Herr Bartl, pünktlich zu Ihrer Agentur-Tour erreicht RTLzwei den besten Monatsmarktanteil seit langer Zeit. Hätte nicht besser kommen können in diesem sonst schwierigen Jahr oder?
Ja, das tut gut. Wir freuen uns sehr über den starken Marktanteil im September, auch dank der Performance von „Love Island“. Das war für mich die herausragendste Staffel bisher, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen mit allen Sicherheitsmaßnahmen und Hygienevorschriften. Es war ja zuvor noch nicht bewiesen, dass man unter diesen Umständen überhaupt produzieren kann. Ich möchte da dem Team von ITV Studios und unseren Kolleginnen und Kollegen ein riesiges Kompliment machen. Das war großes Entertainment, trotz des Schrecks gleich am ersten Tag einen Corona-Fall bei unserer Moderatorin Jana Ina Zarrella zu haben.
Zweifelt man dann daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben?
Nein, wir waren ja auf so einen Fall vorbereitet. Unsere Schutzmaßnahmen waren wirklich umfassend und sehr detailliert, und sie haben sich schlussendlich bewährt. Vielleicht hat es auch geholfen, dass wir zusätzlich noch ein paar Gebete gesprochen haben.
Die jetzige Staffel von „Love Island“ lief erfolgreicher als im Vorjahr - trotz eines Überangebots an Realityformaten. Ist das der Wunsch nach Eskapismus?
Gerade weil es viele vergleichbare Formate gibt, greift Eskapismus als Erklärung zu kurz. Das Genre entwickelt sich in der Tat etwas inflationär – auch deshalb, weil „Love Island“ der Trendsetter war. Wir haben uns natürlich gefragt, welche Auswirkungen das auf „Love Island“ haben wird. Am Anfang lagen die Zahlen auf Vorjahr, aber sind dann angezogen. Dafür gibt es viele Gründe: Das Format ist originell, unverwechselbar und eine internationale Marke. Das ist Unterhaltung mit Präzision: Vom Casting über den Schnitt und den Musikeinsatz bis zum Kommentar. Ich bin auch stolz darauf, dass die großen und kleinen Geschichten der Islander zwar oft mit feiner Ironie, aber immer respekt- und liebevoll erzählt werden. Das ist alles voll auf den Punkt. Steigende Quoten innerhalb einer Staffel sind ein Beleg dafür, ebenso wie der großartige Erfolg auf allen digitalen Plattformen, getrieben durch die Expertise unserer Teams bei RTLzwei. Wie ganzheitlich „Love Island“ als Multi-Channel-Marke funktioniert, das hebt uns ab. Und wir können, wie die Fans auch, nicht genug bekommen von „Love Island“.
Mit welcher Konsequenz?
Wir freuen uns ab 2021 auf eine weitere Ausgabe von „Love Island“, wie es die Briten schon gemacht haben, und werden damit, sofern die Pandemie es uns erlaubt, zwei Staffeln unseres Erfolgsformats im Jahr haben.
Wo wollen Sie die zusätzliche Staffel von „Love Island“ produzieren?
Wir brauchen eine Location, in der wir im März/April mit angenehmen Temperaturen arbeiten können. Das ist noch offen, wir sind derzeit auf der Suche.
Sie sprachen eben vom digitalen Erfolg des Formats. Ist der mittlerweile mehr als „nice to have“ und auch finanziell von Bedeutung? Lange waren Erfolge im Netz für Sender nicht so lukrativ wie eine starke Quote im Programm…
Digitaler Erfolg ist von großer finanzieller Bedeutung. Unsere Multi-Channel-Strategie ist kein Selbstzweck, sondern hat ganz klar das Ziel weitere Erlösquellen zu erschließen. Wir schaffen über die zahlreichen Touchpoints zu den Zielgruppen erstaunlich hohe Reichweiten. Mit „Love Island“ kommen wir pro Tag auf 2,9 Millionen Video Views über alle Kanäle hinweg. Und natürlich kapitalisieren wir diese Reichweiten, und zwar durchaus substanziell: Bei „Krass Schule“ zum Beispiel erzielen wir fast die Hälfte der Formaterlöse über die digitalen Kanäle. Deshalb testen wir konsequent neue Channels, Trends und Themen, gerne auch gemeinsam mit anderen: Wir haben unsere Partnerschaft mit Facebook Watch verlängert, kooperieren auf YouTube mit Burda und haben zusammen mit AudioNOW den „Love Island“-Podcast produziert. Sehr positiv für uns, aber auch andere im Markt, sind die wachsenden Zahlen von SVoD-Abonnenten beispielsweise bei TVNOW. Das ist ein wichtiger Hebel für die Kapitalisierung digitaler Reichweiten, mindestens so wichtig wie digitale Werbeeinnahmen. Nicht zu vergessen auch der Bereich Direct-to-Consumer: Hier sehen wir viel Potenzial und haben mit unserem Onlineshop deinzigartig und den "Grip"-Events schon solide Cases.
Jetzt sind Sie kein Gesellschafter von TVNOW, wie profitieren Sie von der Performance von „Love Island“ dort?
Die Nutzung wird vergütet. Je besser unsere Formate auf TVNOW laufen, desto mehr bekommen wir.
"Wir sind ein junges Programm (...) Das macht uns dann nebenbei auch zum Ausbildungssender"
„Love Island“ setzt auf noch eher unbekannte Kandidatinnen und Kandidaten. Andere Formate greifen dafür gerne auf „Love Island“-Köpfe zurück. Sind Sie die Castingagentur des Reality-Booms?
(lacht) Wenn Sie das sagen. Wir merken natürlich, dass unsere Kandidatinnen und Kandidaten auch woanders sehr gut funktionieren. Das freut uns. Das ist ein Grund, weshalb wir im vergangenen Jahr die Influencer-Agentur La Familia Artists gegründet haben. Melissa, „Love Island“-Kandidatin aus Staffel drei, ist jetzt die neue „Bachelorette“ bei RTL. Sie ist nicht das einzige RTLzwei-Talent, das neue Aufgaben vor sich hat: Giovanni Zarrella, einst mit Bro’sis Gewinner von „Popstars“ bei RTLzwei und danach immer wieder bei uns im Programm gewesen, wird neuer Moderator beim ZDF. Da habe ich mich sehr gefreut und ihm sofort gratuliert. Wenn man weiter in die Vergangenheit schaut, gibt es noch mehr solche Karrieren. Wir sind ein junges Programm mit entsprechender Zielgruppe, experimentieren gerne und brauchen immer neue Gesichter. Das macht uns dann nebenbei auch zum Ausbildungssender (lacht).
Und um auch selbst Kandidatinnen und Kandidaten zu recyceln, gibt es jetzt den „Kampf der Realitystars“?
Die erfolgreiche Etablierung von „Kampf der Realitystars“ in der Primetime war ein wichtiger Erfolg. Das war ein definiertes Ziel, obwohl es schon vorher wahrlich keinen Mangel im Reality-Genre gab. Aber wir haben einen eigenen Weg gefunden, der nicht so konfrontativ ist wie manch andere Formate.
Wie verärgert ist man, wenn RTL den Start des „Sommerhauses“ gegen das Finale vom „Kampf der Realitystars“ setzt?
(lacht) Wir sind wie eine Patchwork-Familie. RTLzwei ist die Tochter aus einer anderen Beziehung, wenn man so will. Uns verbindet ein freundschaftliches Verhältnis. Daher sollte man in diese Programmierung nicht etwas hineininterpretieren. Man kann sich nicht immer aus dem Weg gehen und am Ende war ja genug Publikum für beide da. Wir freuen uns schon auf eine neue Staffel „Kampf der Realitystars“ im nächsten Jahr.
Neben den Realityshows sind die Sozialreportagen ein erfolgreiches Genre für RTLzwei, das zweite Standbein. Die sind aber in der Pandemie auch nicht produzierbar oder?
Wir hatten bei diesen Reportagen einen Drehstopp in der ersten Phase der Pandemie, weil es im Lockdown keine Chance gab, unter Beachtung aller Vorgaben mit Kamerateams in privaten Häusern zu drehen. Wir sind ja immer sehr nah dran an den Protagonisten und das war zwischenzeitlich nicht möglich. Trotzdem sind wir produktionstechnisch besser durch das Jahr gekommen als andere Sender, die stärker auf fiktionale Produktionen angewiesen sind.
Also keine großen Ausfälle?
Einige Pilotierungen mussten wir stoppen und mit „Adam sucht Eva“ eine geplante Sendung ins nächste Jahr verschieben, weil der Dreh auf Tahiti in diesem Jahr nicht machbar war. Im Bereich Fiction haben wir abgesehen von den Daily Soaps momentan nur eine Produktion: unsere Young-Fiction-Serie „Wir sind jetzt“, auf die wir sehr stolz sind. Hier können die Arbeiten fortgesetzt werden, während Staffel zwei in Kürze gezeigt wird.
Und bei den Sozialreportagen ebenso?
Ja, auch da drehen wir wieder und werden 2021 in dem Genre eine so umfangreiche Programmversorgung haben wie noch nie – am Dienstag- und Donnerstagabend, aber auch mit „Hartz und herzlich – Tag für Tag“ in der Daytime. Wie jeder Erfolg wird auch dieser kopiert, was immer die höchste Auszeichnung ist. Die Programmfarbe trägt entscheidend dazu bei, dass RTLzwei der Realitysender Nr.1 in Deutschland bleibt. Sie etablieren zu können, war für uns programmstrategisch ein ganz wichtiger Schritt. Wir sind auch überzeugt, mit unseren Sozialdokumentationen einen Public Value zu erbringen, indem wir einem breiten Publikum das Leben und Empfinden von Menschen nahebringen, über die sonst nur als Problem geredet wird, von Experten und Politikern. Deshalb entwickelt unsere Chefredakteurin Konstanze Beyer weitere Doku-Formate – mit dem Themenfeld Armut, aber auch anderen gesellschaftlich relevanten Sujets.
"Das realistische Ziel ist, am Ende ganz ordentlich durchs Jahr gekommen zu sein."
Wie ist denn RTLzwei selbst als Unternehmen durchs Jahr gekommen?
Zwei Erkenntnisse: Wir können Krise und wir können Mobile Office. Trotz der Probleme bei den Produktionen und einem einbrechenden Werbemarkt haben wir operativ alles gut am Laufen gehalten, davon zwei Monate komplett aus dem Mobile Office. Da war fast niemand hier im Sender, was auch möglich war, weil unsere Sendeabwicklung seit vergangenem Jahr von der CBC in Köln abgewickelt wird. Die ganze Branche hat 2020 einen Digitalisierungsschub erfahren, sowohl in der Arbeitsweise als auch im Sehverhalten des Publikums. Ich würde sagen, wir haben in diesem Jahr alle zusammen mal mindestens ein Jahr vorgespult. Aber eine zentrale Erkenntnis für mich ist: Videokonferenzen können das persönliche Zusammenarbeiten in einer Kreativbranche wie unserer nicht gänzlich ersetzen.
Sie sprachen die Auswirkungen auf den Werbemarkt an. Wie sieht der aktuelle Stand im Krisenjahr 2020 aus?
Es läuft wieder besser. Einen so drastischen Einbruch wie im zweiten Quartal habe ich noch nicht erlebt. Im dritten Quartal hat sich die Lage schon etwas beruhigt, und das vierte lässt sich bisher recht gut an. Wenn es nicht zu einem zweiten nationalen Lockdown kommt, bin ich vorsichtig optimistisch. Das realistische Ziel ist, am Ende ganz ordentlich durchs Jahr gekommen zu sein.
Hilft die Erfahrung aus Kirch-Krise 2002 und der Finanzkrise 2008?
Mir persönlich schon, und ich versuche die Zuversicht, dass es nach jeder Krise weitergeht, auch meinen Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln.
Leonine, einer ihrer Gesellschafter, hat in diesem Jahr seinen anderen Fernsehsender Tele 5 verkauft. Erwarten Sie auch Veränderungen im RTLzwei-Gesellschafterkreis?
Wenn ich mit Fred Kogel spreche, höre ich Zufriedenheit mit dem Investment in RTLzwei und – wie für das Geschäftsmodell von Private-Equity-Unternehmen üblich – ein mindestens mittelfristiges Interesse heraus. So hat er sich zuletzt auch öffentlich geäußert.
Bleiben wir bei der Erkenntnis, dass es nach jeder Krise weitergeht. Was erzählen Sie derzeit denn den Agenturen und Werbekunden auf ihrer Vermarktungstour? Was hat RTLzwei noch so vor in der neuen TV-Saison?
Die Programminvestitionen im kommenden Jahr werden in etwa so hoch sein wie das, was wir 2020 angesetzt hatten. Defensiv sind wir definitiv nicht unterwegs: Wir setzen „Kampf der Realitystars“ fort und verdoppeln „Love Island“. Hinzu kommt voraussichtlich „Adam sucht Eva“, und auch „Wir sind jetzt“ geht wie gesagt weiter – gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Das ist die Säule junges Entertainment. Dann unsere langlaufenden Publikumslieblinge, wir nennen sie „Friends forever“: Wir freuen uns auf neue Abenteuer der Geissens, Reimanns und Wollnys. Neu dazu kommen „Die Stubers“ – einigen bekannt von DMAX. Bei uns geht es aber weniger um ihr Entrümpel-Business als um die Geschichten innerhalb der Familie. Helptainment ist eine weitere Programmfarbe, die wieder höhere Relevanz bekommt.
Ein kleines Genre-Comeback bei RTLzwei?
Das hat mehr oder minder direkt auch mit den Veränderungen zu tun, die Corona in unserem Alltag bewirkt. Wir planen den Ausbau von Sendungen rund ums Wohnen und Einrichten – ein Thema das im Lockdown bekanntermaßen sehr präsent wurde. Mit „Clever Wohnen“ hatten wir, eher per Zufall, schon ein passendes Format am Start, das jetzt in Reihe geht. Außerdem kommt ein neues Format, in dem Business-Coaches strauchelnden kleinen Betrieben helfen: dem Kiosk an der Ecke, Imbissen, Nagelstudios etc. Und schließlich bauen wir das Genres Dokus und Sozialreportagen weiter aus, unter anderem mit einer Reihe, in der wir ein Jahr lang Menschen begleiten, die wegen Corona ihren Job verloren haben.
"Wir sind daher guter Dinge im Spiel zu bleiben. Darum geht es in diesem Jahrzehnt"
Sie bezeichnen sich selbst als Realitysender Nr.1 in Deutschland. Nun entdecken die Streamingdienste nach der Fiction auch Reality-TV für sich. Beschäftigt Sie das?
Das Match wird in jedem Fall härter. Große Serien sind nicht mehr das alleinige Unterscheidungsmerkmal von Netflix und Amazon. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung für die Markenführung der Streamer, wenn sie sich breiter aufstellen.
Wie genau hebt sich RTLzwei ab?
Hier sehe ich uns mit unserem Local Content nicht unähnlich positioniert wie die Kölner Kollegen. Deren Local Heroes-Strategie finde ich sehr schlüssig im Wettbewerb gegen die Globals. Deutscher Content ist auch für uns die beste Chance. Wir haben über Jahre aufgebaute Protagonisten und ein Gespür für unser heimisches Publikum, wie es die internationalen Streamingdienste nicht haben, die nur punktuell vor Ort agieren. Bei RTLzwei kommt hinzu: Wir haben eine einmalig große Bandbreite an Themen und Darstellungsformen innerhalb dessen, was man Reality nennt. Von ausgelassener Unterhaltung bis zur harten Wirklichkeit der Sozialreportagen decken wir alles ab. Das versuchen wir gerade auch mit der Kampagne „Sieh’s mal zwei“ zu vermitteln, diese Dualität der lauten und leisen Seiten des Lebens in unserem Programm. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Der Kontakt zu unserer jungen Zielgruppe und der Austausch mit ihr ist viel direkter und intensiver als bei Netflix und Co.
Ist das so?
Wir erreichen sie täglich mit unseren drei Dailys „Berlin – Tag & Nacht“, „Köln 50667“ und „Krass Schule“. Ganz wichtig auch: Unser Angebot besteht nicht nur aus TV-Sendungen. Wir sind mit unseren Formatmarken überall dort, wo die Zielgruppe auch ist. Wer mit seinen Inhalten nicht auch auf Instagram, TikTok, YouTube, Facebook und Co. vertreten ist, erreicht weite Teile der jungen Konsumenten nicht. „Krass Schule“ wurde beispielsweise erst durch den Erfolg bei YouTube zum Erfolg im linearen Programm und bei TVNOW. RTLzwei ist nach Studio71 das größte Multi-Channel-Network in Deutschland. Wir sind daher guter Dinge im Spiel zu bleiben. Darum geht es in diesem Jahrzehnt.
Herr Bartl, herzlichen Dank für das Gespräch.