Gerald Asamoah, Cacau, Steffi Jones, Erwin Kostedde, Jimmi Hartwig, Otto Addo, Patrick Owomoyela, Shary Reeves und Jordan Torunarigha sind nur einige der Protagonisten des Dokumentarfilms "Schwarze Adler". Sie alle erzählen, wie es ihnen als NationalspielerInnen ergangen ist. Wo und wie haben sie Rassismus erlebt? Und was hat das mit ihnen gemacht? Gleich zu Beginn des Films gibt es eine Warnung: "Der folgende Dokumentarfilm zeigt womöglich traumatisierende Inhalte wie rassistische Beleidigungen, Übergriffe und rassistisch motivierte Gewalt. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie und Ihr Umfeld sich darauf einstellen, wenn Sie sich den Film ansehen". Und tatsächlich ist einiges von dem, was da in den folgenden rund 90 Minuten zu sehen sind, schockierend. 

Torsten Körner © Benjamin Heinrich Torsten Körner
Herr Körner, Sie haben mit "Schwarze Adler" eine Dokumentation über Rassismus im Fußball gemacht. Ehemalige und Aktuelle FußballerInnen kommen darin zu Wort und sprechen über Ihre Erfahrungen. Entschuldigen Sie meine Formulierung, aber wie kommt ein "alter weißer Mann" dazu, einen solchen Film zu drehen?

Torsten Körner: Ich finde, dass in dieser Frage ein Stück Illiberalität steckt und eine Verengung der Meinungsdebatte. Ich bin Fußballfreund und gehe solche Filme aus persönlichem Interesse als gute Geschichte an, nicht als schwarzer oder weißer Mensch. Ich setze Dokus immer mit meiner Identität um. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben noch nie gefragt, ob ich diese oder jene Geschichte erzählen darf, weil ich der Mensch bin, der ich bin. Ich erzähle Geschichten, wenn sie gut sind. Das ist immer mein erster Ansatz. Ich habe nicht das Interesse gehabt, einen Film zu machen, der in erster Linie identitätspolitisch korrekt ist.

Wie ist die Idee zum Film entstanden? Gab es einen aktuellen Aufhänger?

Unmittelbarer Auslöser war die Begegnung mit einem großen Waschmittelkarton. Und weil der Hersteller damit warb, Sponsor der deutschen Nationalmannschaft zu sein, habe ich mich gefragt, weshalb das Mannschaftsbild auf dem Karton so seltsam weiß ist. Da habe ich mir die Frage gestellt, wie schwierig es für schwarze Menschen war, in dieser Mannschaft Fuß zu fassen, wenn sie selbst heute noch so stereotyp dargestellt wird. Ich habe mich dann an Erwin Kostedde erinnert, den ich noch aus meiner Jugend kannte. So ging es los.

Wie lief dann die Recherche? Wie sind Sie an die (ehemaligen) Spielerinnen und Spieler herangekommen?

Wir haben alle Personen angefragt, die in Betracht kamen. Letztendlich ist der Film sehr schnell entstanden. Die erste Idee hatte ich im März 2020, Leopold Hoesch von Broadview hat dann schnell zugegriffen und es Amazon angeboten, die auch sofort mit dabei waren. Auch das ZDF, das den Film zur EM als Free TV Premiere ausstrahlt, war sofort interessiert. Im August haben wir angefangen zu drehen und Ende Januar waren wir schon fertig. Für einen 90-Minüter ist das schon ein sehr hohes Tempo.

Mussten Sie bei den Protagonisten viel Überzeugungsarbeit leisten?

Nein, überhaupt nicht. Nicht bei denen, die in der Doku zu sehen sind. Da war die Bereitschaft zum Mitmachen sofort da. Ich habe gemerkt, dass es ein Bedürfnis gibt, diese Geschichten zu erzählen.

Und haben Sie sich auch Absagen geholt? Und wenn ja: von wem?

Wir haben sehr viele Spieler angefragt, um die Geschichte in ihrer ganzen Breite umfassend erzählen zu können. Erfahrung von Rassismus ist eine sehr persönliche Angelegenheit - darüber wollten manche der Angefragten sprechen und manche nicht oder vielleicht auch noch nicht, das respektieren wir.

Schwarze Adler © Broadview Pictures Auch Otto Addo von Borussia Dortmund spricht in dem Dokumentarfilm über rassistische Erfahrungen.

An welchem Zeitpunkt wussten Sie, dass Sie den Film werden umsetzen können?

Mir war immer klar, dass der Film steht, wenn ich die wenigen Pioniere habe. Also Erwin Kostedde, Jimmy Hartwig, Gerald Asamoah und Steffi Jones. Das waren meine Schlüsselspieler. Und natürlich haben wir auch mit aktuellen Bundesligaspielern gedreht.

Ich finde den Film immer dann ganz stark, wenn es um aktuelle Ereignisse geht. Es ist doch unfassbar, dass Rassismus auch 2021 noch so ein großes Problem ist, wie etwa bei dem Berliner Spieler Jordan Torunarigha. In der Doku geht es aber auch viel um die Vergangenheit, das fängt beim Zweiten Weltkrieg an. Was waren Ihre Gedanken dahinter?

Diese historische Tiefe habe ich bewusst so gewählt. Die Geschichte von Jordan Torunarigha ist ja vor gar nicht allzu langer Zeit rauf und runter in den aktuellen Medien besprochen worden. Es gibt ganz viele rassistische Vorfälle, die von der tagesaktuellen Berichterstattung abgedeckt werden. Mir war es wichtiger, die Geschichte über Generationen hinweg zu erzählen. Ich hätte auch noch vor dem Zweiten Weltkrieg anfangen können, um zu erklären, wo Rassismus herkommt. Für mich sind das oft die dramatischeren Geschichten, weil es auch in den Archivstücken viele rassistische Inhalte gibt. Insofern ist der Film ein wenig selbstaufklärend über unser eigenes Mediensystem und die Verfasstheit des Journalismus.

Die Archiv-Ausschnitte sind teilweise so rassistisch, dass man gar nicht glauben kann, dass es damals keinen großen Aufschrei gab. Was haben Sie bei der Recherche gedacht?

Wenn man diese teils extrem rassistischen Stücke sieht, fragt man sich schon, in welchem Land wir groß geworden sind. Ich habe vorher einen Film über Politikerinnen in der alten Bonner Republik gemacht und auch da viel auf Inhalte aus dem Archiv zurückgegriffen. Von daher war mir klar, dass es auch hier sehr viel Anschauungsmaterial geben würde. Immer wieder gibt es auch heute noch einen Aufschrei, etwa bei rassistischer Werbung. Das ist nur allzu verständlich, wenn man zurück schaut und die lange Struktur sieht. Dann versteht man vielleicht auch, weshalb es selbst 2021 manchmal schwer fällt, Rassismus abzulegen oder ihn zu besiegen.

Was die Macher des Dokumentarfilms im Archiv gefunden haben, lässt einen als Zuschauer ungläubig zurück. Ein Journalist fragt eine Mutter in einem Beitrag aus den 50er Jahren, ob diese ihr Kind nicht lieber zur Adaption freigeben will, weil es schwarz sei. In einer anderen Szene heißt es vorwurfsvoll an die Mutter, dass das Kind doch nicht in den Zirkus gehen könne. Auch Interviews mit Profi-Spielern und TV-Werbespots aus der Vergangenheit sind teilweise extrem rassistisch, etwa ein Clip für Waschmittel. Später erzählen SpielerInnen, dass sie versucht haben, sich mit Seife zu waschen, um weiß zu werden.

Stichwort besiegen. Was kann nun die Lösung des Rassismus-Problems in der Gesellschaft sein?

Die Lösung ist, dass wir alle miteinander eigene rassistische Denkweisen reflektieren. In den Stadien selbst muss die schweigende Mehrheit stärker agieren, wenn es entsprechende Vorfälle gibt. Rassisten müssen ausgeschlossen werden. Andererseits sprechen wir, wenn wir über die Bundesliga reden, ja nur über einen Teil der Gesellschaft. Wir müssen das Thema an die Basis bringen. Rassismus in der Kreisklasse ist vorhanden und findet oftmals unter dem Radar statt. Da müssen wir alle wachsamer sein.

Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Films?

Größte Herausforderung für mich war, immer wieder meinen eigenen Standort zu reflektieren und zu schauen, ob ich mit meinen Fragen Schmerzen verursache oder vielleicht unsensibel oder sogar rassistisch bin. Aber auch die Gewichtung der einzelnen ProtagonistInnen war eine Herausforderung. Wer ist eine Stammkraft und wer ein Einwechselspieler? Schwierig war es, alle Stimmen so zu ordnen, dass die Zuschauer das Gefühl bekommen, die ProtagonistInnen erzählen kraftvoll eine Geschichte, die alle verbindet. Und andererseits sind es doch oft sehr unterschiedliche Geschichten und die Personen gehen meist ganz anders mit rassistischen Erfahrungen um. Das wollte ich nicht vereinheitlichen oder homogenisieren.

"Ich glaube, dass die Öffentlich-Rechtlichen gerade daran arbeiten, den individuellen und subjektiven Autoren-Dokumentarfilm unmöglich machen."
Torsten Körner

Wie lief die Zusammenarbeit mit Amazon, die die Doku ja als erste zeigen werden?

Da der Film von Broadview Pictures produziert und finanziert wurde, waren das meine ersten Ansprechpartner. Die Zusammenarbeit mit Amazon war für alle sehr angenehm, belief sich aber im Wesentlichen auf die Veröffentlichungsstrategie und das Artwork zum Film. Als die Kollegen von Prime Video die erste Fassung gesehen haben, waren sie sehr angetan. Die Erfahrung mit dem ZDF als Free TV Partner war genauso. Diese große Offenheit, Autoren zusammen mit dem Produzenten einen Film wirklich gestalten zu lassen, würde man sich öfter wünschen.

Was meinen Sie damit genau?

Ich beobachte in den letzten Jahren eine Formatierung der öffentlich-rechtlichen Sender. Das ist ein schleichender Prozess und der führt dazu, dass Filme einen formatieren Look haben. Da werden von den Sendern bestimmte Erwartungen an die Autoren herangetragen. Ich glaube, dass die Öffentlich-Rechtlichen gerade daran arbeiten, den individuellen und subjektiven Autoren-Dokumentarfilm unmöglich machen. Eben durch ihre Art der Programmgestaltung. Weil sie Zuschauerbindung betreiben und einen gewissen Flow erzeugen wollen. Da gibt es dann aus Sender-Sicht "gefährliche Elemente" im Dokumentarfilm, die ausgelöscht gehören.

"Schwarze Adler" erzählt eindringlich viele Einzelschicksale, die in Summe ein gesellschaftliches Bild zeichnen. Zwar geht es viel um die Vergangenheit, aber auch aktuelle Bundesligaspieler erzählen ungeschminkt von rassistischen Erfahrungen. Und so wird klar: Das Thema Rassismus wird uns wohl noch sehr lange begleiten. Die Doku wirft einen ganz anderen Blick auf den Profi-Fußball, der oft gerne und zurecht kritisiert wird. Der Film zeigt, dass aber auch hier vor allem Menschen unterwegs sind. Menschen wie du und ich, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe von anderen Menschen rassistisch beleidigt und angefeindet werden.

Was sind das für "gefährliche Elemente"?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat große Angst, Zuschauer zu verlieren. Da definiert man sich überwiegend über die Quote. Das ist eine Fixierung, die den Sendern und ihrer Identität nicht gut tut. Insofern wird Druck aufgebaut, sodass es komplexe oder sperrige Themen schwer haben. Das betrifft auch Themen, die nicht so emotional sind. Da kommt es dann drauf an, ob ein Autor bereit dazu ist, in die Auseinandersetzung zu gehen. Aber letztendlich ist das individuelle Autoren-Erzählen schwerer geworden. Das ist zum Schaden der Zuschauer, aber auch zum Schaden für die Sender. Da das Kino als Spielfläche 2020 und die Hälfte von 2021 nicht existierte, hat das quasi einen Jahrgang des Dokumentarfilms ausgelöscht.

Wie bewerten Sie die Ereignisse rund um die Inszenierungen in dem NDR-Dokumentarfilm "Lovemobil"?

Zunächst steht die Autorin in der Verantwortung und es geht nicht an, dass sie den Zuschauer täuscht, enttäuscht durch inszeniertes Material, wo der Anschein erweckt wird, es sei dokumentarisch. Zu diesem Skandal gehören aber Partner und das ist der Sender selbst und auch das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen. Es ist billig, allein auf die Autorin einzuschlagen. Die Sender verengen Sendeplätze für Dokumentarfilme, die Budgets sinken, dennoch soll es irgendwie schick und cool aussehen, es soll emotionalisieren, diese unausgesprochenen, aber sehr drängenden Erwartungen führen zu solchen Ergebnissen: das ist ein großes Kino der Unwahrhaftigkeit.

Noch einmal zurück zu Ihrer Doku. Was hat Sie bei der Umsetzung am meisten bewegt?
Das war der Chor von Stimmen. Die kollektive Erfahrung von Diskriminierung bewegt mich sehr. Jede einzelne Geschichte bewegt mich. Mir werden auch beim zehnten Mal verlässlich die Augen feucht, wenn Shary Reeves in Tränen ausbricht. Erst dann kapiert man ja, was dieses Land und Teile der Gesellschaft diesen Menschen zugemutet haben.

Herr Körner, vielen Dank für das Gespräch!

"Schwarze Adler" steht seit dem 15. April bei Amazon Prime Video zum Abruf bereit. Am 18. Juni läuft der Film auch im ZDF.