Herr Schmidt-Schaller, kann es sein, dass die Dienststelle der Kommissare Koitsch und Lehmann, aber auch Halle ringsum so aussieht wie vor 35 Jahren in der DDR?

Andreas Schmidt-Schaller: Das kann nicht nur sein, das soll es auch; schon weil es in Halle-Neustadt an vielen Ecken wirklich noch ein wenig so aussieht wie damals.

Und soll es auch so aussehen, um dem neuen „Polizeiruf“ zum 50. Geburtstag der Reihe einen Retro-Look zu verpassen?

Ich nehme schwer an, dass das eine Reminiszenz an damals sein soll. Wobei ich selbst nie im Kommissariat gespielt habe. Mein Drehort war die Wohnung meines Sohns im Film. Und ehrlich: ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Wie ist er denn geworden?

Ganz gut. Tolle Bilder, schöne Atmosphäre, angenehm nostalgisch, ohne rückwärtsgewandt zu sein.

Freut mich. Zumal ich meine Kollegen sehr schätze – Peter Schneider, aber auch Peter Kurth, mit dem habe ich ja schon bei der „SOKO Leipzig“ gearbeitet, das war herrlich. Umso mehr habe ich mich gefreut, mit ihm hier im Jubiläumsfall zu spielen. Wobei ich bis zum Drehbeginn gar nicht wusste, dass er zum 50. Geburtstag gezeigt wird. Ich fand es jedenfalls schön, als Großvater außer Diensten nochmals zurückzukehren, nach 25 Jahren. Darüber musste ich nicht lange nachdenken.

Blicken Sie auf die Zeit beim „Polizeiruf“, der Sie zu einem der Stars des DDR- Fernsehens gemacht hat, mit Wehmut, Stolz oder auch ein wenig Zorn zurück?

Das ist keine so einfache Frage. Am Anfang hatte ich schwere Bauchschmerzen mit dem Format, weil mit so einer Reihe stets die Gefahr verbunden ist, so sehr damit verbunden zu werden, dass man für anderes nicht mehr infrage kommt. Aber das ist bei mir nie geschehen. Deshalb habe ich die Rolle immer gerne und mit viel Spaß gespielt. Der Blick ist also eher stolz.

Und das, obwohl es 1994 hieß, Sie seien abgesägt worden.

Bin ich aber gar nicht, das war ein gemeinsamer Entschluss darüber, dass man die Geschichten und Figuren aus der Zeit der DDR nicht einfach in die der BRD übertragen könne, als sei nichts passiert. Dabei ist alles passiert. Es hat sich in den Büchern nur kaum wiedergefunden. Das ging aus meiner Sicht nicht bei so einer reflektierten Figur wie Thomas Grawe. Die Initiative ging also mehr von mir aus.

Wenn Sie die 25 Fälle vorm Fall der Mauer jetzt mit den acht danach vergleichen – waren es demnach auch ähnliche Arbeitsbedingungen?

Dramaturgischer Anspruch und Drehbedingungen waren im Osten ähnlich professionell wie im Westen – auch wenn die technische Ausstattung natürlich nicht immer vergleichbar war. Was jedoch beide Formate unterscheidet, ist der inhaltliche Zuschnitt. Auch wenn ich einer der ersten „Polizeiruf“-Ermittler war, die ein Privatleben haben durften, stand bei uns stets der Täter und seine Motivation im Mittelpunkt. Das finde ich bis heute besser als beim „Tatort“, wo seit langem schon der Kommissar im Fokus steht.

Gab es in der DDR denn inhaltliche Restriktionen, politisch nicht anzuecken?

Da wollen wir mal nicht übertreiben, wir mussten nicht dauernd aufpassen, was gesagt wurde und was nicht. Der „Polizeiruf“ war schon wegen der realistischen Darstellung der Straftäter, die es im Sozialismus ja eigentlich gar nicht geben durfte, zwar durchaus systemkritisch. Es ging aber ums Verbrechen als Teil jeder Gesellschaft.

Wobei es beim „Polizeiruf“ nicht immer Mord war, sondern alle erdenklichen, oft kleineren Delikte.

Das war Absicht, um den Alltag der jeweiligen Gegenwart einzufangen. Deshalb fand ich den „Polizeiruf“ auch realistischer, einfach näher am Gewöhnlichen. Die Filmemacher wollten die Gesellschaft im „Polizeiruf“ spiegeln, aber nur inoffiziell, nicht im Staatsauftrag. Weil weder Stasi noch SED größere Rollen gespielt haben, waren offene politische Äußerungen ohnehin eher selten. Die gab es aber auch beim „Tatort“ im Westen ja kaum.

Wie fanden Sie es bei aller Unvergleichbarkeit, dass Sie im Westen seinerzeit als Schimanski des Ostens bezeichnet wurden?

Das fand ich eigentlich ganz schön, und es hat mich auch insofern berührt, als Götz George wie ich mit meiner Figur versucht hat, eigene Wege zu gehen, abseits vom Durchschnitt der Fernsehermittler. Ich habe seine Fälle auch gerne gesehen, aber nie versucht, ihn irgendwie nachzuspielen.

Schauen Sie sich aktuelle Fälle des „Polizeirufs“ noch an?

Manche ja, vor allem Charly Hübner in Rostock oder Claudia Michelsen in Magdeburg.

Das sind jetzt zwei Ost-Varianten.

Richtig, dazu habe ich vermutlich einen anderen persönlichen Bezug als zum „Polizeiruf“ in München.

Wie wichtig ist der „Polizeiruf“ für die ostdeutsche Identität?

Das weiß ich nicht, aber für meine Identität ist er nicht wichtig. Da war die „SOKO Leipzig“ schon deshalb bedeutsamer, weil ich darin von Anfang als Hauptdarsteller und seit 2017 als Nebendarsteller dabei war.

In 329 Fällen, von denen einer sogar um Ihre reale Stasi-Vergangenheit ging.

Und zwar auf eigenen Vorschlag hin. Nachdem ich 2013 an meine IM-Akte als junger Schauspielschüler in den 60er Jahren hingewiesen wurde, habe ich es schnell publik gemacht und bin auch danach offen damit umgegangen – inklusive meiner Autobiografie „Klare Ansage“. Schließlich habe ich niemandem geschadet, das war und ist mir wichtig.

Im Jubiläums-„Polizeiruf“ treten Sie als pensionierter Kommissar auf. Können Sie sich das auch für die nächsten Folgen vorstellen?

Unbedingt. Ich würde sehr gern weitermachen. Zumal Thomas Grawe eine sehr sympathische Funktion hat: beruflich bereits in Rente, aber immer noch als Ratgeber gefragt. Meine eigenen Kinder machen das zwar nicht mehr, aber im Alter wünscht man sich generell, noch ein bisschen gebraucht zu werden.

Wobei Sie noch nicht in Rente sind!

Nein. Ich drehe gerade einen Kinofilm, bei dem mein Sohn Matti übrigens Regieassistent ist. Herrlich!

Herr Schmidt-Schaller, vielen Dank für das Gespräch.

Die "Polizeiruf 110"-Folge "An der Saale hellem Strande" wird am Sonntag, 30. Mai um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.