Inwiefern?

Insofern wir nicht die Position des allwissenden Profis einnehmen, der alles weiß und meistert.

Sie bewahren sich also eine Naivität, die Korrespondenten womöglich nicht mehr haben?

Ja.

Und dringen sprichwörtlich in unbekannte Regionen vor wie ein weißes Blatt Papier, das vor Ort beschriftet wird?

Ich glaube, genauso arbeitet ein Großteil der Journalisten weltweit.

Aber ist ein langjähriger Korrespondent mit Netzwerk und Know-how am Ende nicht doch qualifizierter für Reportagen entlegener, auch gefährlicher Orte als Journalisten, die für einen Bericht auftauchen und danach wieder abdampfen?

Seltsame Frage, denn zum einen gehe ich vielleicht naiv, aber nie unvorbereitet dorthin. Zum anderen haben auch Korrespondenten, die irgendwie Relikte einer nicht vernetzten Welt sind, ihren Stützpunkt in irgendeiner Hauptstadt, poppen wie ich für fünf Tage in der Provinz auf, und kehren dann in die Safe Zone ihrer Gated Community zurück. Natürlich gibt's Unterschiede – Sprachkenntnisse zum Beispiel oder ein tieferes Verständnis der regionalen Kultur. Aber sobald man ein gutes Team hat, spielt das fürs Publikum kaum eine Rolle.

Wie wichtig ist der Zuschnitt dieses Publikums für die journalistische Herangehensweise – berichten Sie in "Uncovered" mit zielgruppengerechten Methoden und Stilmitteln?

Ich glaube, Formate wie unsere könnten sehr gut auch in ARD oder ZDF laufen, aber deren Formate nicht umgekehrt bei ProSieben.

Ah, ja?

Dafür sind sie einfach zu konservativ. Man kann das gut am "Auslandsjournal" sehen, das wir ja alle lieben. Da wird zwar manchmal durchaus was Modernes ausprobiert, aber stets innerhalb der Regeln, die seit 4.000 Jahren gelten. ProSieben hat keine Regeln – weder inhaltlich noch visuell. Wenn ein junger Stammzuschauer dann was sehr Sachliches im "Weltspiegel" sieht, fragt er sich womöglich: was fühlt der Journalist eigentlich?

Privatfernsehen heißt also mehr Emotionalität?

Das hat nichts mehr mit Privatfernsehen, sondern modernerem Journalismus zu tun.

Aber führt dieser modernere Journalismus nicht dazu, dass "Deutsche an der ISIS-Front" arg plakativ mit Kindern endet, die das Publikum mit dem Holzhammer ergreifen?

Ich würde eher sagen, dass der klassische Journalismus zu dieser zynischen Frage führt.

Es ist doch kein Zynismus, sondern Beobachtung, zu kritisieren, dass Kinder in den Medien zur Emotionalisierung verwendet werden, was hier darauf zuläuft, die letzten zehn Minuten als dramatische Zuspitzung ausschließlich mit denen zu füllen!

Gegenfrage: Hätten Sie die Kinder weggelassen?

Natürlich nicht, aber ich hätte sie eher als Teilaspekt der Terror- und Flüchtlingsmisere in Syrien eingestreut, als am Ende geballt zur Quintessenz allen Leids zu inszenieren.

Dass Abdullah am Ende kommt, hat keinen psychologisierenden Effekt, und dahinter steckt auch kein emotionales Konzept. Aber aus der Erfahrung vieler Krisenreportagen, finde ich das Gefühl, mit den unschuldigsten Opfern rauszugehen, die stärkste Aussage. Dramaturgisch ist es absolut legitim, was besonders hängenbleiben soll, ans Ende zu packen; das ist weder ein Trick noch Realitätskitsch, sondern Wahrnehmung. Der Ernst dieses Kindes hat auch mich sprachlos gemacht.

Was hat dieser Einsatz sonst noch mit Ihnen gemacht – emotional, aber auch beruflich?

Ich bin in erster Linie besser informiert daraus hervorgegangen, weil er wie jede meiner Reportagen das eigene Schwarzweißdenken beeinflusst. Wie fast jeder Mensch, verlasse auch ich mich ja auf meine Schubladen. Obwohl ich dem Islamismus schon in verschiedenster Form begegnet bin, war der IS für mich zunächst ein Begriff. Wenn man dann die Menschen dahinter trifft, mit ihren Ängsten, Gefühlen und Lügen, werden Begriffe lebendig und IS-Mitglieder anders, als die "Bild" das möchte, von Schergen zu Personen. In Schubladen zu denken, ist immer einfacher, aber wer meine Arbeit vor und nach dieser Reportage durchsiebt, findet am Ende immer eines: Toleranz.

Was bedeutet die für Sie?

Menschen immer erstmal auf mich zukommen zu lassen, um mit ihnen zu sprechen – egal ob Opfer oder Täter, Taxifahrer oder Politiker.

Völlig unvoreingenommen?

Na ja, ich habe trotzdem meine Haltungen, und wenn mir ein nachweislicher Terrorist wie Martin Lemke gegenübersitzt, bin auch ich ihm gegenüber nicht unvoreingenommen. Einer Sympathisantin aber, die ich im Flüchtlingslager getroffen habe, ist tatsächlich das weiße Blatt, von dem wir gesprochen haben.

Kann die nächste Reportage emotional eigentlich noch härter für Sie werden als diese?

Was heißt härter? Ich weiß nicht, ob es eine posttraumatische Belastungsstörung war oder einfach Traurigkeit, aber als wir diesen Film vertont haben, bin ich in Tränen ausgebrochen. Die Welt ist ein abgefuckter Ort.