Sie haben vorher viele Jahre für das ZDF mit seinen mitunter ja sehr populären Unterhaltungsprogrammen gearbeitet. Wie anders ist es, jetzt an 3sat zu arbeiten, einem Sender der so nah am öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag ist?

Es macht große Freude, weil man noch mehr um die Themen ringt. Ich komme aber auch beim ZDF aus dem Doku-Bereich. Es war für mich jedoch eine interessante Erkenntnis, wie sehr sich im gleichen Genre die Arbeit unterscheiden kann. Im ZDF muss jede Produktion eine Antwort darauf finden, wie ich in den ersten Minuten das Publikum für das Thema der Sendung bzw. Dokumentation einnehmen kann. Bei 3sat war es jetzt ein Umlernen für mich: Unsere Quoten sind signifikant besser wenn wir komplexer mit Meta-Ebenen erzählen und komplizierte Diskurse anpacken. Wenn wir nicht aufpassen und in erster Linie gefallen wollen, so wie es bei vielen Sendern ein ganz grundlegendes Handwerk ist, werden wir dafür von unserem Publikum abgestraft. Unser Publikum will intellektuell gefordert werden. Unser Programm darf im positiven Sinn eine Zumutung sein.



Welche Rolle spielt für das neue 3sat dieses Zusammenspiel von drei Ländern, was ja ursprünglich mal der Grundstein für das Programm war?

Wir bleiben der festen Überzeugung, dass 3sat als Sender für den deutschsprachigen Raum etwas Besonderes zu bieten hat. Um das Naheliegende zu erfassen, muss man manchmal einen Schritt zurück machen. Erst dann sieht man das ganze Bild und 3sat hilft mit seiner Multiperspektivität dabei, in unseren Magazinen und Themenschwerpunkten aber auch gezielt entwickelten Formaten. Da haben wir im letzten Jahr einen Versuch gewagt, der bei den Zuschauerinnen und Zuschauern glücklicherweise genauso gut ankam wie bei uns: Wir haben Wladimir Kaminer auf die Suche nach der Heimat geschickt - in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Jedes Land hat dabei selbst produziert. Drei Perspektiven eines Mannes von außen, der sich seit je her viel mit dem Begriff Heimat beschäftigt, und vor Ort nachforscht. Schöne Erkenntnis: Heimat ist mehr ein Gefühl als ein Ort. Wir haben gemerkt, dass in diesem Ansatz mehr steckt und so wird Herr Kaminer diesen Sommer wieder auf Reisen gehen und sich diesmal dem Sound der Heimat“ widmen. Das ist natürlich unterhaltend, aber wir werden den Drei-Länder-Ansatz auch mit härteren Themen angehen.

3sat steht stark für Wissenschaft und Kultur. Beides ist in den vergangenen Jahren immer stärker unter Druck geraten durch Diskreditierung und Leugnung. Sehen Sie den Sender auch als Bollwerk gegen das Infragestellen von Errungenschaften in diesen Bereichen?

Seien wir realistisch: Mit 1,3 Prozent Marktanteil ist 3sat kein Bollwerk und sicherlich erreichen wir in erster Linie Menschen, die Wertschätzung für Wissenschaft und Kultur schon mitbringen - Stichwort Filterblasen. Wir sind nicht die, die es effektiv schaffen werden umzustimmen. Da können die großen Sender mehr bewegen. Aber wir geben Wissenschaft und Kultur viel Raum, und tragen so zu einem vernünftigen Diskurs bei.

"Kabarett muss weh tun dürfen, sonst muss man es nicht machen."

Aber nur ein kritischer Gag im Kabarettprogramm reicht und ihre 1,3 Prozent Marktanteil können sich in Shitstorms auch enorm multiplizieren.

Das ist richtig, wobei man sich auch mal genau anschauen muss, was ein Shitstorm ist und wie er genau entsteht. Ja, wir haben schon viel Kabarett im Programm und wollen das übrigens auch perspektivisch eher ausbauen. Und Kabarett muss weh tun dürfen, sonst muss man es nicht machen. Dass man dabei irgendwelchen Bevölkerungsgruppen auch mal auf die Füße tritt, ist so. Das muss man aushalten.

Gibt es Genres bei denen Sie sich mehr Impulse aus dem Produzentenmarkt wünschen?

Wir stehen im regen Austausch mit der Produzentenlandschaft, präsentieren 3sat auch jährlich beim ZDF-Produzententag in Berlin und sprechen über den Bedarf für diverse Sendeplätze. Ich sage mal so: Im Dokumentarfilm-Bereich sind wir immer sehr an neuen Ideen interessiert. Wir sind auch sehr dafür zu haben Themen zu setzen. Wir hatten vor zwei Jahren beispielsweise an unserem Wissenschaftsabend mit Gert Scobel, der Abend wird künftig übrigens „Wissen hoch 2“ heißen, eine Dokumentation über Framing. Das war zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema noch nicht debattiert wurde. In dem Moment sorgt man sich, am Publikum vorbei zu senden aber im Nachhinein sind wir natürlich mächtig stolz darauf, ein Thema frühzeitig ausgemacht zu haben. In der ersten Woche unseres neuen Programmschemas im März geht es bei „Wissen hoch 2“ übrigens um „Quoten- und Klickhits: Was ist überhaupt Erfolg?“, dürfte auch für Sie sehr spannend sein. Und dieses Thema werden wir zur besten Sendezeit vertiefen, wie es unser Publikum erwartet. Das ist inhaltliches Hartholz. Aber ich bin sehr glücklich, dass unsere Zuschauerinnen und Zuschauer es auch nicht einfacher haben wollen.

Frau Müller-Elmau, herzlichen Dank für das Gespräch.