Herr Hoesch, hat eine noch nie dagewesene Pandemie für einen Dokumentarfilm-Produzent etwas Reizvolles?

Am Anfang dachten wir irgendwie, die Welt geht unter. Das war erst einmal eine beklemmende Situation, weil man als Unternehmer nicht nur für sich selber die Verantwortung trägt. Bei kleinen, unabhängigen Unternehmen ist es fast immer die mangelnde Liquidität, die einen nahen Exitus möglich macht und am Ende ist es egal ob du auf dem offenen Meer ertrinkst oder am Strand. Eine Firma unserer Größe mit ca. 20 parallelen Produktionen, viele davon mit eigenem Geld co-finanziert, kommt schnell in Liquiditätsprobleme, wenn ein massiver externer Schock eintritt. Wir haben schnellstmöglich alle Kolleginnen und Kollegen, die im Ausland gedreht haben, zurückgeholt und alle Produktionen gestoppt und die volle Konzentration auf das Schöpfen von Liquidität gerichtet. Gleichzeitig haben wir uns aber auch gegen Kurzarbeit entschlossen.

Warum?

Cash is King, aber Content is King Kong. Ich war sicher, dass wir den Neustart mit einem hochmotivierten Team besser schaffen, als mit enttäuschten Kurzarbeitern. Zusätzlich war ich davon überzeugt, dass wir als Unternehmen die Pflicht haben, unserer Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber gerecht zu werden. Dank der staatlichen Hilfen war es für uns als Unternehmen leichter Liquidität zu schöpfen, als für die Kollegen an zusätzliches Cash für den normalen Alltag zu kommen. Diese Chance, den Lebensstandard zu halten, haben wir mit den Mitarbeitern sozialisiert. Ich glaube daran, dass sich Investitionen ins Team, wenn vielleicht auch viel später, bezahlt machen. Und glücklicherweise kam es dann ja nicht so schlimm wie in den ersten Monaten befürchtet.

Um die Frage nochmal aufzugreifen: Können Sie der Pandemie auch etwas Positives abgewinnen?

In jeder Krise steckt eine Chance für Veränderung, weil verkrustete Strukturen und Denkmuster aufbrechen und ich meine damit jetzt nicht nur die Akzeptanz von Video Calls und Home Office. Ein Beispiel: ohne Fußball-EM und Olympische Spiele fehlten 2020 zwei sportliche Großereignisse in Umsetzung der ursprünglichen Programm-Planung der Sender. Ohne Krise hätte das Gespräch mit der ZDF-Sportredaktion nie so schwungvoll gestartet, was sehr für die Kollegen spricht. Das ZDF ist in der Folge bei "Kroos. Eine Familie und der Fußball", "Die Geschichte des Colin Kaepernick" und "Schwarze Adler" eingestiegen.

Über Leopold Hoesch

  • Leopold Hoesch ist mit seiner Firma Broadview TV seit 1999 im Bereich der Dokumentarfilme unterwegs und wurde 2003 für "Stalingrad" erstmals für einen International Emmy Award nominiert. 2004 folgte mit dem Deutschen Fernsehpreis für "Das Wunder von Bern" die erste Auszeichnung, 2005 dann klappte es mit einem iEmmy für "Das Drama von Dresden". Hoesch wurde zum Botschafter der International Emmy Awards in Deutschland, veranstaltet seit vielen Jahren eine der Jurysitzungen für die iEmmys in Köln. Mit u.a. "Klitschko", "Nowitzki" und "Kroos" produziert er seit zehn Jahren auch mehrere Sport-Dokumentationen.

Und die Corona-Pandemie als Thema?

Wir haben am Anfang das versucht, was alle Dokumentarfilmer versucht haben, einen schnellen Covid-Film anzubieten. Nach unserem Antibiotika-Film "Resistance Fighters" von Michael Wech waren wir exzellent in der Szene vernetzt. Diese etablierten weltweiten Zugänge wie beispielsweise zum Chief Medical Officer UK, zum CDC in den USA und China wollten wir einbringen. Leider mussten wir feststellen, dass es am Anfang gefühlt mehr Covid Filme am Markt gab als Infizierte.

Ein Dokumentarfilm über die Corona-Pandemie aus dem Frühjahr 2020 wäre vermutlich nicht gut gealtert…

Wahrscheinlich wäre die Doku nicht gut gealtert. Vor allem weiß man erst jetzt, was man damals alles nicht wusste. Es wurde aber schnell klar, dass diese Geschichte eigentlich erst am Ende dokumentarisch richtig erzählt werden kann. Alles andere decken die Nachrichten, insbesondere in Deutschenland, extrem gut ab. Daraus ist der Gedanke entstanden: Wir machen nicht die erste Doku zum Thema, sondern die letzte.

Und das hat sich verkauft?

Mit diesem Konzept sind wir an die ZDF-Programmredaktion herangetreten - mit Idee, Autor Michael Wech und Erfahrung; Fertigstellung offen. Mehr war im ersten Pitch nicht drin. Das ZDF war interessiert. Dann haben wir vier Monate für das erste Treatment recherchiert und die Grundlage für die Verträge mit ZDF und Film- und Medienstiftung NRW geschaffen. Unser Arbeitstitel ist „Covid Century“.

Aber wann ist die Zeit gekommen für die letzte Dokumentation zur Pandemie?

Wir wissen es nicht, vielleicht im Dezember? Aber wir wissen es nicht.

Ist es der konkrete Pitch, der Partner für so ein Projekt gewinnt? Wie groß ist der Wettbewerbsvorteil durch die Reputation vergangener Filme?

Die Reputation macht es vielleicht einfacher das Vertrauen zu gewinnen, aber dann einen überzeugenden Dokumentarfilm vorzulegen, wird nie einfacher. Das ist jedes Mal wieder so anstrengend wie beim ersten Mal. Und das hier wird mit Sicherheit der schwierigste Film, den wir bisher gemacht haben. Eine hochbewegliche dramatische Geschichte, die auf der ganzen Welt gleichzeitig stattfindet, die jeden Tag andere Wendungen nehmen kann, mit noch unklarem Ausgang aber maximalen Reisebeschränkungen.

Wird es ein politischer Film?

Man fragt sich angesichts der vielen Toten und der Größe der Bedrohung, warum nicht viel früher in einen sehr aktiven Verteidigungsmodus gegangen wurde. Der nächsten Pandemie würde man sicher anders begegnen und auch die Vorzüge der Digitalisierung anders nutzen. Wenn es einen Hauptpreis für die Verdienste in der Corona-Pandemie in Deutschland gibt, dann müsste der an den besonnenen Bürger verliehen werden: Trotz manchmal schwer nachvollziehbarer Maßnahmen, blieb die große Mehrheit der Menschen vernünftig zum Wohle der Mehrheit.

Während das Projekt noch weit voraus ist, steht Ende August der Kinostart Ihrer Dokumentation „Die Unbeugsamen“ über Frauen in der Politik bevor. In einer Werbung wird es als „die Doku des Jahres“ angekündigt. Ist „Schwarze Adler“ dann nur die zweitbeste Doku des Jahres?

(lacht) Marketing. Die beiden Dokumentationen teilen eine gemeinsame Tonalität: Sie thematisieren strukturelle Ungerechtigkeiten mitten in der Gesellschaft - in einem Land, das man zu kennen und verstehen glaubte.

Gerald Asamoah © Broadview Gerald Asamoah in "Schwarze Adler"

Und das in einer sehr interessanten Erzählform, wenn wir über „Schwarze Adler“ reden. Ohne Erzählstimme aus dem Off und ohne anklagenden Tonfall, der berechtigt wäre. Sehr dokumentarisch, was ungewohnt ist im heutigen Diskurs.

Über die Arbeit an diesem Film habe ich immer mehr das Gefühl bekommen, dass die öffentliche Rassismus-Debatte zu sehr an den Rändern stattfindet. Wer sich nicht zu den Aktivisten bekennt, wird leicht selber fast zum Rassisten abgestempelt. Aber genau das verprellt die große Mehrheit, die sich mit dem Thema nicht beschäftigt aber eben gerade damit beschäftigen sollte, weil in der Mitte der Gesellschaft der Alltagsrassismus passiert.

Und es fühlt sich sehr bedrückend an, weil es eben nicht der laute wütende Aufschrei ist.

Ohne anzuklagen wollen wir den Schleier der Unwissenheit lüften und thematisieren, wie sich Alltagsrassismus, mit dem viele Generationen aufgewachsen sind, anfühlt. Ich glaube an die Eindringlichkeit der Schilderungen eines Gerald Asamoah, der stolz für Deutschland gespielt hat und dann weiter rassistisch beleidigt wird. Wir wollen nicht sagen, wie falsch das ist. Wir wollen, dass man es spürt und versucht emotional zu verstehen. Dem Autoren Torsten Körner ist das sehr eindringlich gelungen. Und die Szenen aus früheren Fernsehsendungen, kann man heute ja kaum noch ertragen. Sie machen bedrückend deutlich, wie strukturell und akzeptiert Rassismus war.

Die Dokumentation feierte bei Prime Video Premiere, läuft jetzt im ZDF....

Der Start bei Prime Video im April, das war quasi unser Kino-Release einer Dokumentation nur ohne Kino. Auf dem liegt auch immer alle Aufmerksamkeit der Presse, du bist tagesaktuell kurz groß im Gespräch aber dann auch schnell abgehandelt ähnlich wie wenn man einen Dokumentarfilm ins Kino bringt, erreicht man damit häufig nur eine sehr spezielle Blase.

Shary Reeves © Broadview Shary Reeves in "Schwarze Adler"

Sie erhoffen sich also viel von der Verbreitung im ZDF?

Die Veröffentlichung in der ZDF-Mediathek, die großartige ZDF-Promo und insbesondere die Ausstrahlung jetzt im ZDF-Programm am Freitagabend nach dem EM Spiel England-Schottland hat den großen Reiz, dass Menschen über den Film stolpern und hängen bleiben. Und am Tag zuvor hat Markus Lanz eine ganze Sendung monothematisch zu „Schwarze Adler“. Das ist fantastisch. Damit kommen wir jetzt innerhalb weniger Tage auf ein Millionenpublikum. Wenn der Film nur bei zehn Prozent zum Überdenken des eigenen Verhaltens führt, dann haben wir damit nachhaltiger überzeugt als wenn wir von vornherein einen anklagenden Ton gewählt hätten.

Und das gilt auch für "Die Unbeugsamen"?

Das funktioniert ähnlich, nur mit der Rolle von Frauen in der Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Da beschleicht einen beim Zuschauen ein ähnliches Gefühl: eine enorme Wertschätzung für die, die sich unter so schwierigen Bedingungen nicht haben unterkriegen lassen. Diskriminierung ist wie eine Sondersteuer auf Erfolg. Als Betroffener muss man härter arbeiten und noch mehr investieren für den gleichen Erfolg. Normalerweise kommt eine Steuer irgendwem zu Gute. Diskriminierung hilft aber niemandem. Dafür müssen wir sensibilisieren: Natürlich funktioniert „Die Unbeugsamen“ noch einmal etwas anders, weil eigentlich jede Zuschauerin und jeder Zuschauer in der Familie Frauen hat, die diese Jahrzehnte und den Umgangston selber erlebt haben.

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Beide Filme eint auch die Nutzung von älteren Fernsehsendungen, die einst normal waren und aus heutiger Sicht Zeitdokumente der Diskriminierung sind…

Da gibt es noch abertausende Stunden Programm, das uns den Spiegel vorhalten kann. Die Arbeit an einem Film startet aber nicht mit dem Blick ins Archiv, sondern mit Autoren und deren Team, die daraus eine eindringliche Geschichte bauen. Das wiederum verschlingt eine irre Zeit, Geld und setzt enormes Transferwissen voraus. Dieses Transferwissen hatte Torsten Körner. Für mich bis heute schwer fassbar, wie lange es gebraucht hat, Partner für dieses Projekt zu finden und wie lange wir die finanzielle Last alleine stemmen mussten.

Wann hat sich das geändert?

Die Film- und Medienstiftung NRW, insbesondere Petra Müller, hat immer an diesen Film geglaubt. Allerdings war es formal schwer ohne Sendepartner die Finanzierung darzustellen. Wir haben dann klar machen können, dass wir diesen Film egal wie auch alleine über ein Darlehen von der Bank zu Ende finanzieren werden. Der spätere Einstieg von BKM, Film- und Medienstiftung NRW, Majestic und 3sat haben uns einige Last von der Brust genommen.

Und auch hier wie bei „Schwarze Adler“: kein Off-Sprecher, keine Einordnung…

Wir lassen diese Frauen sprechen und das wirkt! An beiden Filmen saßen wir jeweils mehr als 120 Tage in der Postproduktion. Ohne Off-Text, ist es viel aufwendiger die Story nur aus den O-Tönen zu treiben. Aber es ist auch sehr reizvoll, weil man die Bühne wirklich denen überlässt, die aus ihrer eigenen Emotion, manchmal auch Trauma, erzählen. Ich bin sehr gespannt auf den Kinostart am 26. August. Übrigens wollten wir auch mit "Schwarze Adler" in die Kinos, aber dann gab es Pandemie-bedingt kein Kino und spätestens zur EM musste der Film kommen, daher der Weg mit Prime Video und ZDF, der - wie ich finde - die These eindrucksvoll belegt, ein Kinofilm muss nicht unbedingt im Kino laufen, um sich als solcher zu qualifizieren, er muss aber aussehen wie ein Kinofilm. Als Konsument gibt es allerdings nichts Schöneres, als einen perfekt ausproduzierten Film dann wirklich auch auf der großen Leinwand zu sehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kino als magisch Ort sehr stark zurückkommen wird.

Herr Hoesch, herzlichen Dank für das Gespräch.

"Schwarze Adler" läuft am Freitagabend ab 23.30 Uhr im ZDF und ist in der ZDF-Mediathek sowie bei Amazon Prime Video abrufbar.