Herr Esser, wie ist die Stimmung im TV-Werbemarkt? Ähnlich schwankend wie bei uns allen?

Ja, es ist recht volatil. Im Januar und Februar haben wir gespürt, dass es noch etwas stockt. Der März ist dann außerordentlich gut gelaufen, der April liegt wieder unter der März-Performance. Auch wir fahren also weiter auf Sicht. Das Gute ist die Erkenntnis des letzten Jahres, dass die Nachfrage schnell wieder anzieht, wenn sich der Nebel etwas lichtet. 

Damit verhalten sich Agenturen und Werbekunden also letztlich wie wir alle in der Pandemie. Die Absicht, den Kunden zu vermitteln, antizyklisch gerade in einer Krise zu werben, hat also nicht gefruchtet?

Das würde ich nicht mal sagen. Das antizyklische Werben ist aus jedem Marketinglehrbuch bekannt – und zweifellos ist auch viel Wahres dran. Aber in der Praxis wird das in existenziellen Krisen leider selten umgesetzt. Was uns in der Krise geholfen hat, ist unsere Markenfokussierung. Umfelder namhafter und im vergangenen Jahr auch besonders stark nachgefragter Programmmarken heben uns deutlich von der Konkurrenz ab. Natürlich sind viele Kunden mit angezogener Handbremse unterwegs, aber bei der Entscheidung, wo gespart wird und wo man reingeht, sprechen unsere Umfelder, gerade die Viertelstunde vor der Tagesschau für sich. Zwei Drittel unserer Neukunden im letzten Jahr sind genau dort reingegangen. Diese Pre-Primetime war im vergangenen Jahr für uns so erfolgreich wie noch nie zuvor dank der Kombination aus um 18 Prozent gestiegener Reichweite und einem Umfeld, das als besonders glaubwürdig wahrgenommen wird. Dies führte am Ende dazu, dass wir im Nettoumsatz auf Vorjahresniveau lagen. Jetzt warten wir darauf, dass die Kunden die Handbremse wieder lockern.

Sie sprechen von Neukunden. Wen gewinnt man in der Krise für TV-Werbung?

Das war recht breit gestreut. Wir haben u.a. mehr Handelsunternehmen sowie Kunden aus Telekommunikation und eCommerce dabei, die in ihrer Marktkommunikation einen breiten Aufschlag suchten. Daneben gibt es einzelne Segmente, die in der Pandemie einen Markt entwickelt haben wie die E-Bikes, die haben bei uns in der „Sportschau“ angefangen. Und sehr viele eben in der Viertelstunde vor der "Tagesschau", was ich schon bemerkenswert finde, denn wir sprechen hier nicht von Low-Budget-Werbeplätzen, sondern gesuchten und hochpreisigen Qualitätsumfeldern. Aber sie sind offenbar ihren Preis wert.

 

"Große Marken stellen sich in der Pandemie bewusst neu auf durch Verlagerung in eCommerce und Direktvertrieb."

 

Ende vergangenen Jahres wurden mutmaßlich viel Rest-Budget 2020 rausgehauen. Wie sieht es den grundsätzlich mit Werbe-Budgets für 2021 aus? Spüren Sie mögliche Reduzierungen?

Der Markt wird erst einmal mit weniger Geld zurechtkommen müssen, und der Kampf um die Verteilung dürfte noch härter werden. Die Pandemie hat Auswirkungen auf jährliche Budget-Planungen. Derzeit ist das Bild im Markt sehr heterogen, wenn man sich anschaut, welche enormen Summen einzelne Werbungtreibende investieren. Aber es gibt eben auch Kunden aus Branchen, die gerade richtig am Limit sind wie der Tourismus oder der stationäre Einzelhandel. Da geht es schlicht ums Überleben. Gleichzeitig stellen sich große Marken in der Pandemie bewusst neu auf durch Verlagerung in eCommerce und Direktvertrieb. Spannend, was sich da auch in der Automobil-Branche tut mit alternativen Antriebsarten, für die eine ganz andere werbliche Kommunikation realisiert wird, zumal die Menschen ja mehrheitlich zuhause sind und nicht mehr in dem Maße an Autohäusern etc. vorbeikommen wie vor Corona.

Also wenn wir uns ein Jahr zurückdenken, in den April 2020: Haben sich die vergangenen zwölf Monate für ARD-Werbung Sales & Services besser oder schlechter entwickelt als erwartet?

Ich schaue immer auf die Kalenderjahre, weil wir am Ende des Jahres nun mal Kassensturz machen. Und da liefert uns die Programm-Performance ja gute Argumente, denn die Reichweite hat sich weiter stetig nach oben entwickelt. Die Quizschiene mit „Wer weiß denn sowas? oder „Gefragt - gejagt“ liegt immer wieder bei über vier Millionen Zuschauern, die „Sportschau“ hält Kurs mit durchschnittlich 4,8 Millionen Zuschauern und die Viertelstunde vor der "Tagesschau" punktet mit starkem Zuschauer-Involvement, positiven Abstrahleffekten und starker Werbewirkung. Trotz dieser Entwicklung haben wir uns für eine konstante Preispolitik entschieden, keine Anpassungen vorgenommen und den Mehrwert 1:1 an die Kunden weitergegeben. Der Markt hat es honoriert, so dass 2020 besser ausgegangen ist als ursprünglich erwartet. Und das, obwohl in 2020 die UEFA Fußball-EM sowie Olympischen Spiele fehlten.

Uwe Esser © AS&S

Aus Köln hört man, dass RTL ein bisschen älter werden will, um an weitere Werbegelder zu kommen. Wie beobachten Sie das?

Das ist eine Herausforderung für die Kolleginnen und Kollegen dort. Ich blicke lieber auf uns und sehe bei den Zielgruppen eine erfreuliche Entwicklung. Bei der „Tagesschau“ hat sich auch in der Zuschauerstruktur einiges getan, denn hier ist der Anteil der 20- bis 59-jährigen Zuschauer auf 45 Prozent gegenüber 37 Prozent in 2018 gestiegen. Die „Tagesschau“ wächst also nicht nur insgesamt, sondern wird im Schnitt auch jünger.  

RTL will älter werden, die ARD wird jünger?

In einigen Bereichen sagen uns das zumindest die Zahlen für Das Erste. Den gleichen Effekt der „Tagesschau“ spüren wir auch bei den Quizformaten am Vorabend, wo sich inspirierte Unterhaltung mit Niveau bezahlt macht. Bei „Wer weiß denn sowas“ und „Gefragt - gejagt“ zum Beispiel haben wir unseren Marktanteil in den jungen Zielgruppen von 5,9 auf 9,3 Prozent Markanteil bzw. von 5,1 auf 8,1 Prozent Marktanteil gesteigert. Die Entwicklung des Vorabends zeigt, wie man Generationen erfolgreich zusammenbringt. 18 bis 19 Prozent Gesamtmarktanteil und vier Millionen Zuschauer – das ist `ne Bank am Vorabend.

Sind sie eigentlich zuversichtlich, dass die vergangenes Jahr verschobenen Sport-Großereignisse jetzt diesen Sommer stattfinden können?

Es scheint derzeit zumindest so. Diskutiert wird derzeit im Wesentlichen die Frage, ob und vor wie vielen Fans die Turniere stattfinden. Wir gehen daher Stand heute davon aus, dass es dieses Mal klappt mit der Fußball-Europameisterschaft. Die Einbuchungssituation ist ähnlich stark wie im letzten Jahr. Allerdings hängt der Vermarktungserfolg der Fußball-Europameisterschaft am Ende auch immer ein Stück weit davon ab, wie weit die deutsche Mannschaft im Turnier kommt. Schlägt sie sich gut, gab es in der Vergangenheit immer nochmal einen Schub kurzfristiger Buchungen. Man wird sehen, ob diese spontanen Budget-Erhöhungen in diesem Jahr für die Kunden drin sind.

Ab Spätsommer sind die Bundesliga-Rechte dann neu verteilt. Für die „Sportschau“ ändert sich wenig, allerdings wird Sat.1 mehr Bundesliga ins Free-TV bringen. Erwarten Sie Auswirkungen für ihr Zugpferd „Sportschau“?

Entscheidender sind die Auswirkungen eines sportlichen Großereignisses wie der Fußball-Europameisterschaft. Je nachdem wie eine deutsche Mannschaft dort abschließt, entwickelt sich auch das Interesse für Fußball in Deutschland und der Bundesliga. Da kann man mit Euphorie oder Ernüchterung der Fans in eine Saison gehen. Da muss man die Stimmungslage abwarten. Dass die Bundesliga-Rechte etwas anders verteilt sind, wird meiner Meinung nach keine fundamentalen Auswirkungen auf die Zugkraft der „Sportschau“ haben.

 

"Ärgere dich nicht über Dinge, die du nicht ändern kannst."

 

Seit einem Jahr verkaufen Sie Werbung mehr oder weniger aus dem Home Office. Wie gut funktioniert das?

Wir haben eine Verkaufsmannschaft, die durch die Bank seit mindestens zehn Jahren im Markt etabliert ist, oder noch viel länger. Ich selbst bin seit 25 Jahren dabei. Das ist unter den Umständen der Pandemie ein entscheidender Vorteil: Wir kennen unsere Kunden und vor allen Dingen sie uns. Das ermöglicht einen direkten und unkomplizierten, ehrlichen Austausch. Und die Kontaktintensität ist die Gleiche, wenn nicht sogar höher als zuvor. Dazu etablieren wir seit einem Jahr neue Kommunikationsformen, haben ein kleines Produktions-Studio bei uns im Haus eingerichtet und informieren mit neuen Vodcast-Formaten unserer Reihe What's First. Die ersten beiden Ausgaben zur Studie Beachtenswert und einem Special zur Euro 2020 verfolgten jeweils mehr als 200 Menschen aus der Branche live. Im April reüssierte dann auf Gattungsseite die Screenforce Academy und im Juni finden die digitalen Screenforce Days statt, auf die ich mich sehr freue. Ich bin auch überzeugt, dass wir nach der Pandemie ein hybrides Modell haben werden aus Präsenzveranstaltungen und den neuen Formaten, so wie sich ja auch die Arbeitswelt an sich durch das mobile Arbeiten verändert.

Wie einfach oder schwer wäre ein „Klima vor acht“ zu vermarkten gewesen?

(lacht) Das Programm innerhalb der „Viertelstunde vor acht“ hat sich schon früh mit Klimathemen befasst. Und die Programmkollegen haben den Markt kürzlich auch darüber informiert, dass Ende Juni die beiden Formate „Wissen vor acht – Natur“ und „Wissen vor acht – Zukunft“ immer montags und dienstags um 19:45 Uhr den Fokus auf Klimawandel und Nachhaltigkeit legen werden. Das hat auch für uns in der Vermarktung Potenzial. 

Stichwort Programmentscheidungen: Die ARD lässt immer mehr direkt für die Mediathek produzieren. Wie sehr ärgert es, dass sie da außen vor bleiben, weil ARD und ZDF nur lineare TV-Werbung verkaufen dürfen?

Da halte ich es mit meinem Vater, der immer gesagt hat: Ärgere dich nicht über Dinge, die du nicht ändern kannst. 

Herr Esser, herzlichen Dank für das Gespräch.