Herr Bolten, zehn Jahre nach Ihrem Abschied von Sat.1 sind Sie inzwischen wieder auf Senderseite verantwortlich – diesmal für DMAX, TLC, HGTV sowie die Pay-TV-Kanäle Discovery Channel und Animal Planet. Weshalb haben Sie noch einmal diesen Seitenwechsel vorgenommen?

Ich habe zehn Jahre lang sehr gerne als Produzent gearbeitet. Auf der Produzentenseite ist man allerdings immer ein Stück weiter weg vom Nutzer als beim Sender, der einen direkteren Draht zu den Zuschauern hat. Dazu kommt der tägliche Thrill der Quoten (lacht). Generell sind beide Seiten wahnsinnig spannend. Und im Zweifel versteht man Produzenten besser, wenn man deren Herausforderungen selbst einmal über einen längeren Zeitraum erleben durfte. Diese Zeit war daher eine unglaubliche Bereicherung für mich. 

Wie hat sich der Markt in diesen zehn Jahren aus Ihrer Sicht verändert?

Das Handwerk ist ähnlich geblieben, allerdings ist die entscheidende Auseinandersetzung mit all den Anbietern und Plattformen, die um Nutzer und Zuschauer wetteifern, sehr viel schwieriger geworden. Der neue Konkurrenzkampf führt allerdings auch dazu, dass die Angebote nicht nur vielfältiger, sondern inhaltlich meist besser sind als noch vor zehn oder 20 Jahren.

Generell haben kleinere Sender massiv an Bedeutung gewonnen, was Ihnen bei Discovery ja ganz recht sein dürfte.

Das ist tatsächlich die DNA von Discovery, nämlich speziellen Zielgruppen spezifische Angebot zu machen. So sprechen wir mit TLC stärker die Frauen an, mit HGTV alle, die sich für das eigene Heim, Gestalten, Design und Häuser interessieren und mit DMAX die Zuschauer, die die Genres Abenteuer, Motor, Entertainment, Lifestyle und Wissen lieben. Glücklicherweise habe ich fünf starke Marken inhaltlich übernehmen dürfen, die sehr klar positioniert sind – das habe ich in der Vergangenheit durchaus schon anders erlebt. Und wir freuen uns, dass wir mit unserem Angebot und dieser klaren Positionierung unsere Zuschauer erreichen - das zeigt sich auch daran, dass der Gesamtmarktanteil unserer Free TV-Sender wächst. Alleine TLC hat im vergangenen Jahr 0,2 Prozentpunkte hinzugewonnen. 

Wie spitz darf das Programm denn werden, wenn man Free-TV-Sender betreibt?

Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gefragt hätten, ob es einen Sender für Angler geben wird, dann hätte ich das sicher nicht für möglich gehalten – doch fragmentiert sich das Bewegtbildangebot immer stärker und bietet auch ganz speziellen Fangruppen ihre Kanäle. Generell wird es sicherlich nicht leichter werden, weitere Free-TV-Sender zu starten, auch wenn es jüngst mit HGTV und Vox Up geschehen ist. Ohnehin ist es ja längst kein reines Free TV-Spiel mehr, es geht um die Distribution von Brands auf allen denkbaren Ausspielwegen. Diese Strategie der Multiplattform-Ausspielung von Sendermarken und Inhalten, verfolgt Discovery ja bereits seit langem erfolgreich – HGTV ist da der jüngste wichtige Baustein. 

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Sendern?

Zunächst einmal habe ich ein starkes Team kennengelernt, das mit viel Kreativität und Energie daran arbeitet, neue Ideen, neue Formate und neue Gesichter zu finden und zu entwickeln. Dieses tägliche "Mehr", das uns antreibt, ist eine wichtige Basis für mein Team und für weitere Erfolge - steigende Quoten machen morgens einfach bessere Laune. (lacht) 

Sie sprechen von Erfolg – was wollen Sie konkret erreichen?

Mit TLC wollen wir perspektivisch die Ein-Prozent-Marke knacken. Mit den neu eingeführten Medical-Themen haben wir im vorigen Jahr stellenweise eine halbe Million Zuschauer erreicht. Dieses Genre behalten wir bei – ebenso wie Crime. Dazu ergänzen wir das Programm mit neuen Formaten rund um Themen wie Liebe, Dating, Beziehungen, und Mystery und bieten damit eine sehr lebensnahe bunte Mischung, die unsere Zuschauer lieben. Mit DMAX haben wir nach wie vor die zwei-Prozent-Marke im Visier – in einem Mega-Sportjahr wie diesem dürfte das allerdings sehr schwer werden, aber mittelfristig bleibt das unser Ziel. 

Die zwei Prozent sind schon lange erklärtes Ziel, konnten aber bislang nie dauerhaft erreicht werden.

Schon in den letzten beiden Jahren haben wir deutlich mehr Eigenproduktionen auf den Weg gebracht, so viele wie kein anderer Sender der dritten Generation. Und diese haben zu einem sehr großen Teil ausgesprochen gut performt. Drei von vier Formaten, die wir in Staffeln schicken, liegen über dem Senderschnitt – das ist eine tolle Erfolgsquote, um die uns andere Wettbewerber sicher beneiden. Außerdem blicken wir mit 1,9 Prozent Marktanteil und einer gestiegenen Netto-Reichweite dank unserer neuen Formate wie "Deutschland 24/7", "Helden der Baustelle" und "Abenteuer Autobahn" auf die erfolgreichste Access zurück, die DMAX je hatte. Daher werden wir weiter in diesen Weg investieren.

"DMAX bleibt eine Insel aus Stahl in einer Welt aus Plastik."
Guido Bolten

Was muss ein Vorabend-Format mitbringen, um für DMAX interessant zu sein?

Unsere Zuschauer schätzen einen Informationszugewinn– sie wollen also etwas mitnehmen, wenn sie einschalten. Das unterstützt auch eine aktuelle Studie des Monheimer Instituts. Gleichzeitig dürfen die Formate um diese Uhrzeit keine derartige Komplexität haben, dass man nebenbei nicht auch noch etwas anderes tun kann. Hinzu kommt die Herausforderung, spannende Protagonisten zu finden. Viele Reportagen, gerade bei "24/7", wären sicher nicht so erfolgreich gewesen, wenn hier nicht so viele gute Charaktere mitwirken würden - Stichwort „character driven“: Das gilt natürlich auch für die Primetime, wo wir gerade Sidney Hoffmann für uns gewinnen konnten, den die Zuschauer in "Sidneys Welt" sehr authentisch erleben werden. Das ist ein kerniger Typ – und er hat einen Schalk im Nacken. Ich bin davon überzeugt, dass er Männer und Frauen gleichermaßen anspricht. Neben "Sidneys Welt" haben wir für DMAX dieses Jahr zehn neue Formate allein im Bereich Eigenproduktionen in der Pipeline – wir sind damit sowohl in der Access als auch der Primetime bestens aufgestellt. 

Bedeutet das eine Abkehr vom Männersender?

Die Geschichte vom klassischen "Männersender" ist etwas auserzählt. Wir müssen das nicht immer wieder betonen, die Marke DMAX ist zudem mit über 90 Prozent Awareness hinreichend bekannt. Und natürlich dürfen nicht nur die Männer einschalten. Unser Ziel ist es, den Markenkern und die Markenwerte von DMAX beizubehalten, aber den Sender behutsam weiterzuentwickeln, inhaltlich noch etwas breiter aufzustellen und dabei immer unique zu bleiben. Das bedeutet auch, in unseren Formaten nicht nur Männer zu begleiten. Aber unser Fokus bleibt immer "echt und factual", wie es auch unsere jüngste Kampagne "Bleibt echt!" betonte. Wie sagen wir intern immer: "DMAX bleibt eine Insel aus Stahl in einer Welt aus Plastik". (lacht) 

Da müssen Sie fast traurig sein, dass die "Trucker Babes" bei Kabel Eins laufen.

Die "Trucker Babes" hätten sicher gut zu DMAX gepasst. Mit "Supercar Blondie" haben wir jetzt allerdings im neuen Motor-Montagabend Line-Up, zu dem auch "Sidneys Welt" gehört, ein spannendes Format. Hier fahren wir mit eine toughen Australierin vor, die auf der ganzen Welt unterwegs ist, um Autos zu testen – und die alles andere als nur blond ist. 

Welche Rolle sollen Eigenproduktionen perspektivisch bei TLC spielen?

Eigenproduktionen sind ein Treiber, keine Frage. Bei TLC wird das aber vorerst nicht in dem Maße stattfinden wie bei DMAX. Aktuell arbeiten wir unter anderem an einer Koproduktion mit Joyn, die anschließend bei TLC laufen wird. Außerdem planen wir noch für dieses Jahr die Adaption des israelischen Formats "Sex Tape", in der zweiten Jahreshälfte folgen drei weitere Formate mit bekannten Persönlichkeiten vor der Kamera – da ist die Tinte unter den Verträgen allerdings noch nicht trocken. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass TLC auch mit dem Programm, das wir in großer Fülle von unserem Mutterkonzern beziehen können, noch weiter wachsen wird. Zudem haben wir 2020 für TLC einige vielversprechende Akquisen getätigt. Hier werden wir zum Beispiel mit "Below Deck Mediterranean" eine fast dokusoapartige Serie über die Crew einer Luxusyacht ausstrahlen oder im Bereich Crime "Autopsie USA" zeigen, eine Serie, die Todesfälle berühmter Leute wie zum Beispiel Marlon Brando, Hugh Hefner oder Audrey Hepburn aufrollt und die Ursachen analysiert.

Bei HGTV setzen Sie bislang ausschließlich auf internationale Formate. Wird sich das auf absehbare Zeit ändern? 

In der zweiten Jahreshälfte bringen wir unsere ersten beiden Eigenproduktionen mit bekannten deutschen Hosts an den Start, die mit schönen Häusern und Gestalten zu tun haben. Sie sehen: Wir hören nicht auf zu investieren! 

Herr Bolten, vielen Dank für das Gespräch.