine Daseinsberechtigung und ergänzt sich aus meiner Sicht sehr gut.

Merkt man es diesem Format an, das es von einer älteren Produzentin und einem jüngeren Produzenten stammt, die unterschiedliche Epochen des Fernsehens repräsentieren?

Wiedemann: Weil ich inhaltlich überhaupt keinen Einfluss genommen habe, vermutlich eher weniger. Wir stellen das Dach zur Verfügung, unter dem Gabriela das Projekt realisiert.

Sperl: Und dafür bin ich sehr dankbar. Andererseits habe ich Michael Krummenacher auch deshalb ausgesucht, weil er noch jung ist und vorher für Sky „8 Tage“ gemacht hatte. Die Perspektive eines Regisseurs, der beim Mauerfall noch nicht mal jene zwölf Jahre von Max alt war, gibt der Geschichte ebenso wie unser „Oscar“-Kameramann Morten Soborg aus Dänemark definitiv eine ganz andere, weniger historisierende Richtung.

In der es wie bei „Deutschland 86“ um den ökonomischen Aspekt der deutsch-deutschen Beziehungen geht. Wieso steht die aus Unterhaltungssicht ehr nüchterne Handelsabteilung „Kommerzielle Koordinierung“ KoKo im Zentrum eines Familiendramas?

Sperl: Weil mich die Hintergründe ganz persönlich interessieren. Ich erinnere mich noch, wie zwei Wochen, nachdem ich beim Mauerfall heulend vorm Fernseher gesessen hatte, plötzlich überall etwas über Alexander Schalck-Golodkowski stand. Auf einmal sollte der KoKo-Chef Schuld am Untergang der DDR sein, nicht die SED und Stasi-Leute, vor denen auch Freunde von mir in den Westen geflohen sind? Das hat mich auch als Historikerin fasziniert.

Wiedemann: Mir dagegen war die KoKo gar kein richtiger Begriff mehr, auch wenn der Name Schalck-Golodkowski natürlich hängen geblieben ist. Aber wenn Sie jetzt 100 Leute auf der Straße fragen, wissen vielleicht fünf noch, wer das überhaupt war. Es geht uns aber auch gar nicht so sehr um die Schweinereien vor der Wende.

Sondern?

Wiedemann: Deren kollektive Wahrnehmung eines blütenreinen Umbruchs ohne jedes Blutvergießen dahingehend zu relativieren, dass sie sehr komplexer war als die Meisten es wohl gemeinhin wahrgenommen haben. Gerade heutzutage, wo Populisten einfache Lösungen für komplizierte Probleme anbieten, ist es aus meiner Sicht bedeutsam, den Menschen ein differenzierteres Bild anzubieten, mit dem sie sich eine Meinung bilden können. 

Sperl: Und auch hier gilt: je emotionaler so etwas vermittelt wird, desto eher bewirkt es etwas beim Publikum.

Frau Sperl, Herr Wiedemann, vielen Dank für das Gespräch.

Das ZDF zeigt "Preis der Freiheit" am Montag, Dienstag und Mittwoch um 20:15 Uhr. In der ZDF-Mediathek stehen bereits alle drei Teile zum Abruf bereit.