Herr Schild, Sie sind seit Ende vergangenen Jahres Chef von funk. Was können Sie Ihrer neuen Co-Chefin mit auf den Weg geben? 

Philipp Schild: Glücklicherweise ist sie nicht neu im Haus, sondern kam wie ich schon in der Anfangszeit zu funk. Ich würde uns daher lieber beiden einen guten Ratschlag geben, nämlich dass wir unsere Chef-Seite auch in Zukunft nicht zu sehr raushängen lassen und uns stattdessen um einen strategischen Rahmen kümmern. Wir sind immer gut damit gefahren, auf die Kompetenzen unserer Leute zu vertrauen.

Frau Blum, was bedeutet es für Sie, in dieser Position Verantwortung zu tragen?

Kristin Blum: Ich habe bei funk die Kommunikationsabteilung aufgebaut und schon in den vergangenen Jahren sehr viel themenübergreifend gearbeitet. Daher freut es mich total, nun in dieser neuen Funktion mit Philipp und dem ganzen Team zusammenzuarbeiten, um unsere Inhalte zu den 14- bis 29-Jährigen zu bringen.

Wie bekannt ist funk inzwischen?

Blum: funk und seine Formate haben mittlerweile eine Bekanntheit von 87 Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen. Wir haben  im Vergleich zum letzten Jahr nochmals fünf Prozentpunkte zulegen können. Gleichzeitig ist auch die Nutzung gestiegen, hier liegen wir inzwischen bei 77 Prozent. Das ist ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, wie divers und unterschiedlich die Bedürfnisse in der Zielgruppe sind. Ein 14-jähriger Schüler hat in aller Regel andere Themen als eine 29-jährige Mama. Dennoch wollen und müssen wir beide ansprechen.

 

Wer sich zehn, zwölf oder gar 20 Minuten lang ein Video anschaut, tut dies in den seltensten Fällen, weil er es richtig schlecht fand.
Philipp Schild

 

Wird funk denn eigentlich gezielt angesteuert oder ist es eher dem Zufall geschuldet, wenn die junge Zielgruppe mit Ihren Inhalten in Verbindung kommt? 

Schild: Zufall ist es nicht, wenn unsere Zielgruppe in Kontakt mit uns kommt. Mit jeder Formatentwicklung wird auch eine passende Distributionsstrategie entwickelt. Im Kern geht es hier darum, wie wir die intendierte Zielgruppe auf welcher Plattform mit unseren Inhalten überzeugen können. Es war viel Arbeit, dahin zu kommen, wo wir heute stehen: funk begann vor fünf Jahren in einem Markt, der ganz bestimmt nicht darauf gewartet hat, dass ARD und ZDF zu YouTube kommen. Umso wichtiger war es, von Beginn an mit guten Inhalten und Köpfen zu überzeugen, sodass eine Bindung zu den Zuschauerinnen und Zuschauern entsteht. 

Oft wird erst ganz am Ende eines Videos deutlich, dass es sich um einen funk-Inhalt handelt. Ist das nicht ein bisschen spät?

Schild: Das folgt tatsächlich einer strategischen Logik. Wir warten auf einen Moment, an dem die Leute ein Video richtig feiern – und das ist oft am Ende der Fall. Wer sich zehn, zwölf oder gar 20 Minuten lang ein Video anschaut, tut dies in den seltensten Fällen, weil er es richtig schlecht fand. Auf diese Weise ist funk heute in weiten Teilen der Bevölkerung ziemlich positiv besetzt, sodass wir schon vor einiger Zeit dazu übergehen, unsere Videos auch früher mit funk zu branden und Dachmarken-Angebote zu schaffen. So wie bei Instagram, wo uns über 900.000 Menschen folgen. 

Blum: Anders als in der Anfangszeit wird funk inzwischen gezielt gesucht und gefunden. Das ist auch der Grund, weshalb wir jetzt einen funk-Podcast gestartet haben, um die Community weiter an uns zu binden.

Welche Plattform ist für funk die wichtigste?

Schild: Alle Plattformen ziehen bestimmte Alterssegmente und Communitys an. Möglichst überall vertreten zu sein, ist eine zunehmende Herausforderung, weil jede zusätzliche Plattform bedeutet, eine neue Strategie zu entwickeln und den Content zu optimieren. Wenn wir eine wirklich wichtige Plattform nicht mehr bedienen, dann können wir uns das Ziel abschminken, alle zu erreichen. Im Moment holen wir besonders bei YouTube und Instagram viele Leute ab. TikTok und andere hochkantige Video-Angebote werden bei jungen Zielgruppen stärker genutzt. Gleichzeitig zeigt sich die Tendenz, dass der Podcast-Markt immer wichtiger wird. Deshalb haben wir in relativ kurzer Zeit unser Podcast-Netzwerk aufgebaut. 

Philipp Schild und Kristin Blum © funk / Jana Kay Kristin Blum und Philipp Schild leiten das öffentlich-rechtliche Jugendangebot. In fünf Jahren wurden rund 39.000 Videos veröffentlicht - Instagram-Storys inklusive.

In der Anfangsphase haben Sie auch auf zugekaufte Serien gesetzt. Warum hat das nicht funktioniert?

Blum: Wir hatten wirklich tolle Serien, mussten aber sehr schnell feststellen, dass das Konzept nicht aufgeht. Sie können nicht einfach das Lineare ins Netz stellen und davon ausgehen, dass es funktioniert. Eine Hürde war dabei sicher auch, dass wir die Serien in unserer eigenen App hochladen mussten, die jedoch kaum bekannt war. Die Leute zu einem dauerhaften Plattformwechsel zu bewegen, ist unglaublich schwierig. Deutlich besser fahren wir daher mit Serien, die eigens für ihre Plattformen entwickelt wurden, etwa "Druck" oder "iam.justmyself". Dafür braucht es jedoch eigene Ansätze und andere Erzählweisen.

Schild: Es ist außerdem schnell die Erkenntnis gereift, dass wir mit unseren Budgets nicht die Chance haben, Netflix Konkurrenz zu machen. Daher war es rückblickend die richtige Entscheidung, sich auf eigene Inhalte zu konzentrieren, die dann auch eine engere und viel langfristigere Bindung nach sich ziehen. Die Geschichten sind dadurch viel nahbarer und ermöglichen einen direkten Austausch mit den Nutzer:innen.

Ihnen stehen jährlich 45 Millionen Euro zur Verfügung. Kommen Sie damit klar? 

Schild: (überlegt) Mehr Geld ist natürlich immer schön, aber die letzten Jahre waren ja im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geprägt von einer unklaren finanziellen Perspektive. Vor dem Hintergrund wurden wir recht stabil budgetiert.  Wir sind froh, dass die Erhöhung des Rundfunkbeitrags durch ist und gehen natürlich davon aus, dass wir jetzt eine Entwicklungsperspektive haben werden, die unserem Auftrag und den wachsenden Anforderungen, die unser Erfolg mich sich bringt, gerecht wird. 

Florian Hager ist nach seinem Abschied von funk in die ARD-Programmdirektion gewechselt. Was können ARD und ZDF von funk lernen?

Blum: funk ist ein Innovationsmotor, der aktuell über 60 Formate produziert. Das zeigt, wie viel Wissen hier über die verschiedenen Plattformen angesammelt wird, von dem ARD und ZDF profitieren können. Deshalb stehen wir mit den Häusern sehr stark im Wissensaustausch.

Schild: Wir geben uns viel Mühe, dass wir kein Closed Shop werden. Insbesondere in der zielgruppenspezifischen Formatentwicklung und der datenbasierten Formatarbeit haben wir sehr viele Learnings generiert, die auch für ARD und ZDF wichtig sind, gerade, wenn wir über Zielgruppen der Mediatheken nachdenken. Gleichzeitig kommt inzwischen unheimlich viel Wissen aus den Häusern zurück. Ich sehe uns deshalb im besten Sinne als Netzwerk, von dem das öffentlich-rechtliche System in der Ganzheit nur profitieren kann.

 

Ich glaube nicht, dass jemand sein Mediennutzungsverhalten über Nacht komplett ändert, nur weil er oder sie 30 geworden ist.
Kristin Blum

 

Gleichzeitig setzen ARD und ZDF aber auch auf junge Formate, die speziell für die Mediatheken entwickelt werden. Wie passt das zusammen?

Blum: Wir sehen uns nicht in der Konkurrenz zu den Mediatheken. Die Mediatheken setzen meist an dem Alterssegment  an, bei dem unser Auftrag aufhört. Zudem gibt es ganz bewusste Verknüpfungen. So ist beispielsweise unser Format "Game Two" seit September auch bei ZDFneo zu sehen. Oder nehmen Sie Phil Laude, der für den SWR "Almania" realisiert hat. Eva Schulz wiederum hat "Der Raum" gemacht und auch Mai Thi Nguyen-Kim, die nun verstärkt im ZDF auftritt, ist weiterhin bei funk vertreten. Auch das "Browser Ballett" spricht die obere Zielgruppe bei funk an und hat inzwischen den Sprung ins Fernsehen geschafft. 

Schild: Viele dieser Köpfe werden die Zukunft von ARD und ZDF entscheidend prägen. Sie werden die Öffentlich-Rechtlichen weiterbringen. Dadurch ist eine ganz natürliche Übergabe-Strategie gewachsen. 

Aber gelingt es dadurch tatsächlich, 30-Jährige quasi über Nacht wieder zu Zuschauerinnen und Zuschauern von ARD und ZDF zu machen?

Blum: Ich glaube nicht, dass jemand sein Mediennutzungsverhalten über Nacht komplett ändert, nur weil er oder sie 30 geworden ist. Allerdings kommen mit jedem Alter neue Nutzungssituationen hinzu, andere treten in den Hintergrund, das merken wir natürlich auch.

Schild: Wichtig ist uns, Übergabepunkte in beide Richtungen  auszubauen. An unsere älteren Zielgruppen anschließend nach oben in die Mediatheken und von unten zwischen dem Kika und funk. Nach fünf Jahren im Markt müssen wir uns auch wieder verjüngen – daher macht es wirklich Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir insbesondere diese Lücke noch besser schließen können. Deshalb befinden wir uns auch in einem engen Austausch mit Kika-Chefin Astrid Plenk. 

In den sozialen Netzwerken herrscht schon heute ein War of Talents, in dem es um viel Geld geht. Kann funk da überhaupt mithalten? 

Blum: Natürlich ist es nicht einfach, wenn man sich aktuell beispielsweise ansieht, mit wie viel Geld junge Influencer bei TikTok gelockt werden. Es gibt aber auch positive Beispiele. Die Show World Wide Wohnzimmer existierte bereits, bevor sie zu uns gekommen sind. Dennis und Benni Wolter haben sich mit ihren Inhalten aktiv bei uns beworben, weil sie bewusst im öffentlich-rechtlichen Universum angesiedelt sein wollten. Ihre Werte haben mit unseren übereingestimmt, das kann durchaus auch eine Motivation sein, mit funk zu arbeiten. . . 

Schild: Aber wollen die Leute nicht einfach nur wegkaufen. Die müssen auch eine Sinnhaftigkeit spüren.

Blum: Gleichzeitig gibt es aber genügend Beispiele von Talenten, die wir gefördert haben. Da ist über die Jahre eine Form von Nachwuchsförderung entstanden, die auf diese Art ohne uns vermutlich nicht stattfinden würde.

Was haben Sie sich für die nächste Zeit vorgenommen?

Blum: Journalistische Standards und eine gute Übersicht über ein Thema zu geben werden in der digitalen Welt mit ihren Filterblasen noch wichtiger. Das können Sie am Erfolg von Formaten wie "Y-Kollektiv", "STRG_F" oder auch "TRU Doku" erkennen. Deshalb wollen wir in Zukunft noch journalistischer werden. Dazu passt, dass wir Ende des Jahres zwei "STRG_F"-Dokumentarfilme für YouTube machen werden, die sich mit der Musikindustrie sowie den Geschehnissen in Afghanistan und der Zeit danach befassen. 

Schild: Der Diskurs und der Meinungsbildungsprozess finden in unseren Zielgruppen schon heute überwiegend im Netz statt. Deshalb ist unsere Verantwortung groß. Gleichzeitig stehen viele Dynamiken auf Social Media Plattformen unserem Ziel entgegen, allen in unseren Zielgruppen informierende, orientierende und unterhaltende Inhalte anzubieten. Denken Sie nur an den Algorithmus, der es oft verhindert, dass sich Menschen ein umfassendes Bild machen können, weil sie nur innerhalb ihrer Filterblase Informationen bekommen. Umso wichtiger sind gute Strategien, um in allen Communites unsere Inhalte bekannt zu machen. Dafür brauchen wir technische Tools, um auch in Zukunft Aufmerksamkeit auf unsere Inhalte lenken zu können und Menschen in einen wichtigen Austausch miteinander zu bringen. Das ist ja generell die Basis für eine funktionierende, demokratische Gesellschaft. Hier sind wir bei funk in fünf Jahren schon sehr weit gekommen aber noch nicht am Ziel.

Frau Blum, Herr Schild, vielen Dank für das Gespräch.