Herr von Wilmsdorff, Sie steigen bei ProSieben mit einem spektakulären Experiment ein, wie man es von Ihnen aus RTL-Zeiten gewohnt ist: Sie begeben sich auf die Suche nach der ewigen Jugend und schrecken selbst vor dem Skalpell auf Ihrer Haut nicht zurück. Welche Botschaft wollen Sie damit aussenden?
Wenn ich an meine Altersgruppe denke, die Mittefünfzigjährigen, dann diese: Man muss heutzutage nicht mehr in Würde altern. Man muss sich nicht damit abfinden, wie zerfurcht das Gesicht ist. Der Schönheitsmarkt hält Optimierungsmöglichkeiten bereit, die es vor 20 Jahren nicht gab. Welche es sind, was sie im Einzelnen bringen und wo die Risiken liegen, darüber möchte ich bestmöglich informieren.
Fürchten Sie nicht den Nachahmungseffekt – dass auch Zwanzigjährige die Schönheitspraxen fluten? Was Sie im Fernsehen vormachen, bleibt ja selten ohne Folgen.
Ich merke nach jedem Experiment, wie sehr wir den Nerv der Zeit getroffen haben. Und wie sehr – das ist das wirklich Schöne an meiner Arbeit – ich dazu beitrage, dass Menschen ihr Verhalten überdenken. Als wir mitten in der „Fridays for Future“-Bewegung eine Sendung über den Plastikwahn zeigten, bekam ich die Rückmeldung von Verkäufern, dass sie Plastiktüten verbannt und ihr Sortiment komplett auf Trinkflaschen aus Metall umgestellt haben. Zuschauer schrieben mir, dass sie wegen meines Experiments zum Thema Fleisch Vegetarier wurden oder zumindest den Konsum reduzierten. Lehrer fragen immer wieder nach, ob sie meine Filme im Unterricht verwenden dürfen.
Inwiefern treffen Sie einen Nerv, wenn Sie sich jetzt für die erste Folge von „Jenke“ zumindest auf die linke Seite – die rechte ist für eine mögliche OP reserviert – Vogelkot ins Gesicht schmieren? Den will kein Autofahrer auf dem Lack.
Aber wenn man überlegt, dass meine Mutter und viele andere Frauen bis in die 1980er Jahre noch eine Creme aus Tierplazenta benutzten, für die im Fernsehen geworben wurde, klingt es nicht mehr ganz so absurd. Tierexkremente wurden bereits in der Antike als Beautyprodukt verwendet, übrigens auch Menschenfett als Kosmetik und Allheilmittel. Römerinnen bleichten ihr Haar mit Pferdeurin. Also, der Mensch war schon immer auf der Suche nach geheimnisvollen Substanzen und Tinkturen, um die Biologie auszutricksen.
Aber es macht doch einen Unterschied, ob ich creme oder ob ich nadeln und schnippeln lasse.
Ich kann Ihnen versprechen: Mein Film wird keine Werbeveranstaltung für die Schönheitsindustrie sein. Aber ich muss natürlich gewisse Provokationen als Stilmittel nutzen, um auf immer wieder gestellte Fragen Antworten zu geben. Nehmen wir Botox: Natürlich gibt es Ärzte, die sagen: Gar kein Problem, komm, wir machen das rein. Nein! Botox ist ein Nervengift. Es ist ein Problem. Darüber müssen wir sprechen, und das tun wir auch im Film. Ich bin mir bewusst, dass ich da eine irrsinnig große Verantwortung trage. Nicht zuletzt hat immer auch die Jugendschutzabteilung ein prüfendes Auge drauf. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin grundsätzlich nicht gegen Selbstoptimierung. Es ist eine ganz individuelle Entscheidung, ob und was ich machen lasse. Aber das Motiv ist entscheidend: Warum möchte ich neue Lippen, eine neue Nase, neue Brüste? Wenn ich glaube, dadurch Seelenfrieden zu finden, dann ist das die falsche Herangehensweise.
"Ich hatte bei RTL das Gefühl, dass sie am liebsten nur meine Experimente zeigen wollten."
War es eine Form von Selbstoptimierung, als Sie im Frühjahr RTL den Rücken kehrten?
Was für eine schöne Formulierung! Meist werde ich gefragt, ob ProSieben besser zahlt. Aber „Selbstoptimierung“, das trifft’s ziemlich genau. Nach 20 Jahren bei RTL kam das Bedürfnis nach Veränderung in mir auf. Außerdem hat mich die Aussicht gereizt, neue Formate für und mit ProSieben entwickeln zu dürfen.
Heißt im Umkehrschluss: Diese Möglichkeit bot Ihnen RTL nicht?
In einem gewissen Rahmen schon, aber ich hatte bei RTL das Gefühl, dass sie am liebsten nur meine Experimente zeigen wollten. Eine wirkliche Strategie für die Zukunft haben wir gemeinsam nicht hingekriegt. Mit ProSieben schon.
Bei Ihrem neuen Haussender sollen Sie das Investigativ-Team verstärken. Senderchef Daniel Rosemann denkt, jenseits von Sendungen mit Selbstversuchen, auch an ein True-Crime-Format. Warum ist das für Sie reizvoll?
Einer meiner ersten Jobs als Fernsehjournalist war das Interview mit einer fünffachen Mörderin im Frauengefängnis von Chemnitz. Da wollte ich nicht hin, mit so jemandem wollte ich nicht sprechen. Aber beim Interview, das drei Stunden statt der bewilligten 30 Minuten dauerte, passierte etwas, was ich auch immer wieder bei meinen Experimenten erlebe: Meine Einschätzung ändert sich, sobald ich tiefer reingehen kann in die Psychologie eines Menschen, der extremste Situationen erlebt hat. Was nicht heißt, dass ich jemandem die Schuld an einem Verbrechen nehmen will. Wenn ich mich mit einem Thema, einer Person auseinandersetze, geht es mir immer darum, eine sehr viel komplexere Meinung zu bekommen.
Bleibt bei Ihren ProSieben-Experimenten eigentlich alles beim Alten und Gewohnten?
„Jenke“ hat opulentere Bilder. Ich wollte eine Bildsprache, die zeitgemäßer und hochwertiger ist. Dass wir in Zeiten von hochwertiger Fiction bei Streamingdiensten einen filmischeren Look haben. An der Art und Weise, wie ich an ein Experiment herangehe, ändert sich aber nichts: Das Thema und die Protagonisten stehen im Vordergrund. Und ich bin eigentlich nur so ein Vehikel, um den Zuschauer ins Thema zu ziehen, indem ich ihm meine Innensicht liefere.
Diese Innensicht teilten Sie bei den RTL-Experimenten im On mit Ihrem „Lieblingskameramann“. Ist Jan Kreutz wieder an Bord?
Aus Termingründen hat es diesmal leider nicht geklappt. Für die Beauty-Folge konnten wir Lukas Wunschik gewinnen, erster Kameramann bei „Kitchen Impossible“. Das inhaltliche Prinzip bleibt: Ich hole mir immer unmittelbar in der jeweiligen Situation eine zweite Meinung ein, ob die des Kamera- oder des Tonmanns. Sie helfen mir bei der Einordnung, damit ich nicht komplett falsch liege. Mit dieser Methode bin ich anfangs auf viel Gegenwehr gestoßen. Das wollte man beim Sender nicht haben: Der Reporter spricht nicht mit dem Kameramann. Mittlerweile wird das fast schon inflationär gemacht, sowohl in journalistischen als auch Unterhaltungsformaten. Jürgen von der Lippe war in meiner Erinnerung der erste. Er brach mit diesem Stilisierten im Fernsehen, es wirkte bei ihm normaler, glaubhafter.
Nun haben Sie es bei ProSieben mit einem potenziell jüngeren Publikum zu tun als bei RTL...
... das stimmt nicht so ganz. Bei RTL habe ich nach Medienumfragen und Quotenanalysen mit meinen Experimenten immer die jüngste Zielgruppe erreicht. Was daran liegt, dass ich mich ihren Themen widmete, Themen wie Alkohol und Cannabis. Diese Zahlen kannte auch ProSieben.
Warum, glauben Sie, sind Sie, der gerade 55 geworden ist, genau der Richtige, damit nicht auch ProSieben die Smartphone-Generation verlorengeht?
Es wäre illusorisch zu glauben, alle jungen Leute, die den Großteil ihrer Zeit in den Sozialen Medien verbringen, nur wegen „Jenke“ um 20:15 Uhr vor dem Fernseher versammeln zu können. Die schauen sich das, was sie interessiert, nachträglich online an. Das ist auch nicht mein Anspruch. Abgesehen davon ist das durchschnittliche Alter der ProSieben-Zuschauer gar nicht so jung, wie ich immer dachte: Es sind die 24- bis 40-Jährigen, Frauen hauptsächlich. Also nicht die Smartphone-Generation.
Nun ist es ja nicht so, als gäbe es bei ProSieben nicht schon Vertreter des Genres Extremreportage. Was unterscheidet Sie von Ihren jüngeren Kollegen Harro Füllgrabe und Thilo Mischke – außer dem Alter?
Es verbindet uns mehr, als uns trennt. Das verbindende Element ist die Neugier. Wir teilen ein sehr ähnliches Interesse für Geschichten. Das, was Thilo seit geraumer Zeit macht, etwa Drogenkartelle in Kolumbien aufsuchen, habe ich durch: Ich war schon vor 10 Jahren mit Auftragskillern in Ciudad Juárez unterwegs, der gefährlichsten Stadt der Welt, war in den Favelas von Rio und auf der Suche nach Polizistenmördern in den südafrikanischen Cape Flats...
... Sie waren auch der Erste, der Flüchtlinge in einem Boot nach Lampedusa begleitete und dafür einen International Emmy bekamen.
Genau. Ich habe mich dann ein bisschen separiert und meine intensive Reportertätigkeit erweitert mit dem Element Selbstversuch mit Innensicht. Von daher ergänzen wir uns gegenseitig wunderbar. Und hey, der Altersunterschied ist ja jetzt nicht so groß. Ich bin ja nicht Günter Wallraff! Das sind doch nur ein paar Jährchen, die uns trennen.
"Ich bremse immer ein bisschen später als die anderen."
Auch Harro Füllgrabe treibt sich für „Galileo“ gerne in der Welt der Extreme herum: Er schwimmt mit Piranhas im Amazonas oder springt von 20-Meter-Klippen in der Schweiz. Doch er würde, wie er in einem Interview sagte, sich niemals vor der Kamera betrinken, so wie Sie es damals bei RTL taten, auch wenn es wissenschaftlich-journalistisch ein interessanter Ansatz wäre. Als öffentliche Person, die gerade von Kindern und Jugendlichen gemocht werde, käme das absolut nicht für ihn infrage.
Ich sehe das ein bisschen anders als Harro. Mein Job beginnt da, wo die anderen Kollegen aufhören. Die junge Zielgruppe, für die Drogen ein täglich herumschwirrendes Problem darstellen, erreiche ich nicht, indem ich mit erhobenem Zeigefinger dastehe: Das dürft ihr nicht, das ist alles schrecklich ungesund und macht euch abhängig. Mein Ansatz ist herauszufinden: Was sucht ihr in eurer Sucht? Welche Gefühle wollt ihr kompensieren, wenn ihr euch freitags eine Pille einschmeißt, um ein spannendes Wochenende zu haben? Dieses Verständnis bekomme ich aber nur, wenn ich selbst erlebe, wie es sich anfühlt, sich zuzudröhnen. Aber noch mal: Ich bin mir meiner großen Verantwortung bewusst. Wir diskutieren sehr genau, auch mit dem Jugendschutz, wie weit wir gehen und was wir zeigen. Und wir ordnen jedes Experiment immer unmittelbar ein. Das tun wir übrigens auch am Montag direkt nach dem „Schönheits-Experiment“ in einem Live-Talk zusammen mit Expertinnen und Experten.
Wo ziehen Sie Ihre persönliche Grenze?
Nach 20 Jahren extrem intensiver Reportagen liegt sie bei mir sicher woanders als bei anderen. Mein absolutes No-Go ist: keine Menschen verletzen, weder physisch noch psychisch. Geht es um mein Leib und Wohl, entscheide ich immer wieder aufs Neue, wie weit ich gehe.
Leistungssportler stoßen an eine Grenze, ab der sie ihren Sport nicht mehr ausüben können. Gibt es so eine Grenze auch für Extremreporter? Ihr Job geht schließlich auf die Knochen. Sie machen ja jetzt schon Werbung für Wärmepflaster...
Moment, das hat nichts mit meinen Knochen zu tun. Auch 20-Jährige haben verspannte Muskeln, gegen deren Schmerz diese Pflaster helfen. Ich stehe absolut hinter diesem Produkt. Zu Ihrer eigentlichen Frage: Ich werde mit 70 vermutlich nicht mehr aus einem brennenden Hubschrauber springen. Aber wer weiß, wie ich dann drauf bin. Vielleicht habe ich mich nach meinem Schönheitsexperiment derart verjüngt, dass ich wieder von vorne anfangen kann? (lacht) Ich bin mir aber sehr sicher, dass ich immer Geschichten erzählen kann losgelöst von meinem biologischen Alter.
In Ihrem biografischen Buch „Wer wagt, beginnt“ zitieren Sie den ehemaligen Radprofi Erik Zabel: „Wenn man denkt: Was könnte alles passieren, dann hat man schon den Finger auf der Bremse.“ In Bezug auf Ihr jüngstes Schönheitsexperiment, in dem Sie entscheiden müssen, ob Sie sich einer OP unterziehen: Skalpell oder Bremse, was ist das Instrument Ihrer Wahl?
Ich bremse immer ein bisschen später als die anderen.
Herr von Wilmsdorff, vielen Dank für das Gespräch.
"Jenke. Das Schönheits-Experiment" am Montag um 20:15 Uhr bei ProSieben; im Anschluss folgt um 22:35 Uhr "Jenke. Live. Der Talk: Schönheit um jeden Preis?"