Herr Pflüger, erinnern Sie sich noch daran, was Sie am 28. Februar 2000 getan haben? 

Kaspar Pflüger: Sehr gut sogar! Damals war ich noch an der Uni, und an diesem Abend erzählten mir meine Eltern und Geschwister am Telefon, dass sie gerade etwas wirklich Krasses im Fernsehen gesehen hatten – gemeint war natürlich "Big Brother". Eine Woche später saßen wir dann alle gemeinsam vor dem Fernseher und haben gebannt zugeschaut. Rückblickend ist "Big Brother" für mich das letzte große TV-Ereignis, das wir als Familie zusammen verfolgt haben. Und jetzt schließt sich der Kreis. 

Herr Laux, wann haben Sie zum ersten Mal etwas von der Idee zu "Big Brother" gehört?

Rainer Laux: Definitiv vor Kaspar. (lacht) Ich war damals noch Magazin-Chef bei ProSieben und erinnere mich noch daran, dass John de Mol bei Georg Kofler war, um ihm das Format vorzustellen. Wie wir wissen, hat es die ProSieben-Gruppe letztlich nicht gekauft, sondern RTLzwei. Mein Glück war, dass John de Mol einen Mann suchte, der "Big Brother" von der redaktionellen Seite aus betrachtete. Er lud mich daraufhin ein, mir die holländische Version vor Ort anzuschauen – und weil das wirklich neues Fernsehen war, bin ich zu meinem damaligen Vorstand Ludwig Bauer gegangen, um den Sender nach zehn Jahren zu verlassen. 


Das Echo war damals immens und sogar der Bundestag beschäftigte sich mit "Big Brother". Wie haben Sie diese Phase erlebt? 

Laux: Es drohte der Untergang des Abendlandes, konnte man meinen. Fast alle sind damals auf den Zug aufgesprungen und kritisierten ein Format, das sie zu weiten Teilen gar nicht kannten. Das war schon verrückt, denn gefühlt schaute die ganze Welt auf uns, immerhin war Deutschland der erste große TV-Markt, der sich an "Big Brother" traute. Und weil es die Show hier weit gebracht hat, war das zugleich auch international der große Durchbruch. Ich habe damals sogar CNN ein Interview gegeben. (lacht) Rückblickend war das alles halb so schlimm – und wie wir heute wissen, steht das Abendland noch immer.

Welche Zutaten verhalfen "Big Brother" damals zum Erfolg?

Laux: Das Besondere an "Big Brother" war, dass es diese Art von Fernsehen bis dahin schlicht nicht gab. Plötzlich konnte man Menschen beim Leben zusehen, mit Liebe, Streit, Freude und sogar dem ersten Sex. Einen großen Anteil am Erfolg hatten sicher auch die Bewohner. Nicht umsonst erinnern wir uns heute noch an Zlatko, Jürgen oder Alex Jolig. Das war einfach ein guter Cast, da war alles dabei.

Pflüger: Die Geschichten, die sich zwischen den Leuten entspannen, waren menschliches Drama, bei dem du teilweise fassungslos vor dem Fernseher saßt. In dem Wissen, dass all das total echt war, war "Big Brother" so bahnbrechend. 

"Die Frage, was ein Mensch wert ist, ist gewissermaßen der 'Next Level'-Tabubruch."
Kaspar Pflüger

Heute gilt es längst nicht mehr als Tabubruch, Menschen von Kameras beobachten zu lassen. Wirkt "Big Brother" in seiner ursprünglichen Form dadurch im Jahr 2020 nicht seltsam aus der Zeit gefallen?

Pflüger: Ganz im Gegenteil! Denn wir docken bei der Neuauflage an die Stärken und den Tabubruch aus der ersten Staffel an und übersetzen diese in das Jahr 2020. Wir erweitern die Idee von "Big Brother" um den Aspekt der Bewertung von Menschen. Wir alle unterlaufen doch jeden Tag der Bewertung durch Algorithmen und andere Personen. Genau das zerren wir in der neuen Staffel aufs Tableau und machen es zum konkreten Inhalt der Show. Die Frage, was ein Mensch wert ist, ist gewissermaßen der "Next Level"-Tabubruch.

Wie wollen Sie diesen Tabubruch umsetzen? 

Pflüger: Wir geben den Zuschauern täglichen Einfluss auf das Geschehen in der Show. Und das auf eine Art, wie es sie in keinem anderen Reality-Format gibt. Bereits heute veröffentlichen wir erste Details über die Bewohner, und die Zuschauer können sie jeden Tag in der Sat.1-App bewerten. Und diese Bewertung wird sich direkt auswirken. "Big Brother" gibt also erstmals etwas von seiner Macht ab. 

Für Ihre Werbekampagne, in der das Bewerten von Menschen in den Mittelpunkt gestellt wird, wurden Sie stark kritisiert.  

Pflüger: Der Zusammenhang, in den die Kampagne gestellt wurde, ist total absurd, zeigt aber gleichzeitig, wie viel Emotionalität im Sozial-Experiment "Big Brother" nach wie vor steckt.

Gab es für das Konzept dieser Staffel internationale Vorbilder?

Laux: Nein, wir haben schon lange überlegt, wie wir das normale "Big Brother" wieder zurückbringen können. Die Idee zum neuen Konzept ist langsam gewachsen. Jetzt haben wir glücklicherweise eine Zeit, einen Ort und einen Sender gefunden und können die Idee endlich umsetzen.

Pflüger: Sie dürfen nicht vergessen, dass wir schon seit Jahren gemeinsam erfolgreich "Promi Big Brother" umsetzen. Aus unserem Austausch und den Erfahrungen unter anderem zum Thema Interaktivität ist Vieles in die Frage, wie wir "Big Brother" 2020 interpretieren, hineingeflossen.