Herr Eidinger, Herr Möhring – Sie beide haben in Ihrer Karriere bislang äußerst unterschiedliche Genres gespielt. War schon mal eine Agentenserie dabei?

Wotan Wilke Möhring: Ein bescheuerter Agentenfilm, ganz am Anfang. So einen Untergrund-Thriller hatte ich dagegen noch nie. Kriegt man bei uns auch nicht oft angeboten.

Lars Eidinger: Im Ausland schon eher. Mein größter Traum ist es, einmal den Bösewicht im James Bond zu spielen. Wobei ich gehört habe, dass der nächste 007 eine Frau sein soll. Vielleicht bewerbe ich mich dann lieber als Bond-Boy. 

Möhring: Der im Einteiler aus dem Wasser steigt, geil.

Sagt man einem Drehbuch, auf dem „Agententhriller“ steht, sofort zu, weil das so außergewöhnlich und aufregend ist?

Möhring: Solche Begriffe stehen da in der Regel ja nicht drauf. Es sei denn damals, als ich für RTL Old Shatterhand spielen sollte. 

Eidinger: Da stand „Western“ drauf?

Möhring: Nee, aber bei „Winnetou“ ist das ja klar und hat mich sofort gepackt.

Eidinger: Liest du eigentlich auch erstmal nur deine Passagen oder das ganze Buch von vorne nach hinten? 

Möhring: Auch erstmal nur meine. Schon um zu wissen, ob der überhaupt irgendwas in der Geschichte zu melden hat und mit welchem Aufwand.

Eidinger: Bei mir Stand „Whistleblower“ im Anschreiben. Ein moderner Held.

Möhring: Der für seine Vorstellung von Wahrheit alles gibt.

Darf man sowas Traumrolle nennen oder ist das gar keine Kategorie, in der Schauspieler denken?

Eidinger: Mir war das vorher nicht bewusst, aber im Nachhinein ist es schon eine Traumrolle. Auch, weil sie so kammerspielartig an einem Ort spielt. Normalerweise ist man dauernd zwischen Drehorten unterwegs; hier war ich fast durchgehend in einem Studio in Malmö – und hatte nahezu keine Spielszenen mit Partnern.

Möhring: Außer im zweiten Teil, wo wir uns zum einzigen Mal wirklich begegnen.

Kommt dieses Kammerspiel dem Theater näher als im Film üblich?

Eidinger: Das physische Spiel auf engstem Raum? Ja. Ich habe schon das Gefühl, dass ich, wenn es körperlich wird, von meinen Erfahrungen auf der Bühne profitiere.

Möhring: Wobei sich die Klaustrophobie des Whistleblowers auch ohne Bühnenerfahrung sofort erschließt. Sein Wesen besteht ja quasi in der selbstgewählten Isolation.

Eidinger: Das sah man auch an dem verwahrlosten Zustand, in dem Julian Assange aus der Botschaft abgeführt wurde. Bei „West of Liberty“ fiel dazu mir Platons Höhlengleichnis ein und wie sich die Wahrnehmung verändert, wenn man im wahrsten Sinne des Wortes nur Schatten der Ereignisse sieht. Der Mensch braucht ein leibhaftiges Gegenüber, sonst ist er verloren.

Und ein digitales Netzwerk reicht dafür nicht?

Möhring: Nicht, um sich seiner wahrhaftigen Existenz zu versichern. Sonst bleibst du ein Avatar deiner Fantasie. Deshalb kommuniziere ich nach wie vor extrem haptisch. Als Vater von drei Kindern weiß ich eben, wie wichtig spürbare Berührung ist. Und du, Lars?

Eidinger: Weil ich Leuten am liebsten gegenübersitze, telefoniere ich nicht mal gern. Aber in „West of Liberty“ trifft die gefilterte Kommunikation ohne echten Kontakt den Kern dessen, wogegen Lucien Gell angetreten ist: Sich von der Manipulation durch Medien zu befreien – ganz gleich ob digital oder analog und selbst beim Hörensagen. Wenn man am Tatort eines Verkehrsunfalls zehn Zeugen befragt, bekommt man zehn unterschiedliche Beschreibungen der Ereignisse. Das macht die Serie zum Appell, Informationen grundsätzlich zu hinterfragen.

Aber auch anfällig für die populistische Kernthese der Lügenpresse.

Eidinger: Im Gegenteil: Die Skepsis macht im Umgang mit Populismus sogar ausgesprochen hellhörig und sensibel. Nur so wird ersichtlich, ob man durch die subjektive Sicht einer Quelle manipuliert wird.

Möhring: Schließlich filtern wir sogar die eigene Kommunikation. Ich hab grad gelesen, dass es in Sozialen Netzwerken kaum noch ungefilterte Informationen gibt. Profilbilder sind ebenso gefiltert wie Biografien, der Schein entwickelt sich zum Sein. Meine Schwester ist Professorin für Journalistik und rät ihren Studenten daher, jede Quelle mit der nächsten zu überprüfen, weil es schlicht keine gibt, die zweifelsfrei unabhängig, gar objektiv ist. Jede Wahrheit braucht Skepsis und je größer die Wahrheit, desto größer sollte sie sein.

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Und wie wahrhaftig ist die ZDF-Serie?

Eidinger: Zumindest so sehr, dass sie jedem Zuschauer ermöglicht, eine eigene Haltung zum Thema einzunehmen. Es gibt darin weder schwarz noch weiß, richtig oder falsch, alle Figuren sind extrem ambivalent, kein Whistleblower ist bloß gut, kein CIA-Agent bloß schlecht, aber alle sind dazu fähig, das große Ganze durch ihr Handeln zu beeinflussen. Wie sagst du am Ende noch so schön?

Möhring: Die Mauer ist nicht gefallen, sie wurde von Menschen zum Einsturz gebracht?

Eidinger: Genau. Das gilt doch für jedes noch so komplexe System. Nehmen Sie die Brände im Amazonas: Wir können 1000 entrüstete Bilder posten. Oder wir hören auf Fleisch zu essen, für das der Regenwald brandgerodet wird. Um diese Verantwortung jedes Individuums geht es im Grunde auch in der Serie und um das Potenzial jedes einzelnen von uns.

Möhring: Dass Politik, Wirtschaft und Geheimdienste so verstrickt sind, wie wir es zeigen, könnte also Anlass zur Resignation sein. Aber irgendwo taucht halt doch immer wieder eine Greta Thunberg oder ein Edward Snowden auf, deren selbstloser Idealismus zeigt, wie viel jeder und jede einzelne tun kann. 

Der Idealismus ihrer Figuren ist dagegen wie im Fall des desillusionierten CIA-Spitzels Ludwig Licht erloschen oder wie in dem von Lucien Gell übersteigert. Hätten sie beide beides spielen können oder passt das so schon am besten?

Möhring: Das passt jedenfalls nicht so wie Faust aufs Auge, dass es nicht auch andersrum gegangen wäre.

Eidinger: Ludwig Licht hätte ich auch gern gespielt.

Merkt man den Filmen an, dass die Hauptverantwortlichen, also Buch und Regie, Frauen sind?

Möhring: Vielleicht ein bisschen daran, dass der einzig echte Held am Ende eine Heldin ist. Aber ob es eine Art weiblicher Kraft gibt, übersteigt meine Fantasie. Die Frage ist immer, ob es einen guten oder einen schlechten Kapitän gibt, und Barbara Eder war ein guter.

Eidinger: Ich höre schon oft von Frauen in dem Beruf, wie schwer es ihnen teilweise von Seiten der Männer gemacht wird und wie viel mehr Widerstände sie zu überwinden haben. Bei Barbara Eder hatte ich das Gefühl, dass ihr das gelingt und sie sich gut dagegen behaupten kann.

Möhring: Das ist aber keine weibliche oder männliche, sondern fachliche und menschliche Stärke. 

Hatten Sie abgesehen von „25 Km/h“ voriges Jahr eigentlich schon mal miteinander gedreht?

Möhring: Nicht dass ich wüsste, und da haben wir auch nur Tischtennis gegeneinander gespielt.

Eidinger: Stimmt. Da hatte Wotan eine eher kleine Rolle, jetzt ist es umgekehrt. Das entspricht auch meinem Ideal, dass wie in einem Theaterensemble mal der eine, dann die andere groß spielt und man sich so gegenseitig stützt. 

Möhring: Zumal man in Nebenrollen viel mehr aufs Gas treten kann, während Hauptrollen moderater angelegt sind. Es darf nur nie um Hierarchien, sondern das Ergebnis gehen.

Eidinger: Oder man darf wie ich in „Dumbo“ mitspielen. Die Rolle war zwar winzig, aber ich will den Schauspieler sehen, der eine noch so kleine Rolle ausschlagen würde, wenn er die Möglichkeit hat mit Danny DeVito unter der Regie von Tim Burton zu spielen.

Herr Eidinger, Herr Möhring, vielen Dank für das Gespräch.

Die internationale Fassung von "West of Liberty" (6 x 45 Minuten) steht bereits in der ZDF-Mediathek bereit. Der Zweiteiler läuft am 24. und 25. November jeweils um 22:15 Uhr im ZDF.