Herr Gottschalk, Sie blicken in Ihrer neuen ARD-Show auf ein Jahr zurück, das gefühlt nur aus einem einzigen Thema bestand. Kann das unterhaltsam sein?

Jede TV-Show kann nur dann funktionieren, wenn sie unterhaltsam ist. Es ist meine Herausforderung als Moderator, mit Augenmaß durch diese Sendung zu führen. Auf das verkorkste 2020, das viel Elend und wenig Spaß gebracht hat, kann man nur mit einer gewissen Sensibilität zurückblicken. Zwischendurch darf es auch ruhig mal sentimental werden. Jeder hat doch diese Pest irgendwie am eigenen Leibe erfahren. Deshalb bin ich der Meinung: Das letzte, das wir verlieren dürfen, ist heute die gute Laune und morgen den Optimismus – deshalb wollen wir mit dieser Show wenigstens ein bisschen von dem nachholen, was 2020 nicht stattfinden konnte. 

Was das Jahr 2020 ein gutes Jahr für das Fernsehen?

Uns Fernsehmachern hat diese Seuche doch sogar in die Hände gespielt, weil die Leute auf einmal mehr Zeit vor dem TV-Gerät verbringen. Das ist doch das, was wir immer wollten! Das Problem ist nur: Jetzt sitzen sie verzweifelt zuhause und wir vom Fernsehen tragen teilweise noch zu ihrer Verzweiflung bei.

Nun müssen Sie auftreten, ohne den Applaus des Publikums zu bekommen. Aus Sicht eines Entertainers dürfte das ziemlich ernüchternd sein. 

Es ist die Geißel dieser Zeit, dass diejenigen, die zusammengehören, im Moment nicht zusammenkommen können, nämlich Künstler und Publikum. Umso mehr hat das Fernsehen, so wie ich es verstehe, nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Unterhaltungsauftrag. Ich möchte, dass die Zuschauer – und zwar nicht unter ihrem Niveau – unterhalten werden, auch wenn das gerade nach anderen Regeln funktioniert als früher. Bisher waren die Leute von mir gewohnt, dass nach einem Trailer für den neuen James-Bond-Film auch James Bond reinkommt. Heute ist es eben so, dass ich einen Trailer über Hochzeiten zeige, die nicht stattgefunden haben, und dann kommt ein Paar ins Studio, das nicht heiraten konnte. Oder es kommt ein Mädchen, das täglich ein paar Stunden vor dem Klavier saß, um einen Beethoven-Wettbewerb zu gewinnen, der nicht stattgefunden hat. Die konnte nirgendwo auftreten – außer jetzt bei mir. Und ich freue mich über jedes zwölfjährige Mädchen, das in diesen Zeiten Beethoven spielt. Ich kannte ihn noch persönlich. 

Wenn das so ist, dann hätten Sie doch auch "Wetten, dass..?" nachholen können.

Eben nicht, weil "Wetten, dass..?" nicht mit Baggerfahrern funktioniert, die einen Mundschutz tragen – erst recht nicht vor leeren Rängen. Wenn ich mit dieser Show noch einmal antrete, dann möchte ich, dass wir uns dabei an die guten, alten Zeiten erinnern. Das kann nur als Retroveranstaltung funktionieren. Deshalb kann ich auch nicht sagen: Da, wo einst Sophia Loren saß, sitzt heute eine Influencerin mit sieben Millionen Followern, die alle 12-Jährigen kennen, nur ich nicht und die meisten Zuschauer auch nicht. So funktioniert das einfach nicht.

Das Publikum ist ja auch nicht mehr das, was es mal war.

Auch bei "Denn Sie wissen nicht, was passiert" haben Sie mehrere Shows ohne Publikum gemacht. Warum hat das trotzdem funktioniert?

Wenn ein Weltstar einmarschiert, dann will er mit dem entsprechenden Jubel begrüßt werden. Wenn aber Günther, Barbara und ich zusammen mit Thorsten Schorn Kinder-Geburtstag feiern, dann können wir das auch ohne Publikum. Und das ist ja auch nicht mehr das, was es mal war. Teilweise werden heute schon die Zuschauer gecastet. Ich habe das Publikum, diese vielen Menschen in einer Halle, immer als eine Art Spiegelbild der Zuschauer zuhause gesehen. Wenn mir einer in der fünften Reihe eingeschlafen ist, dann wusste ich, dass der eine oder andere auf seinem heimischen Sofa schon längst im Reich der Träume war. Um sowas zu verhindern, hast du heute die sogenannten Warm-Upper, die im Studio ständig Alarm machen und vor der Show das Publikum richtig anheizen. Früher hab ich das selber gemacht.

Das war mitunter so unterhaltsam, dass das ZDF Ihre Warm-Ups bei "Wetten, dass..?" live im Netz gestreamt hat.

Weil ich in diesen Momenten die Nähe zum Publikum hergestellt habe, ohne die ich als Moderator nicht funktioniere. Ich hab mir Kinder auf den Schoß gesetzt und mir von älteren Damen die Hüte ausgeliehen und aufgesetzt. Klingt albern, aber so habe ich eine Verbindung zum Publikum aufgebaut, die ich mehr brauche als manche Kollegen, die mit auswendig gelernten Texten auf die Bühne kommen, die ihnen andere aufgeschrieben haben. Trotzdem saßen auch bei mir Leute im Publikum, die aussahen, als wären sie im Koma. Das gibt es heute nicht mehr. Die Kamera zeigt nur noch begeisterte Menschen. Da hast du dann diese unglaublichen Schwenks auf Leute, die vor Rührung weinen oder sonst wie ausflippen. Selbst bei mir hat neulich ein weiblicher Fan gekräht: "Thommy, ich will ein Kind von Dir." Ich habe zurückgerufen: "Einen Enkel kannst Du haben."

Im Podcast von Klaas Heufer-Umlauf haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie nie etwas in Ihrem Ärmel hatten, wenn Sie aufgetreten sind. Rudi Carrell sagte dagegen, er könne nur etwas aus dem Ärmel schütteln, wenn er vorher etwas in diesen Ärmel reingeschoben hat. Warum hat es bei Ihnen auch ohne diese Vorbereitung funktioniert? 

Rudi Carrell war ein Showmaster im eigentlichen Sinne – so wie Siegfried und Roy. Wenn bei denen der Tiger nicht in der Kiste saß, konnte auch kein Tiger rauskommen. Rudi hat vorher ein Dutzend Mal getestet, ob ein Gag funktioniert, bevor er ihn gemacht hat. Ich habe gesagt: "Hier kommt ein Wahnsinniger, der behauptet, dass er sich in fünf Minuten aus einem Baumstamm ein paar Skier schnitzt und damit dann live den Berg hinunterfährt." Ob das funktionieren würde, konnte ich nicht wissen. Wenn einem aber dazu nichts einfällt, dann gehört man nicht ins Fernsehen! Danach kam Madonna, die ich in meinen schlechteren Momenten schon mal als Cher angekündigt habe. Das war lustig und obendrein egal, weil es am Lauf der Welt nichts geändert hat, ob jetzt die eine reinkommt oder die andere. Ein großer Spiele-Samstagabend, an dem verrückte Menschen verrückte Dinge tun und Prominente treffen, denen sie sonst nie begegnet wären. Wenn ein Trompeter aus Trier bei mir Paul Mc Cartney getroffen hat, der dann in seiner Blasmusik mitmarschiert ist, dann war das für mich das Allergrößte, und für mehr als zehn Millionen Zuschauer hat’s immer gereicht. 

Demzufolge müssen Sie das Proben hassen, oder?

Ich weiß auch in Shows, die ich ewig geprobt habe, manchmal nicht, wie es weitergeht. Das hängt mit meinem Verständnis von Unterhaltung zusammen. Ich kann doch Interviews nicht proben, und ich lasse mir nur ungern was aufschreiben, weil ich das meistens ohnehin versemmel. Aber ich habe einen Instinkt für Situationen. Wenn ein Mädchen, das eigentlich – wie gestern in den Proben – jodeln soll, vor mir steht und offensichtlich von der Situation überfordert ist, dann weiß ich, dieses Mädchen will gerade alles andere als jodeln. Normalerweise würde ich es in den Arm nehmen und sagen: "Wenn du nicht jodeln willst, dann musst du nicht jodeln." Ich würde auch nicht jodeln wollen. Der normale Reflex des Entertainers ist es doch, auf eine Überraschung zu warten, um diesen Moment gemeinsam mit seinem Publikum zu erleben. Diese geprobten Gags waren schon immer mein Problem. Dass ich unterhaltsam war, bedeutet noch lange nicht, dass ich mich auf geprobte Gags verlassen habe. Unterhaltsam ist für mich nur, was spontan ist. Anders kann ich gar nicht.

Was meinen Sie damit?

Ich habe früher Shows gesehen, in denen die Moderatoren einen Koffer geöffnet und dabei neckisch die Hände in die Hüften gestemmt haben: "Da bin ich aber gespannt, was da drinsteckt." In Wirklichkeit hatten die das alles aber schon dreimal geprobt. Das habe ich nie begriffen. Wenn bei mir ein Koffer reinkam, habe ich entweder gesagt: "Ich weiß längst, was für ein Quatsch da drin ist", oder aber: "Da bin ich mal gespannt", weil ich es wirklich nicht wusste.

Thomas Gottschalk © TVNOW / Frank W. Hempel Thomas Gottschalk in der RTL-Show "Denn sie wissen nicht, was passiert"

Wenn Sie eine neue Show machen, wird noch immer besonders genau hingeschaut. Haben Sie noch Angst vor einer schlechten Kritik?

Bei dieser speziellen Show ist mir das völlig egal, weil ich mich hier im Servicebereich tätig sehe. In einer Zeit, in der kaum etwas geht, versuche ich möglich zu machen, was möglich ist. Ich präsentiere das, was gerade geht. Aber auch allgemein lasse ich mich nicht mehr dafür beschimpfen, dass ich Sätze anfange, die ich nicht zu Ende spreche oder als Interviewer „journalistisch“ versage. Das habe ich dreißig Jahre lang getan. Ich bin als Entertainer durch. Ich habe genug Beifall bekommen, ich habe genügend Fernsehpreise abgeräumt und ich habe in meinen Fernsehsendungen genug berühmte Menschen getroffen. Ich bin auf alles gefasst, auch auf schlechte Kritiken. Ich habe so viele davon überlebt – ich habe sogar Kritiker überlebt, die dachten, ihr großes Lebenswerk wäre es, mich abzusägen. Die sind unter der Erde und ich stehe hier und mache Fernsehen!

Derzeit sind Sie bei so vielen Sendern unterwegs, dass man beinahe das Gefühl bekommen kann, es sei die Zeit Ihres Lebens. Wie erklären Sie sich das?

Ich bin offensichtlich noch gefragt. Ich rufe ja keine Sender an und frage, ob ich da nochmal auftreten darf, sondern die rufen mich an und fragen, ob ich Lust hätte. Und ich habe Lust. Vielleicht ist es die Gelöstheit des Alters und der Gedanke: Solange es keiner besser macht, mach ich‘s halt selber. Natürlich möchte ich dem Publikum beweisen, dass ich noch weiß, wie‘s geht. Und der Nachwuchs scheint von mir was lernen zu können. Deshalb freue mich, wenn mich Joko nach einer Show anruft, in der ich bei ihm zu Gast war, und sagt: "Alter, das hat Spaß gemacht." Da bin ich gerne bei ProSieben unterwegs. Aber ich komme nicht als Eichhörnchen verkleidet auf die Bühne und versuche, was von Drafi Deutscher zu singen. 

Wo sagen Sie sonst noch Nein?

Ich sage Nein, wenn ich mit Personal konfrontiert werde, an das ich nicht glaube. Wenn ich sehe, was sich da im "Sommerhaus der Stars" rumtreibt, sage ich: Die gehören nicht ins Fernsehen, vor denen habe ich weder Respekt, noch kann ich was von ihnen lernen. Deshalb kann ich mich mit dieser Art von „Promis“ auch nicht verbrüdern. Natürlich passiert es mir bei RTL, dass mir Menschen vorgeführt werden, bei denen ich mich frage: Gibt's die wirklich? Ich habe Michael Wendler allen Ernstes in meinem Leben zum ersten Mal zur Kenntnis genommen, als er bei "Denn sie wissen nicht, was passiert" aufgetreten ist. Hätte auch "Ich weiß nicht, wer das ist" heißen können. Ich habe auch noch nie im Leben die "Amigos" singen hören, aber es gibt sie offensichtlich und viele Menschen weinen vor Glück, wenn sie auftreten. Ich gönne ihnen das von Herzen. Wenn ich sie mal irgendwo präsentieren muss, sage ich mit großer Geste: "Meine Damen und Herren, hier sind die Amigos", dann murmle ich in mich hinein: "Ihr habt es nicht anders gewollt." Mein Job ist es zu präsentieren, was die Leute wollen. Aber wenn ich neben einer spargeldürren Influencerin sitze und mich noch vor ihr verbeugen muss, weil sie mehrere Millionen Follower hat, dann bin ich nicht mehr dazu bereit. Ich saß schon neben Barbra Streisand und dem Dalai Lama.

Ich will das bisschen Kohle, das die noch für mich ausgeben, wert sein.

Im Radio ist es doch ähnlich: Auch in Ihrer SWR3-Show müssen Sie Musik spielen, für die Sie sich nicht interessieren.

SWR3 ist Deutschlands erfolgreichster Pop-Sender und die riskieren keine Hörer, indem sie einen verstörten Altrocker auf sie loslassen. Hier treffen sich Leute, die Musik lieben. Mein Partner Constantin Zöller, mit dem ich die Sendung mache, steht für eine bestimmte Art von Musik. Ich mag den wahnsinnig, wir beiden arbeiten auf Augenhöhe und befetzen uns zur Freude der Hörer gegenseitig. Ich sage: "Meine Mucke gegen Deine, das war gerade Eric Clapton und jetzt kommst Du" – und dann piepst das Stimmchen von "Tones and I". Es gibt schon noch genügend Zuhörer, die sich über Deep Purple, ELO und die Dire Straits freuen. Trotzdem lerne ich gerne dazu. In meiner aktuellen ARD-Show tritt Wincent Weiss auf. Erst habe ich gemault, wo Lindenberg und Grönemeyer bleiben, aber dieser junge Künstler hat mich überzeugt. Er schreibt seine eigenen Texte, komponiert seine Sachen selbst und ist ein ausgesprochen netter Typ. Über sowas freue ich mich dann.

Nehmen Sie eine schlechte Quote eigentlich persönlich?

Nein, aber ich ärgere mich im Interesse meines Arbeitgebers. Ich möchte, dass jemand, der auf mich setzt, Erfolg hat. Wenn sich Joko Winterscheidt dafür entscheidet, mich in seiner neuen ProSieben-Show ins Panel zu nehmen, dann möchte ich, dass sich das für ihn rechnet. Das gilt genauso fürs ZDF, die ARD und RTL. Ich will das bisschen Kohle, das die noch für mich ausgeben, wert sein.

Wenn man Ihnen zuhört, hat man oft das Gefühl, dass das Fernsehen früher besser war.

Ach, das ist wie mit der Musik. Wenn ich den Namen Felix Jaehn höre, dann denke ich an einen DDR-Astronauten. Das ist gefällige Musik, die geht zum einen Ohr rein, zum anderen raus und man zuckt dabei ein bisschen. Aber kann man Jimi Hendrix mit Felix Jaehn vergleichen? Nein, kann man nicht, darf man nicht und muss man auch nicht. Ich bin allerdings froh, dass ich mit Jimi Hendrix groß geworden bin und nicht mit Felix Jaehn. Und Billie Eilish hat sicher ein ähnliches Talent wie Janis Joplin. Ich kann ihr nur wünschen, dass sie länger lebt.

Herr Gottschalk, vielen Dank für das Gespräch.

"2020 - Gottschalk holt's nach", Montag um 20:15 Uhr im Ersten.