Herr Kienle, mit dem Titel "Isi & Ossi" und der dazugehörigen Kurzbeschreibung könnte man direkt an einen generischen Genre-Film denken. Wieso sollte man ihre Komödie nicht sofort in eine Schublade stecken?

Immer, wenn ich mich an ein Drehbuch setze, nehme ich mir vor, alles ganz neu zu machen. Wenn man sich dann aber im Schreibprozess befindet, merkt man plötzlich, dass Geschichten nun mal nach einem bestimmten Muster funktionieren, die man nicht so einfach ignorieren kann. Selbst bei "Bad Banks" war es so, dass ich zwar gänzlich andere Ansätze verfolgen wollte, jedoch zuerst den Finanzthriller-Plot auf die Beine stellen musste. Es gibt einen Grund, warum es seit tausenden von Jahren eingefleischte Erzählmuster gibt, die immer wieder auftauchen. Jetzt konkret zu "Isi & Ossi": Auf den ersten Blick ist es genauso wie du sagst, auf den zweiten Blick erkennt man aber hoffentlich die Vielzahl der Themen, die ich mit dem Film behandeln wollte. Wie das immer so ist, müssen am Ende die Zuschauer entscheiden, ob ich das geschafft habe.

"Isi & Ossi" ist der erste Netflix-Film aus Deutschland. War der lokale Plot gewünscht, so wie Sie ihn am Ende umgesetzt haben?

Die grundsätzliche Idee für "Isi & Ossi" kam nicht, weil ich etwas über arm & reich in Deutschland machen wollte, sondern aus zwei Inspirationen heraus. Die erste war meine Faszination für Heidelberg & Mannheim. Ich habe in Ludwigsburg studiert, ständig in Stuttgart Kurzfilme, und später einen Stuttgarter "Tatort" und den Film "Die Vierhändige" gedreht. Eigentlich wollte ich aber immer in Mannheim drehen. Das ist für mich die spannendste Stadt, wenn es darum geht, in Baden-Württemberg zu produzieren. Heidelberg habe ich durch meine Recherche für "Bad Banks" besser kennengelernt, als ich mich intensiv mit Reichtum beschäftigte. Laut einer internationalen Statistik leben die meisten Milliardäre Deutschlands angeblich in Heidelberg. Warum wohnen die denn bitteschön in Heidelberg? Das hat mich einfach interessiert. Umso mehr als ich realisiert habe, wie nah beide Städte nebeneinander liegen. Die zweite Inspiration kommt aus meiner Kindheit. Da hatte meine Familie mehr Geld als die meiner Freunde. So viel Geld, dass ich teilweise Spielzeuge vor Freunden versteckt habe, weil ich mich geschämt habe, dass wir so viel mehr haben, als meine Kumpels aus dem eher klassischen Arbeitermilieu. Als ich Teenager war, wurde mein Vater jedoch krank, wir verloren unser Haus und standen ständig vor der Privatinsolvenz. Ich habe also beide Welten erlebt. In der Kombination aus beiden Dingen kam die Idee für den Film.

Wurde "Isi & Ossi" nun für Netflix konzipiert, oder hatten Sie schon länger den Plan, diese Geschichte umzusetzen?

Tatsächlich habe ich, als ich gerade die erste Staffel für "Bad Banks" geschrieben habe, parallel schon an "Isi & Ossi" gearbeitet. Mit dieser Serie und "Die Vierhändige", meinem letzten Kinofilm, musste ich in ziemlich düstere Gefilde absteigen. Da brauchte ich einfach mal Abwechslung. Aber wie das nun mal so ist, braucht man ein bis zwei Sender und bis zu fünf Filmförderungen, bis so etwas dann auch produziert werden kann. Selbst die Filmförderung aus Baden-Württemberg war skeptisch, wo du denkst: Wie viel Baden-Württemberg sollen wir denn noch erzählen, damit ihr das interessant findet? Es hat also schon wieder ziemlich nervig angefangen. Netflix ist nach der Premiere von "Die Vierhändige" zum ersten Mal auf mich zugekommen und hat mir damals schon gesagt, dass sie gerne eine Serie mit mir machen würden. Da wussten sie noch gar nichts von "Bad Banks" oder meiner "Isi & Ossi"-Idee. An einem Freitag Ende 2018 hab ich ihnen das Drehbuch zu "Isi & Ossi" geschickt und schon am Montag kam die Antwort: "Finden wir super, wollen wir machen." Eine Woche später war es komplett finanziert.

Welchen Klischees wollten Sie unbedingt aus dem Weg gehen?

Ich denke nicht explizit über Klischees nach. Es verhält sich immer so: Du versuchst, sie neu zu erfinden, da du sie so oder so erzählen musst. Bei "Bad Banks" war das genauso. Natürlich wollte ich nicht den koksenden Banker in die Kamera halten. Dann recherchierst du aber in den Kreisen und merkst, dass Drogen da nunmal eine gewisse Rolle spielen. Dann musst du das doch irgendwie reinkriegen. Die Leute sollen nicht immer denken, dass ich dann alle Banker als Kokser darstellen möchte. Dieser eine Typ kokst, die andere zum ersten Mal und nochmal jemand anderes gar nicht.

Oliver Kienle

Regisseur & Autor Oliver Kienle am Set von "Isi & Ossi"

Wäre der Film, so wie er geworden ist, auch etwas fürs deutsche Kino gewesen?

Ich glaube nicht, dass ich "Isi & Ossi" so ins Kino bekommen hätte. Die Besetzung, die Sprache, die Musik, die Länge ist zu unkonventionell.

Mit Yoshi Heimrath haben Sie zudem einen Kameramann, der ebenso unkonventionell arbeitet.

Er ist für mich mit einer der besten Kameramänner in Deutschland. Mit ihm habe ich lange darüber diskutiert, wie wir eine Genrekonvention frisch bebildern können. Wir haben uns 20 der letzten romantischen Komödien angeschaut und festgestellt, dass wir kaum inspiriert werden. Deswegen haben wir uns einfach selbst inspiriert und überlegt, wie wir diese beiden Welten aus arm & reich darstellen können. Wenn es um die Elite in Heidelberg geht, haben wir das Rationale, Steife betonen wollen und den teuren, luxuriösen Locations mehr Raum gegeben, fast erdrückend für die Figuren. Wenn wir in Mannheim waren, sollte alles ein bisschen bodenständiger sein: Handkamera, nah am Menschen, Locations im Hintergrund. Dann haben wir uns überlegt, wie wir diese beiden Welten visuell vereinen können und wieder mit technischen Details gespielt. Darüber haben wir uns tatsächlich sehr viele Gedanken gemacht.

Sie haben vorhin bereits verraten, dass das Drehbuch zu "Isi & Ossi" entstanden ist, während Sie noch an "Bad Banks" gearbeitet haben. Zwei völlig verschiedene Genres. Wie kann man sich freimachen, wenn man von der einen Thematik zur anderen springen muss?

Ein Thema zumindest hat mich bei beiden Projekten beschäftigt: Reichtum. Bei der Recherche hat es mich fasziniert, wie anders es ist, in Deutschland reich zu sein, als beispielsweise in den USA oder Russland. In Deutschland ist es verpönt, reich zu sein. Das finde ich sehr sympathisch, dass es hierzulande uncool, fast ordinär ist, reich zu sein. Es ist doch vollkommen absurd, wie die reichen Deutschen ihr Hab & Gut verstecken müssen, um nicht geächtet zu werden. Vom Arbeiten her war es also total angenehm für mich, da ich dieses Thema in "Bad Banks" mit vollkommener Ernsthaftigkeit betrieben habe und bei "Isi & Ossi" etwas lockerer und ironischer sehen konnte. Deswegen musste ich mich auch nicht freimachen, da mir meine Gedanken bei beiden Projekte geholfen haben. Generell habe ich für mich gemerkt, dass ich nicht an drei Projekten gleichzeitig arbeiten sollte. Zwei sind noch in Ordnung.

Der Film läuft morgen am Valentinstag an: Wenn Sie die Sinnesaussage des Films zum Thema Liebe zusammenfassen müssten, wie würde sie lauten?

Während Isi in ihrer Schulzeit komplett überfordert war, war Ossi in seiner total unterfordert. Dass sich die beiden quasi in der Mitte finden und gegenseitig stützen und zeigen, wie sie das Leben des anderen verbessern und bereichern können, ist für mich eine essenzielle Form von Liebe. Wir alle versuchen uns irgendwie zu verwirklichen und der Film soll zeigen, dass viele Menschen in eine bestimmte Richtung "gedrückt" werden. Gerade dann braucht es andere Menschen, die uns in dieser Situation helfen und mit ihrer Zuneigung einen Weg zeigen, den wir alleine möglicherweise nicht zu sehen bekommen.

Warum braucht eine Person diese Hilfe, die reich in die Welt geboren wird?

Weil ich nach meiner Recherche daran glaube, dass es für ein Kind furchtbar ist, mit unendlich viel Geld aufzuwachsen. Niemand sollte in einer Wohlstandsgesellschaft in Millionenhöhe erben. Das hilft den Leuten nicht. Dadurch wird niemand glücklich. Es sollte Dinge geben, von denen man erst noch träumen muss. Glücklich macht uns die langsame, schrittweise Verbesserung der Lebensumstände. Von Anfang an alles zu haben, macht daher erstens unglücklich, zweitens hindert es einen daran, herauszufinden, wer man ist und was man in dieser Welt wirklich erreichen möchte. Ich habe intensiv über dieses Thema recherchiert und ganz wenige Gegenbeispiele kennengelernt.

Herr Oliver Kienle, danke für das Gespräch.

Die 113-minütige Romcom "Isi & Ossi" steht ab dem 14. Februar bei Netflix zum Streaming zur Verfügung.