Herr Hallaschka, "Stern TV" feiert 30-jähriges Jubiläum, Sie moderieren die Sendung nun auch schon seit fast zehn Jahren. Was meinen Sie? Schaffen wir ein Interview, ohne das Wort "Wundertüte" zu benutzen? So umschreiben Sie die Sendung gern.

Steffen Hallaschka: Sie haben ja schon verloren! Ich hätte auch noch ein mannigfaltiges Repertoire an Worten, um "Stern TV" zu beschreiben. Aber wir bemühen das Bild nicht ohne Grund und es wird auch in der Jubiläumssendung vorkommen. Es sagt in einem Wort sehr viel über die Sendung aus. Schon Henri Nannen hat es bemüht, um den gedruckten "Stern" zu beschreiben. Das gab es vorher nicht: Ein Blatt mit einem boulevardesken Titel, innen drin aber mit politischen Interviews, Kreuzworträtsel, einem Text zu Küche und Ernährung und dann noch mit einem Urlaubstipp, einer Medizingeschichte und einem Cartoon. Diese bunte, überraschende Mischung war die Blaupause für "Stern TV".

"Stern TV" war schon immer eine Mischung aus Magazin und Show. Hat sich das in den vergangenen Monaten durch Corona verändert?

Wir bemühen uns von Woche zu Woche um eine gute Mischung, damit man auch mal durchatmen und lachen kann. Aber tatsächlich waren die Sendungen zwischen März und Sommer sehr besonders, weil die Pandemie alles überstrahlt hat und wir meist monothematisch unterwegs waren. Wir mussten uns mit der Zeit erst wieder freischwimmen und haben irgendwann festgestellt, dass man auch in Corona-Zeiten Tischgrills und Akkustaubsauger testen kann. Aber auch da mussten wir lernen, wie das funktioniert, wenn man Abstand halten muss und kaum jemanden zu Hause besuchen darf. Schrittweise haben diese Farben dann wieder Einzug in die Sendung gehalten. Aber ja, die klassische Rezeptur ist uns zugunsten der Aktualität zeitweise abhanden bekommen, das holen wir uns jetzt zurück. Ich bemerke aber, dass die letzten Jahre in Deutschland tendenziell ernster geworden sind. Das hat sich auch in der Sendung widergespiegelt.

Wie meinen Sie das?

2015 hat die ganze Flüchtlingsthematik begonnen, dann haben wir auch viel über Rechtsextremismus diskutiert. Da waren wir wahrscheinlich etwas weniger bunt als in den Jahren zuvor. Aber trotzdem würde ich das Etikett Wundertüte immer noch draufkleben.

"Ich bemerke, dass die letzten Jahre in Deutschland tendenziell ernster geworden sind. Das hat sich auch in der Sendung widergespiegelt."

2020 ist durch Corona noch einmal sehr besonders. Wie erleben Sie das Jubiläumsjahr?

Für mich ist es ein komplett bizarres Jahr. Fernsehen ist Teamarbeit und es gehört dazu, dass man sich mehrmals täglich an einen Tisch setzt und brainstormt. Jetzt habe ich mein Büro seit März nicht mehr gesehen und den Konferenzraum seitdem nur noch in Videoschalten. Um stabil weiterarbeiten zu können, haben wir Abstands- und Hygieneregeln sehr ernst genommen. Ich bin als Moderator in gewisser Weise eine Schlüsselfigur. Es sollte natürlich niemand im Team ausfallen, der Moderator aber erst recht nicht. Deswegen habe ich mich besonders auf Distanz gehalten und viel aus dem Home Office gearbeitet. Ich pendle auch immer von Hamburg nach Köln, da bin ich vom Zug auf das Auto umgestiegen. Ich warte auf den Tag, an dem das alles wieder vorbei ist. Es ist keine große Freude, so zu arbeiten. Aber die Sendungen sind deshalb nicht schlechter geworden.

Und dennoch sind die Sendungen anders. Sie verzichten nach wie vor auf das Publikum, obwohl das wieder erlaubt wäre. Wieso ist das so und welchen Einfluss hatte das auf die Sendung?

Rein rechtlich wäre Publikum wieder erlaubt, wir sind da aber gerne etwas vorsichtiger. Es ist ja niemandem geholfen, wenn es nach der dritten oder vierten Sendung einen Fall gibt. Ich habe ja selbst erlebt, wie schnell es gehen kann, als ich wegen eines Corona-Falls im Umfeld der Sendung in Quarantäne geschickt wurde. Weil wir also nicht riskieren wollen, als wöchentliche Live-Sendung lahmgelegt zu werden, wird es erst einmal dabei bleiben, dass wir ohne Publikum senden. Einzige Ausnahme ist die Jubiläumssendung, in der wir uns Publikum gönnen. Alle Besucher, und auch alle anderen Personen, die das Studio betreten, werden dann am Tag der Sendung aktuell auf das Coronavirus getestet. So haben wir die Möglichkeit, eine Sendung zu machen, die dem Anlass angemessen ist.

"Für mich ist es ein komplett bizarres Jahr."

Haben Sie vor zehn Jahren eigentlich gedacht, dass Sie die Sendung so lange moderieren werden?

Damals habe ich mir gedacht: Günther Jauch hat es 20 Jahre lang gemacht, dann moderiere ich die Sendung mindestens 21 Jahre (lacht).  Aber im Ernst: Das war damals für alle Beteiligten ein Sprung ins kalte Wasser und niemand wusste, ob das gut geht. "Stern TV" war Jauch und Jauch war "Stern TV". Es gab immer zwei Dinge, die mich optimistisch gestimmt haben. Wenn ich mal nach dem dritten Bier gefragt wurde, was ich im Fernsehen noch machen will, habe ich all die Jahre geantwortet: "Stern TV". Als das Angebot dann kam, hatte ich ein gutes Gefühl.

Und was war die zweite Sache?
Das war die Tatsache, dass mich niemand auf dem Zettel hatte. Immer wenn bekannte Namen eine Nachfolge antreten, ganz egal in welchem Bereich, dann sind die Messer gewetzt und die Kritiken schon geschrieben. Ich kam ganz elegant aus der zweiten Reihe, kein Medienjournalist oder Zuschauer, außer die des NDR, hatten mich auf dem Zettel. Das war eine Luxus-Situation. Ich könnte ganz neu anfangen und jeder musste erst einmal unvoreingenommen gucken, bevor er sich aufregen konnte. Nach der ersten Sendung habe ich dann schon anhand des Feedbacks und der Kritiken gemerkt, dass das funktionieren könnte. Der Abschiedsschmerz war zwar da, aber ich habe Wohlwollen gespürt. Aber dennoch habe ich ein halbes Jahr mahnende Mails bekommen, weil ich, anders als Jauch, auf die Krawatte verzichtet habe.

Weil Sie die Kritiker angesprochen haben: Wie ist heute Ihr Verhältnis dazu? Ist Ihnen die Meinung wichtig? Lesen Sie die Texte?

Das interessiert mich und ich lese auch in den sozialen Netzwerken, wie die Zuschauer die Sendung wahrnehmen. Es wäre gefährlich, einfach nur sein Ding zu machen und sich in eine Überheblichkeit zu verabschieden, in der man glaubt, dass es egal ist, was die Zuschauer denken. Für Medienkritiken braucht man schon eine besondere Brille, die ich mir inzwischen aber auch zugelegt habe. Da darf man sich negative Kritik nicht so zu Herzen nehmen. Genauso darf man Lob nicht überbewerten. Man sollte sich von so etwas nicht abhängig machen. Kompetente Medienjournalisten sind am Ende des Tages individuelle Zuschauer mit einem Recht auf Einzelmeinung. Ich habe aber in den letzten Jahren auch festgestellt, dass wir bei "Stern TV" gar nicht so viel Kritik bekommen.

Die Bürde der Gewohnheit?

Die Sendung schwimmt bei vielen Kritikern nach 30 Jahren einfach so mit. Da fliegen wir unter dem Radar und werden von vielen Medienjournalisten gar nicht so sehr wahrgenommen. Daran leiden wir manchmal, aber profitieren auch davon. Ich habe schon öfters die Beobachtung gemacht, dass bestimmte Themen oder Gäste in anderen Sendungen groß besprochen oder gefeiert wurden, die wir schon Wochen zuvor bei "Stern TV" hatten. Wir haben Debatten angezettelt, die von Medienjournalisten gar nicht begleitet wurden.

Haben Sie ein Beispiel?

Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, wie mit AfD-Politikern in Talkshows umgegangen wird. Wenn das bei Maischberger, Jauch oder Plasberg stattgefunden hat, hat sich das Feuilleton teilweise tagelang darüber ausgelassen. Ich habe im vergangenen Jahr einen lebhaften Talk mit Jörg Meuthen gehabt. Mit einem Tag Verzögerung hatte das ein Medium aufgegriffen, sonst fand das aber überhaupt keine Beachtung. Dabei war das wirklich ein Gespräch mit besonderer Intensität. Ich will da gar nicht jammern, aber das ist ein wenig das Schicksal von "Stern TV". Bei vielen Kollegen haben wir das Etikett der "Gebrüder Leichtfuß" abbekommen, die mit Boulevard und gefühligen Themen punkten. Das, was wir journalistisch leisten, wird oft nicht gesehen von den Kollegen. Vielleicht auch, weil man es bei uns nicht vermutet. Bei den Zuschauern ist das zum Glück anders, die schalten Woche für Woche ein. Das ist Bestätigung genug.

Steffen Hallaschka und Günther JauchDa ist sie wieder, die Wundertüte. 

Gab es in den vergangenen zehn Jahren rund um "Stern TV" kritische Momente? Ich erinnere mich an ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2014, das es RTL erlaubte, die Sendung aus dem Programm zu nehmen. Die Sendung lief damals teilweise noch unter einer Drittsende-Lizenz. Zwei Ausgaben wurden gestrichen, danach ist die Ausstrahlung wieder verpflichtend geworden.

Das gehört zu den kurioseren Geschichten, die ich erlebt habe. Damals ist das während unserer Sommerpause passiert, ich war also ohnehin im Urlaub. Die Sendungen, die nicht gezeigt wurden, lagen aufgezeichnet in der Schublade. Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es also zwei "Stern TV"-Sendungen, die nie ausgestrahlt wurden. Das war ärgerlich und schade um die geleistete Arbeit, aber letztendlich hat es vor allem Verwirrung gestiftet. Es hat sich langsam das Gerücht verbreitet, wir wären abgesetzt worden. Ich habe viele besorgte Anrufe bekommen und meine Frau wurde beim Einkaufen darauf angesprochen. Nach zwei Wochen war der Spuk dann aber auch wieder vorbei. Das hat zu keinem Zerwürfnis geführt, mittlerweile sind wir ja eine lupenreine Auftragsproduktion.

"Bei vielen Kollegen haben wir das Etikett der 'Gebrüder Leichtfuß' abbekommen."

Gibt es einen Moment, auf den Sie in den letzten zehn Jahren von "Stern TV" gerne verzichtet hätten?

(überlegt) Eigentlich nicht. Weil ich diesen ganzen Wahnsinn einer fast zweistündigen Live-Sendung liebe, auch mit den ganzen Ecken, Kanten und Pannen. Natürlich gab es Sendungen, nach denen ich mit Gästen noch lange diskutiert habe, weil ein Gespräch in die falsche Richtung gegangen ist. Aber auch das gehört dazu. Und es gab auch immer wieder ernste und traurige Themen, die wir besprochen haben, bei denen ich mir gewünscht hätte, sie wären so nicht passiert. Die Sendung nach dem Germanwings-Absturz war so etwas. Aber das ist unser Auftrag und es ist ein Geschenk, dass wir so etwas journalistisch aufbereiten dürfen.

Anfang des Jahres haben Sie "Alles auf Freundschaft" mit Tim Mälzer und Sasha moderiert. Haben Sie Ambitionen, künftig mehr im Show-Bereich zu machen?

Unterhaltung macht mir riesige Freude und auch dieses spezielle Format war wirklich toll, weil ich die beiden schon seit längerer Zeit kenne. Insofern hat das gepasst, das war eine abwechslungsreiche, manchmal alberne und leichtfüßige Show. Ich hoffe sehr, dass sich speziell für dieses Format eine Fortsetzung findet und ich auch generell in der Programmfarbe weiter machen darf, wenn das Format zur mir passt. Wie so vieles ist wegen Corona erst einmal alles auf Eis gelegt worden. Momentan ist deswegen nicht abzusehen, wann dieses Unterhaltungsabenteuer wieder Fahrt aufnimmt. Ich stehe aber bereit.

"Ich würde mich freuen, wenn ich künftig verstärkt auch außerhalb des Mittwochabends stattfinden würde."

Sie haben Anfang des Jahres auch "Falsche Polizisten" bei RTL moderiert. Gibt es künftig also mehr Steffen Hallaschka in der RTL-Primetime?

Das ist der erklärte Wunsch von beiden Seiten. Ich bin seit zehn Jahren ein RTL-Gesicht und würde mich freuen, wenn ich künftig verstärkt auch außerhalb des Mittwochabends stattfinden würde.

Sie sind aber nicht nur bei RTL zu sehen. Ende 2019 hat der WDR Ihren Meinungstalk "Die letzte Instanz" erstmals im TV gezeigt, davor war das eine Bühnen-Veranstaltung in Hamburg. Wie geht es da weiter?

Bei den Live-Veranstaltungen in Hamburg hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht, da gibt es dieses Jahr gar keine Shows. Für den WDR bereiten wir gerade eine zweite Staffel vor. Ich klopfe da mal auf Holz und hoffe, dass wir das machen können. Das Format lebt ja auch von der Publikumsbeteiligung. Ob und wenn ja wie wir das Publikum einbinden, müssen wir dann sehen.

Zum Abschluss noch eine wichtige Frage zur Zukunft von "Stern TV". Der Vertrag mit Joey Kelly für die nächsten zehn Jahre ist schon unterschrieben, oder?

Wir sind ja mit der ganzen Kelly Family auf eine gewisse Art verheiratet (lacht). In den 90er Jahren habe ich in meinen Sendungen immer versucht, einen Kelly-Witz unterzubringen. Und heute sitzen sie regelmäßig bei mir im Studio. Das darf gerne so weitergehen. Ich finde, das ist eine interessante Familie mit spannenden Köpfen. Gerade Joey, mit seinem nicht versiegenden Abenteuergeist. Der bringt uns immer neue Ideen, die er realisieren will. Und wenn ich recht informiert bin, ist die nächste Joey-Kelly-Abenteuergeschichte schon in der Produktion. Joey prägt eine der vielen Facetten der Sendung und daran merkt man, dass scheinbar kein Puzzleteil zum anderen passt. Und deswegen wird am Ende… die Wundertüte daraus (lacht).

Herr Hallaschka, vielen Dank für das Gespräch!