Herr Domian, glauben Sie an Schicksal?

(überlegt) Nein.

Ich frage deshalb, weil Sie in Ihrer neuen Sendung eigentlich Ihre Gäste sehen wollten. Corona zwingt Sie nun aber dazu, wieder mit ihnen zu telefonieren. 

In diesem Fall würde man ja von einer höheren Ordnung ausgehen, die etwas Bestimmtes im Schilde führt. Das wäre sehr Metaphysisch, so weit würde ich nicht gehen wollen. Aber es ist schon kurios, dass sich diese Situation, bedingt durch die Corona-Krise, nach nur wenigen Ausgaben so ergeben hat.

Wann entstand die Idee, wieder mit Anrufern auf Sendung zu gehen?

Wenige Tage, nachdem der Shutdown verkündet worden ist, kam der WDR mit dem Vorschlag auf mich zu, in der früheren Call-In-Sendungsform auf die Ereignisse zu reagieren. Der Sender hat ausgesprochen schnell und toll reagiert, weil diese Sendung gerade in besonderem Maße dem Bedürfnis der Menschen entspricht. Die Umsetzung der ersten Sendung erfolgte dann innerhalb weniger Tage.

Wie verlief der erste Anruf nach so langer Zeit?

Ich war sofort wieder drin, als wäre ich nie weg gewesen. Es lief dann glücklicherweise auch sensationell gut. Die Resonanz in den sozialen Medien war geradezu spektakulär, ganz zu schweigen von den vielen Anrufern, die mit mir in der Sendung sprechen wollten. Das zeigt mir, dass in solchen Zeiten ein großer Redebedarf vorhanden ist.

Was bleibt Ihnen von den Gesprächen der vergangenen Wochen in besonderer Erinnerung?

Es geht um eher alltägliche Dinge, die im Radio und Fernsehen oft gar nicht thematisiert werden. Mich rief eine schwerstkranke Frau an, die den ganzen Tag im Bett liegen muss. Eine andere Frau erzählte von ihrem dementen Mann. Sie darf ihn im Heim nicht mehr besuchen und hat nun Angst, dass er sie in einigen Wochen nicht mehr erkennt. Das hat vieles relativiert. Den meisten von uns geht es in der jetzigen Situation doch noch einigermaßen gut, wobei mir natürlich klar ist, dass viele Menschen momentan unter Existenzängsten leiden und enorm belastet sind. Meine alte Mama, die den Krieg noch erlebt hat, sagte kürzlich: "Wir haben doch zu essen und eine Wohnung." Dieser Satz hat mich sehr beeindruckt.

Hat sich Ihre Rolle verändert?

In unseren Sendungen bin ich momentan eher der Zuhörer, weil ich den Eindruck habe, dass die Leute nach einer Plattform suchen, um ihre Sichtweise darzustellen. So wie die Hure, die in der vorigen Woche bei mir anrief. Wer denkt in diesen Tagen schon darüber nach, in welcher Situation sich diese Frauen befinden?

Was ist heute anders als in all den Jahren zuvor?

Den Themenschwerpunkt einer Pandemie gab es noch nie – daher steckte in den Gesprächen eine ganz andere gesamtgesellschaftliche Ernsthaftigkeit als bisher. Wir haben keine Spaßanrufe gehabt oder über schräge Sexpraktiken gesprochen. Ansonsten fühlt sich die Sendung nicht viel anders an als früher, weil sie doch sehr puristisch ist. Wir haben nur zwei Kameraleute, die ich fast nicht sehe, weil es so dunkel ist. Neu ist der Dialog mit unserer Psychologin Heide Schweizer, der mir sehr gut gefällt. Es ist praktisch, während eines Interviews direkt Fachwissen abrufen zu können. Wir haben den Eindruck, dass das auch beim Publikum gut ankommt.

Wie sieht der weitere Fahrplan für Ihre Sendung auf? Sie haben die Schlagzahl in den vergangenen Wochen ja spürbar erhöht.

Wir werden an diesem Freitag noch mal einen Call-in machen, aber wir öffnen uns thematisch, d.h. wir können über Corona reden und über alle anderen Themen auch. Danach versuchen wir mit der Vis-a-vis-Talkshow wieder in einen regulären Modus zu kommen.

Sind darüber hinaus weitere Call-in-Sendungen denkbar?

Ich wäre dazu bereit, keine Frage. Die Krise lehrt uns, dass wir im Moment stets flexibel reagieren müssen. 

Sind die Vis-a-vis-Gespräche so verlaufen wie Sie sich das erhofft haben? 

Absolut, das Konzept hat gut funktioniert. Es ist für mich ein tolles Gefühl, dass die Menschen mit sehr intimen und persönlichen Angelegenheiten bereit sind, in die Sendung zu kommen. Aber natürlich ist es ein anderes Format, das man mit den früheren Sendungen schwer vergleichen kann. 

Worin liegt der Unterschied?

Der Unterschied liegt darin, dass mir die Menschen abgeschlossene Geschichten erzählen wollen. In meinem früheren Call-in-Format riefen dagegen viele Menschen an, die sich in einer Notsituation befanden und sich eine Beratung wünschten. Ich bin aber davon überzeugt, dass mit einer regelmäßigeren Frequenz auch verstärkt Menschen mit einem Beratungswunsch in die Sendung kämen als das bei einer monatlichen Ausstrahlung der Fall ist.

Sie wünschen sich also eine höhere Schlagzahl?

Wenn es nach mir ginge, könnte die Sendung gerne häufiger stattfinden – schon alleine, weil man die Menschen dann besser an das Format gewöhnt. Mir macht die Sendung wahnsinnig viel Spaß und mein Team ist hoch motiviert. Aber ich freue mich natürlich sehr, dass der WDR nach unseren Probeläufen im November letzten Jahres sofort im Januar mit "Domian Live" weitergemacht hat. Das war eine äußerst engagierte Entscheidung.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie sehr gut alleine sein können. Wie gehen Sie persönlich mit der sozialen Isolation um?

Natürlich vermisse ich das Treffen mit Freunden oder den Abend in einer Bar. Aber ich habe freiwillig und unfreiwillig schon sehr viel Einsamkeit erlebt. Das war ein gutes Training. Wie zum Beispiel auch meine alljährlichen Lappland-Reisen. Dort lebe ich viele Wochen ganz alleine in einem Blockhaus in der Wildnis. Ich schweige, wandere und schlafe. Damit verglichen, ist das Leben hier im Moment für mich äußerst abwechslungsreich. Ich arbeite viel, kommuniziere mit einer Menge Menschen und telefoniere mit meinen Freunden. Also alles im durchaus erträglichen Bereich. 

Herr Domian, vielen Dank für das Gespräch.