Herr Strauch, bei verschobenen Konzerten heißt es oft „Tickets behalten ihre Gültigkeit“. Gilt das auch für verkaufte TV-Spots zur EM 2020 und den Olympischen Spielen in Tokio?

(Lacht) Gute Frage. Nein, leider gilt das nicht. Die Buchungen bezogen sich auf einen konkreten Zeitpunkt. Da die von Ihnen angesprochenen Sport-Großereignisse 2020 nicht stattfinden konnten, befinden wir uns jetzt wieder im erneuten Verkauf. Wir sind dabei zu akquirieren, klopfen dabei natürlich bei den Kunden zuerst an, die im vergangenen Jahr Interesse bekundet und Buchungen getätigt haben. Das Schöne für die Kunden ist ja, dass sie ein unverändertes Pricing erhalten trotz Reichweitensteigerung des ZDF, die wir krisenbedingt nicht eingepreist haben. Ein faires Angebot für prospektive Kunden, die übrigens mehr ausgewiesene Reichweite bekommen werden als zu erwarten war, weil diese EM ein Lagerfeuer zuhause im Wohnzimmer sein wird, da die zuletzt etablierten Public Viewings aller Voraussicht nach ja nicht machbar sind.


Haben Sie bzw. die Kunden im Buchungsverhalten denn die Zuversicht, dass diese beiden Events dieses Jahr auch wirklich stattfinden werden?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden Events stattfinden werden, weil wir alle wissen, wie durchkommerzialisiert solche Sportgroßereignisse sind und die globalen Partner dieser Veranstaltungen haben ein großes Interesse, auch weil eine weitere Verschiebung aufgrund anderer Großereignisse in 2022 kaum machbar ist. Und wir sehen ja auch seit Monaten schon, wie Sportereignisse verschiedener Art mit entsprechenden Hygiene- und Sicherheits-Konzepten realisiert wurden durch frühzeitige Isolation der teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler.

Und wie sehen es Ihre Kunden? Wird zuversichtlich eingebucht?

Was die Kunden bzw. Markenartikler betrifft, habe ich schon das Gefühl, dass die vergangenes Jahr eingeplanten Budgets für dieses Jahr geparkt wurden, auch weil es oft offizielle Partner der Veranstaltungen sind, die extra Lizenzen erworben haben. Da gehe ich davon aus, dass diese ihre Lizenzen auch nutzen wollen. Wir merken jedenfalls, dass Kunden wie wir als Zuschauer auch nach solchen Live-Events lechzen. Die Pandemie schürt die Sehnsucht nach großen Gemeinschaftserlebnissen und die kann der Sport - indirekt - in die Wohnzimmer transportieren.

Weil Sie die geparkten Budgets ansprachen: Wie lief denn 2020 für das ZDF Werbefernsehen?

Wir haben in diesem Jahr trotz Corona nur ein Minus von einem Prozent zu verzeichnen und das vor dem Hintergrund, dass andere Mediengattungen Totalausfälle hatten und andere TV- Vermarkter größere Probleme erlebten. Daher ist das ein sehr schönes Ergebnis für uns, auch weil 2019 schon ein sehr erfolgreiches Jahr war und wir das trotz Pandemie beinahe wieder erreicht haben.

"Wir erreichen eine Zielgruppe, die bis 2020 vielleicht noch nicht so vertraut war mit den Möglichkeiten von eCommerce"

Und was erwarten Sie für 2021? Reduzierte Budgets?

Genauso wie wir es schon 2020 beobachten konnten, bleibt der Markt vorerst geteilt. Alles, was in- home passiert, ist explodiert. Der Lebensmittelhandel und eCommerce haben deutlich zugelegt, der stationäre Handel natürlich nicht. Adler lässt grüßen. Besonders problematisch war und ist alles was out-of-home angeht. Wir hatten letztes Jahr einen Riecher für Branchen, die nach vorne gehen wollten und mussten, gerade auch in Richtung eCommerce. Da konnten wir überdurchschnittlich profitieren.

Wie das?

Viele Kunden, die in ihrer Kommunikationsstrategie der letzten Jahre vielleicht gar nicht mit TV sozialisiert waren, haben die enorme Reichweite von TV schätzen gelernt, um Neukunden zu gewinnen. Oder sie waren bisher nur auf die 20- bis 39-Jährigen fokussiert. Aber die kennen eCommerce ja schon. Wir erreichen hingegen eine Zielgruppe, die bis 2020 vielleicht noch nicht so vertraut war mit den Möglichkeiten von eCommerce. Da konnten zahlreiche Marken mit uns ein riesiges neues Publikum für sich erschließen. Für uns lag da in der Krise definitiv eine Chance, die wir genutzt und ein ganz anderes Klientel fürs ZDF Werbefernsehen interessiert haben. Wir hatten in 2020 genauso viele Neukunden wie im Sportjahr 2018, konkret 40 Neukunden und davon nur ein einziger OTC-Kunde (Over-the-counter, also klassischer Handel, Anm. d. Red.). Das ist ein Wachstum, bei dem andere TV-Vermarkter die Augen verdrehen.

Wintersport und Handball-WM sind erste Events des Jahres. Was lässt sich von den Buchungen hier ableiten?

Alles, was live ist, läuft beim Publikum wie geschnitten Brot. Das sehen Sie an den Quoten. Bei der Vermarktung ist das nicht ganz so. Handball ist nochmal ein spezielles Thema aufgrund der Unklarheit der Spielansetzungen und der Frage, welche Spiele wir dann überhaupt in der Vermarktung haben. Aber wir sehen hier und insgesamt einen gewissen Zeitverzug. Die Kunden sind - teilweise Corona-bedingt - noch in der Budgetplanung für 2021 und die Entscheidungen kommen immer kurzfristiger. Die Nachfragesituation wird also noch kurzfristiger und der Start ins Jahr lief eher weniger gut.

Und wie fällt Ihre Prognose aufs Jahr gesehen aus?

Es wird ein starkes Jahr, aber auch nicht ohne Schwierigkeiten. OTC ist für uns nicht unwichtig, die kämpfen natürlich weiterhin. Ein Beispiel: Es gab bei der ersten Corona-Welle einen Run auf die Apotheken und viele haben sich mit allem Möglichen eingedeckt, was im Herbst dazu führte, dass einerseits die klassische Erkältungswelle ausgeblieben ist, weil alle vorsichtiger waren und im Zweifel versorgt. Die herbstliche Erkältungswelle, die bei unseren Arzneimittel-Kunden sonst zu hohem Abverkauf führt, fehlte. Da werden wir noch abwarten müssen, wie sich das auf die Werbespendings 2021 auswirken wird, weil das eine für uns sehr wichtige Branche ist.

Hans-Joachim Strauch © ZDF Werbefernsehen Seit Januar 2009 Geschäftsführer des ZDF Werbefernsehen: Hans-Joachim Strauch

Gab es eigentlich eine spürbare Änderung bei den FMCG (Fast moving consumer goods) durch die Tatsache, dass Supermärkte und Drogerien im vergangenen Jahr über viele Wochen hinweg die einzigen geöffneten Geschäfte waren? Etwa von Premium-Marken für den alltäglichen Luxus?

Da werden Ihnen die Hersteller bessere Angaben zu machen können, aber ich glaube, was vielen FMCG fehlte, war die Frequenz. Die Menschen sind einkaufen gegangen, aber seltener und dann mit einem Fokus auf den wichtigen Dingen. Dazu kommen ältere Menschen, die unter Umständen gar nicht mehr selbst einkaufen gegangen sind oder nur so selten und kurz wie möglich. Das waren dann sehr gezielte Einkäufe, also kein Genuss-Shopping. Das habe ich zumindest von einigen Premium-Markenherstellern aus diesem Bereich gehört. Und dann gibt es noch den zweiten Aspekt: Viele Unternehmen waren bei der ersten Welle sehr zurückhaltend, weil sie mit Werbung nicht die Bevorratung anheizen wollten. Das Thema Klopapier will ich gar nicht näher ausführen. Da gab es von manchen Herstellern die Sorge, dass Werbung für bestimmte Produkte sogar kontraproduktiv sein könnte. Da hatten wir tatsächlich einige Stornos, obwohl der Rubel rollte.

Programmkollegen auch im ZDF preisen schon länger die Mediathek und betonen, dass es egal sei, wie das Publikum ein Programm konsumiere. Ihnen dürfte das nicht so egal sein, weil Sie on-demand abgerufenes Programm nicht vermarkten können...

Wenn wir uns das Werberahmenprogramm zwischen 17 und 20 Uhr anschauen, dann liegt die non-lineare Nutzung dieser Programme derzeit bei etwa einem Prozent. In der Relation ist das noch nichts. Und in der Ausspielung des linearen Programms, also des Livestreams via Mediathek, ist die Werbung im Programm ja sichtbar. Für unsere Kunden ist das sogar ein attraktives AddOn, gerade bei Sportereignissen, weil man so auch die Menschen erreicht, die von unterwegs reinschauen. Aber natürlich steht die Frage der Kohorten und ihres sich ändernden Mediennutzungsverhalten im Raum. Im letzten Jahr lag die zeitversetzte Nutzung bei den 14- bis 29-Jährigen erstmals vor der linearen Nutzung. Das wird sich verändern.

Wünschen Sie sich die Vermarktbarkeit der ZDF Mediathek?

Das ist eine medienpolitische Frage, die nicht im Verantwortungsbereich des Werbefernsehens liegt.

Seit Jahren wird darüber spekuliert, ob Netflix und Amazon früher oder später auch auf Werbung setzen. Neue Konkurrenz oder Unterstützung für die Gattung TV-Spot?

Ich wäre mir unsicher bei der Behauptung, dass es der Gattung helfen würde. Das wäre eher ein Verdrängungswettbewerb. Wir haben mit Premiere ja in Deutschland schon einen Anbieter gehabt, der jahrelang mit der Werbefreiheit warb und die Finanzierungsquelle dann doch für sich entdeckt hat. Gleichzeitig erleben wir bei Werbung für jüngere Zielgruppen gerade ein Abwandern zu Influencern und Social Media. Die Wirtschaft sucht sich ihren Markt. Deswegen glaube ich auch, dass bei einer Werbevermarktung der genannten Streamingdienste jetzt keine Stärkung der Gattung, sondern eine Verlagerung der Gelder bevorstünde.

"Die Zeiten waren schon schlimmer, mit immer kürzeren Spots."

Wie geht es eigentlich dem klassischen TV-Spot, der seit Jahren immer kürzer wird und von immer mehr Sonderwerbeformen ein Stück weit verdrängt wurde?

Ich finde, da hat sich - auch Corona-bedingt - schon wieder etwas zum Guten verändert, wenn wir uns die emotionalen Solidaritäts-Werbespots des vergangenen Jahres anschauen, die oft mit viel Liebe super gut gemacht wurden. Die Zeiten waren schon schlimmer, mit immer kürzeren Spots. Aber generell sehe ich wieder mehr Storytelling und Emotionen in den Spots, besonders dann, wenn nicht ein Preis oder Name kommuniziert werden soll, sondern Image. Da hat sich wieder was zum Guten entwickelt, selbst bei eCommerce-Spots, die inzwischen immer häufiger merken, dass kreative Spots besser ankommen, wenn man an Bett1 oder Check24 denkt.

Gäbe es in diesem Jahr einen der üblichen Branchengipfel, welches Thema würden Sie gerne diskutieren?

Die Renaissance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im vergangenen Jahr. Insbesondere das ZDF wurde bei Information, Sport, Spiel und Fiktion extrem nachgefragt. Was uns Imagestudien seit Jahren bescheinigt haben, hat sich dann auch in den entsprechenden Einschaltquoten niedergeschlagen. Da möchte ich den Kollegen vom Programm ein großes Kompliment machen, dass wir aus dem Mehr an plötzlichen Krisen-Zuschauerinnen und -Zuschauern auch viele halten konnten. In der ersten Welle stieg die Reichweite des ZDF von 24 auf 27 Millionen Menschen am Tag und davon haben wir ein Plus von ca. eine Million bis heute gehalten. Das hat kein anderer Sender hinbekommen. Und dann schauen Sie sich den Erfolg von Jan Böhmermann an, das ist Wahnsinn. Das ZDF beweist, wie vital öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein kann.

Ärgert es Sie, dass Sie den Freitagabend mit „heute show“ und „ZDF Magazin Royale“ nicht vermarkten können?

(lacht) Ich freue mich über jedes erfolgreiche Programm im ZDF und besonders über die Sendungen, die zusätzliches neues Publikum zum ZDF holen. Wenn wir davon einige zu treuen ZDF-Zuschauerinnen und -Zuschauern machen können und das Programmmarketing dazu beiträgt, dass das ZDF in aller Munde ist und wir als Senderfamilie erfolgreich dastehen, dann haben wir am Ende des Tages auch was davon.

Das ist sehr diplomatisch. Ich hätte gedacht, Sie fordern eine Wiederholung am Samstagvorabend...

Ach, das kann ich mir schon vorstellen. Persönlich fände ich das genial und es würde sicher auch gut funktionieren, weil der Samstagvorabend ja ein schwieriges Pflaster ist gegen die „Sportschau“. Aber ich überlasse das den Programm-Kollegen, die sich besser damit auskennen.

Herr Strauch, herzlichen Dank für das Gespräch.