Frau Tschirner, wenn man Interviews mit Ihnen sieht oder liest, dann drängt sich der Eindruck auf, sie hätten auf alles eine Antwort. Auf welche Fragen trifft das nicht zu?

(überlegt) Ich habe keine Antwort darauf, wie das Evolutionsspiel zwischen der Menschheit und dem Planeten ausgehen wird. Aber sonst natürlich auf alles, da haben Sie recht. (lacht)

Die neue Arte-Dokureihe "42 - Die Antwort auf fast alles", deren Sprecherin Sie sind, befasst sich mit Fragen wie: "Können wir uns durch die Erdkugel graben?" oder "Was, was wenn es keinen Schleim gäbe?". Gibt’s davon eine Frage, die Sie sich ernsthaft schon einmal selbst gestellt haben?

Nicht zwingend, allerdings stelle ich häufig fest, dass es mich zum Nachdenken anregt, wenn andere Menschen eine Frage stellen, auf die ich selbst womöglich nie gekommen wäre. Genau diesen Reflex hatte ich bei sämtlichen Folgen unserer Arte-Reihe. Ich finde es super, dass ich nicht alle besten Fragen der Welt selber stellen muss, sondern dass viele verschiedene Hirne und Herzen zusammen so etwas hervorbringen.

Das hat ja ein bisschen was von der "Sendung mit der Maus", bei der es meist Kinder sind, die Fragen stellen, auf die man selbst gar nicht gekommen wäre.

Diese Naivität ist uns leider oft etwas abhanden gekommen, dabei ist das eine wichtige Eigenschaft, weil viele Fortschritte der Welt erst durch naive Fragestellungen entstanden sind. Umso beruhigender und beglückender für mich ist es, in dieser Sendung Erwachsenenhirne zu entdecken, die diese Qualität mitbringen. Durch Fragen wie diese entstehen Räume für Kreativität und Forschung, die Quantensprünge ermöglichen. Dieses Prinzip habe ich mir inzwischen übrigens auch bei der Wahl meiner Filmprojekte zur Grundlage gemacht. Eine gewisse Rückbesinnung auf’s Kindliche.

Wie meinen Sie das?

Die wichtigste Frage, die ich mir bei der Zusammenarbeit mit Filmschaffenden stelle, lautet: Sind sie frei im Kopf? Die meisten Projekte werden nämlich immer dann besonders, wenn besonders viel Verspieltheit dahintersteht. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie viel Geld vorhanden ist. Ganz egal, ob Low Budget oder No Budget: Das Mindset muss so angelegt sein wie in der dritten Klasse, als man sich gemeinsam irgendwelches Zeug ausgedacht hat. Wenn das der Spirit ist, dann kommen tolle Filme und Serien dabei heraus. Das war bei "Keinohrhasen" ebenso der Fall wie bei "Ijon Tichy".

 

Ich wurde in meiner Neugier, anders als viele andere Kinder, nicht gebremst.

 

Sie decken eine enorme Bandbreite ab - vom "Tatort" über "The Mopes" bis hin zu dieser neuen Arte-Reihe. Gibt’s da eine Art roten Faden?

Wenn man es nur künstlerisch analysiert, sieht es vielleicht zusammengewürfelt aus. Wenn man aber versteht, dass meine Leidenschaften schon von jungen Jahren an Humor und ein Riesen-Interesse an den großen Fragen der Menschheit war, ergibt’s schon mehr roten Faden. Natürlich habe ich früher auch berufliche Projekte gemacht, bei denen ich in erster Linie Bock auf die Gruppe hatte. Oft ging es mir dann auch darum, das Geld zusammenzukriegen, um Dinge machen zu können, die vielleicht nicht monetär, dafür aber gesellschaftlich spannend sind. Mittlerweile kann ich glücklicherweise all das mehr und mehr verknüpfen. Ich stehe darauf, Dinge zu machen, die thematisch einen gesellschaftlichen Überbau haben, fiktional toll sind und mich gleichzeitig finanziell über Wasser halten.

Liegt ihre Neugier vielleicht auch in Ihrem Elternhaus begründet - mit einem Vater als Dokumentarfilmer und einer Mutter als Journalistin?

Ich glaube, jedes Kind kommt mit einer Grundneugierde auf die Welt. Es ist ein evolutionärer Faktor, sich für die Welt zu interessieren - ohne Wertung über Berufsgruppen oder Bildungsstände. Ich habe das also wahrscheinlich genauso mitgebracht wie alle Kinder. Durch die beiden Berufe meiner Eltern aber, verbunden mit deren Haltung, die nicht in erster Linie auf die Vermehrung von Geld zielte, gehörte der Blick für Menschen und deren Geschichten einfach durchweg zum Tagesgeschäft. Die Welt auf kindliche Weise spannend zu finden, konnten sich meine Eltern selbst immer erhalten. Deshalb wurde ich in meiner Neugier, anders als viele andere Kinder, nicht gebremst.

Im Fernsehen finden Dokumentarfilme oder Reportagen, die neugierig machen, auf großen Sendern oft nur zu Randzeiten statt. Bedauern Sie das?

Das ist einerseits schade, andererseits bin ich auch eine große Freundin von Unterhaltung. Leider ist dieser Begriff oft sehr negativ konnotiert. Dabei sollten wir nicht den Fehler machen, die gesellschaftspolitische Kraft von Unterhaltung zu unterschätzen. Wenn wir uns menschheitsgeschichtlich zurückerinnern, dann besaß früher ein Geschichtenerzähler an einem Lagerfeuer eine äußerst wichtige Funktion, weil im Zuhören und Zurücklehnen eine heilende Kraft steckte. Umso toller wäre es doch, wenn wir die heutigen Gräben zwischen E und U überwinden könnten, so wie wir es jetzt beispielsweise mit "42" versuchen.

Eine ganz andere Frage zum Schluss: Sehen wir Sie eigentlich im "Tatort" wieder?

Nee, das ist leider vorbei.

Keine Chance auf eine Rückkehr?

Nun ja, wie heisst es: wenn Du das Leben zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen. Aber der aktuelle Stand ist: It’s all over now, Baby Blue.

Frau Tschirner, vielen Dank für das Gespräch.

"42 - Die Antwort auf fast alles" steht ab sofort auf Arte.tv zum Abruf bereit. Die TV-Ausstrahlung erfolgt ab sofort samstags gegen 22:35 Uhr.