Frau Illner, wie erleben Sie den Wahlkampf bisher?

Dieser Wahlkampf ist einmalig. Es gibt keine Amtsinhaberin, die wiedergewählt werden will und einfach nur sagen kann: „Sie kennen mich.“ Umso wichtiger wäre, dass die drei Kandidaten jetzt mal für sich und ihre Konzepte werben. Das passiert zu wenig. Als Bürgerin habe ich noch keine Vorstellung davon, wie dieses Land in zehn Jahren aussehen sollte, wenn der eine oder die andere gewählt würde – und vor allem, wie sie dahin kommen wollen. Ich glaube, das geht nicht nur mir so.

Ein TV-Triell hat es bereits gegeben. Hat das aus Ihrer Sicht dazu beitragen können, den Wählerinnen und Wählern die Entscheidung zu erleichtern?

Das wissen soziologische Institute besser - und gegebenenfalls auch Ihre Kollegen. Mein Eindruck: Ausweichen war die Königsdisziplin. Gerade beim Riesen-Thema Klima bekommen die Menschen keinen reinen Wein eingeschenkt. Dabei wird das sehr viel verändern, viel kosten und zu großen Verteilungskämpfen führen. Man muss den Bürgern sagen, wie viel Geld sie im Portemonnaie haben werden, man sollte sie aber auch grundsätzlich nicht unterschätzen oder unterfordern. 

Geht das Konzept des Triells aus Ihrer Sicht auf?

Als Sendungsidee sicher. Pinar Atalay und Peter Kloeppel haben das erste Triell gut moderiert. Wir haben drei Politiker erlebt, die sich inhaltlich auseinandersetzten und aufeinander bezogen. Das sind große Unterschiede zu den Duellen aus den vergangenen Wahljahren.

Die Duelle wirkten in der Vergangenheit oft statisch.

Das haben Sie jetzt sehr freundlich formuliert. Angela Merkel wollte immer nur ein Aufeinandertreffen mit dem Herausforderer der SPD. Das führte dazu, dass die jeweiligen Duelle von vier Fernsehstationen parallel übertragen wurde, in einem irren Kraftakt, und mit mehr Interviewern im Raum als Interviewten. Mit diesem Konstrukt war niemand wirklich glücklich. Das ist diesmal zum Glück anders.

 

"Auf Nachfragen keine Antwort zu geben - das ist dann auch eine Botschaft, die der Wähler sieht und hört."

 

Sie werden am kommenden Sonntag das zweite Triell zusammen mit dem ARD-Chefredakteur Oliver Köhr moderieren. Was haben Sie sich vorgenommen?

Wir werden die großen und wichtigen Themen ansprechen, manches präzisieren und hoffentlich eine gute Sendung machen. Meine Kollegen und ich haben die Sommerpause genutzt, um die Wahlprogramme zu studieren, klar, aber es passiert natürlich auch jeden Tag genug, was Oliver und ich im Blick haben werden.  

Viele Politikerinnen und Politiker tun sich allerdings schwer damit, sich festzulegen. Welche Strategie fahren Sie, wenn keiner etwas sagen will?

In erster Linie geht das durch Nachfragen - und das werden wir am Sonntagabend auch tun. Am Ende ist es aber die Entscheidung des Politikers selbst: Auf Nachfragen keine Antwort zu geben - das ist dann auch eine Botschaft, die der Wähler sieht und hört.

Lassen Sie uns über ihre wöchentliche ZDF-Talkshow sprechen, die im vergangenen Jahr thematisch sehr stark von der Corona-Pandemie geprägt war. Wie viele Semester Virologie können Sie sich eigentlich rückblickend anrechnen lassen?

(lacht) Ich habe tatsächlich das Gefühl, da eine ordentliche Bildungsreise hingelegt zu haben. Das journalistische Bedürfnis war ja groß, die Zusammenhänge erstmal zu verstehen und mit Corona irgendwie Schritt zu halten. Ich bin dankbar für die Arbeit meiner Redaktion und auch für viele Hintergrundgespräche mit Wissenschaftlern, die natürlich die entscheidende Expertise haben.

Seit Beginn der Pandemie kommen Sie nun schon ohne Publikum aus. Jetzt wäre es eigentlich wieder möglich, aber Sie senden noch immer vor leeren Rängen. Bleibt’s dabei?

Ganz ehrlich, wir sind noch nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken. Das Publikum gehörte immer zu unserer Sendung, und es fehlt mir. Auf der anderen Seite sind die Gespräche konzentrierter und intensiver geworden. Mancher Applaus hat in der Vergangenheit auch einfach spannende Gedankengänge unterbrochen. Mal schauen…Gleichzeitig finde ich erstaunlich, wie viel uns unsere Zuschauer technisch verzeihen. Jeder, der Homeoffice macht, weiß, wie störend diese Zeitverzögerungen bei Videoschalten sind. Das ist eigentlich das glatte Gegenteil von dem, was man sich für so eine Sendung wünscht: Zugeschaltete Diskutanten. Aber Corona war wichtig, und die Leute haben uns geschaut.

Worauf führen Sie das zurück?

Ein möglichst breites Spektrum an Gästen - von der Krankenschwester bis zur Wissenschaftlerin, vom Maskenhersteller bis zu Jan Josef Liefers. Alle haben dazu beigetragen, dass man mit dieser Krise Schritt halten und sich immer wieder informieren konnte über die Dinge, die gerade wichtig sind oder als nächstes wichtig werden. Wir sind damit auch die am besten geschaute politische Talkshow. Ist doch klasse, dass die Leute unsere Sendung so interessant finden wie wir selbst. (lacht) Übrigens auch die Jüngeren.

Ist der wachsende Anteil junger Zuschauer und Zuschauer ein Zeichen einer zunehmenden Politisierung der Gesellschaft? 

Sicher hat das mit dem Zustand der Welt zu tun, dass sich die junge Generation heute wieder ganz anders für Politik interessiert. Corona, Klima, Flut, Afghanistan- wenn man erlebt, wie Politik sich in diesen Krisen verliert, kann man schon verzweifeln, auch mit 16 oder 21. Ins Studio haben wir immer auch tolle junge Gäste eingeladen, da brauchten wir die Krisen nicht als Erweckungserlebnis- in der Pandemie waren das Mirko Drotschmann oder Mai Thi Nguyen-Kim. Aber dass junge Leute das auch wieder mehr schauen, hat bestimmt mit Lage der Welt und den vielen fehlenden Antworten zu tun… 

Sie setzen seit vielen Jahren auf große Gesprächsrunden, während Ihr Kollege Markus Lanz viel mehr Zeit hat, sich einzelnen Gästen zu widmen - und sie im Zweifel auch auseinanderzunehmen. Beneiden Sie ihn darum an manchen Tagen?

Markus Lanz moderiert seine Sendung und ich eine andere - und das ist auch bestens so. Seit der Pandemie hat er häufiger Politiker zu Gast und gute Interviews geführt, etwa mit Markus Söder und Armin Laschet in einer entscheidenden Phase im Frühjahr. Ich freue mich doppelt, dass der Donnerstag im ZDF mit diesem Doppel-Whopper Illner/Lanz so gut funktioniert. Da gönnen sich offensichtlich nicht nur Heavy-User immer gleich uns beide.

Sie moderieren die Sendung seit mehr als 20 Jahren. Besteht die Gefahr, dass Sie die Lust darauf verlieren?

Nein. Eigentlich könnte man doch jeden Tag eine solche Sendung machen. Wenn man das mit früher vergleicht, dann wird heute an einem Tag über so viele Themen gesprochen, wie damals in einer ganzen Woche nicht. Das sind völlig andere Dimensionen. Also, ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass uns der Stoff ausgeht.

Frau Illner, vielen Dank für das Gespräch.