Herr Nickel, in der Serie „Blackout“ fällt der Strom in ganz Europa aus. Wie beleuchtet man glaubhaft und dennoch sichtbar die Dunkelheit?

Christoph Nickel: Das Gleiche hat mich die Produktionsseite auch gefragt und meinte, das könne ja nicht so aufwändig sein – ist ja eh dunkel.

Im Scherz, nehme ich an?

Klar, die Sache ist ja doch komplizierter. Fangen wir draußen an. Wenn man nicht grad auf offenem Feld dreht, lässt sich die Dunkelheit mit vorhandenem Restlicht wunderbar erzählen. Dummerweise fällt in einer Stromausfallserie auch in der Stadt alles weg, was sonst leuchtet. Straßenlaternen zum Beispiel oder Wohnungsfenster. Klassischerweise imitiert man dann Mondlicht mit hartem, kühlen Gegenlicht. Unser Ansatz war es, No-Light Situationen zu schaffen.

No-Light?

Zum Beispiel eine bewölkte, mondlose Nacht ohne andere Lichtquellen. Wir haben große flächige, an Kränen hängende, Leuchtquellen gebaut, um möglichst schattenarmes Licht zu erzeugen. Oder selbstleuchtende Heliumballons, von denen ich bei dieser Serie mehr eingesetzt habe als in 30 Berufsjahren vorher zusammen. Da dürfen Kameraleute keine Angst vor Dunkelheit haben, und bei Kolja Brandt wusste ich, dass er wie ich bereit ist, viel Dunkelheit im Bild zuzulassen. Wir haben aber auch mit Feuer, Autoscheinwerfern, Blaulicht von Polizei und Feuerwehr oder Petroleumlaternen gearbeitet – Lichtquellen, die es auch beim Stromausfall noch gibt.

Vom Leuchten der Smartphones ganz zu schweigen.

Ganz wichtig. Eine Krankenhausszene haben wir ausschließlich mit einer Reihe batteriebetriebener Baumarktlampen beleuchtet – mit denen würde ich sonst eher den Weg zum Catering beleuchten.

Was ist aus Ihrer 30-jährigen Berufserfahrung heraus denn herausfordernder: Tag oder Nacht, Helligkeit oder Finsternis?

Die Herausforderung, Dinge nachts sichtbar zu machen, ohne dass es künstlich wirkt, ist allgemein schon größer, auch spannender. Aber hier war es auch tagsüber anspruchsvoll, weil die Regisseure keine Sonne erzählen wollten, sondern fahles, winterliches Licht. Da kämpft man dann mit vielen großen Segeln gegen die direkte Sonne, die ja auch wandert, sodass man ständig korrigieren muss.

Zumal es mit jedem Tag „Blackout“ dunkler zu werden scheint.

Und da haben wir uns mit Regie, Kamera und Szenenbild Timelines erstellt, welche technischen Geräte wann innerhalb der sieben, acht Handlungstage den Geist aufgeben. Wenn die Kraftwerke stoppen, gehen Deckenlampen sofort aus, aber die Akkus sind noch voll. Wir haben da – auch mit der Continuity – genau überlegt, an welchem Punkt des Drehbuchs selbst mit Taschenlampen Schluss ist, um es von Tag zu Tag dystopischer wirken zu lassen.

Wie eng arbeitet der Oberbeleuchter darüber hinaus mit dem restlichen Team – stehen Sie von Anfang an mit der Regie in Verbindung?

Manche Regisseurinnen und Regisseure haben genaue visuelle Vorstellungen, auch übers Licht. Da fängt die Kommunikation dann schon sehr früh an, und es gibt auch beim Dreh einen engen Austausch. Meist sind es aber die Kameraleute, mit denen ich mich als erstes treffe und ein Konzept erstelle. Man arbeitet dann aber auch eng mit den anderen Gewerken, vor allem dem Szenenbild, zusammen – besonders bei so einem Projekt wie diesem, wo viele Lichtquellen ja auch Teil der Ausstattung sind.

Dafür haben Sie zu Beginn Ihrer Karriere vermutlich noch mit analogem Licht gearbeitet, Kilowatt-Strahlern, womöglich gar Glühbirnen.

Bis in die 80er gab es eigentlich nur Glühlicht und HMI-Scheinwerfer fürs Tageslicht. Mitte der 90er kamen Kino-Flos auf den Markt – filmtaugliche, nicht grünstichige Leuchtstoffröhren in leichten Gehäusen, die das Leuchten in Innenräumen sehr vereinfacht haben. HMI und Glühlicht sind weiterhin tolle Leuchtmittel – allerdings hat LED-Technik die Filmbeleuchtung mittlerweile revolutioniert.

Blackout © Joyn Bei "Blackout" geht's thematisch bedingt eher düster zu

Und das ist auch gut so?

Das ist auch gut so. LED-Lampen sind mittlerweile farblich hervorragend vielseitig, ohne aufwändige Dimmertechnik wireless steuerbar, und nicht zuletzt energiesparend. Wenn es nicht gerade richtig große Sets sind, bei denen ich einen Dimmeroperator brauche, steuere ich im Prinzip alles per Software vom Ipad. Und LED wird auch von der Lichtqualität her ständig verbessert, man kann es mit jeder anderen Quelle mischen, jede erdenkliche Farbe erzeugen. Ich kann heute Kerzenschein mit einer LED-Lampe verlängern. Das war vor drei Jahren so nicht möglich.

Woher rührt eigentlich die spürbare Leidenschaft fürs Licht – hatten Ihre Eltern ein Lampengeschäft?

(lacht) Nee. Und ich komme eigentlich auch aus der Fotografie. Als ich Ende der Achtziger nach Berlin kam, hatte ich Geografie studiert und bin durch so eine Filmclique an der Uni zur Kamera gekommen, das war mein erster Traum. An der Filmhochschule bin ich dann zwar nicht genommen worden, aber gleichzeitig bei kleinen Projekten gelandet, wo ich das Licht gemacht habe, mit null Erfahrung, aber Zeit, Dinge auszuprobieren. Als ich gemerkt habe, wie kreativ und abwechslungsreich das ist, war meine Leidenschaft geweckt.

Also alles Zufall?

Eher Glück, würde ich sagen. Auch, früh mit Kameraleuten gearbeitet zu haben, mit denen ich kreativ auf einer Wellenlänge lag und die offen für meine Ideen waren. Der Job des Oberbeleuchters hat drei Aspekte: Kreativität, Organisation, Technik. Ich hab‘ schnell gemerkt, dass diese drei Dinge, und vor allem die Kombination, mich herausfordern und mir Spaß machen, besonders der technische Aspekt in den letzten Jahren, all die Innovationen für mich zu entdecken.

Laufen Sie mit dem Lötkolben am Set rum und basteln sich das perfekte Licht selbst?

Ich hab‘ immer gern verrückte Sachen, die es so zuvor noch nicht gab, gebaut. Da liegt so Einiges in den Regalen unseres Lagers. In meiner Crew habe ich aber meist jemanden, der darauf spezialisiert ist, am Set mal schnell was zu basteln. Es sind auch ziemlich professionelle Lampen entstanden, zum Beispiel ein umfangreiches Set von LED-Panels in diversen Größen und Formen mit Steuerungstechnik.

Sind Beleuchter denn alles ausgebildete Lichttechniker?

Ab und an gibt’s da mal einen Veranstaltungstechniker, professionelle Rigger, und bei großen Institutionen wie dem Studio Hamburg, auch noch richtige Lichtmeister. Aber die meisten der freien Filmwirtschaft sind Quereinsteiger wie ich, die sich aber zunehmend fortbilden müssen, zum Beispiel zum Thema Strom.

Die größte Serie, die Sie bislang beleuchtet haben, war vermutlich „Babylon Berlin“.

Hierzulande schon. Aber noch größer war zum Beispiel „Homeland“, da habe ich bei einer Staffel mitgemacht.

Mir gefällt die deutsche Einschränkung. Ich mag es, aus der Not eine Tugend zu machen.

Arbeiten amerikanische Beleuchter anders als deutsche?

Im amerikanischen System gibt es Beleuchter, die nur für Lampen zuständig sind, und Grips, die mit Fahnen oder Segeln arbeiten – das ist in Europa nicht getrennt. Was amerikanische Produktionen aber definitiv unterscheidet: der Beleuchtungsaufwand ist viel größer. Größere Sets, höheres Lichtlevel, mehr Freiheit beim Spiel mit Lichtrichtungen. Diesen Aufwand können sich deutsche Produktionen so in der Regel nicht leisten.

Wäre das denn besser?

Es gibt Geschichten wie die eines oscarprämierten Kameramanns, der für einen Zugüberfall im Western megaaufwändig ausgeleuchtet hat, mit vielen Lichtkränen. Die hat er dann allerdings ausschalten lassen und die Szene mit einer offenen 5000-Watt Halogenbirne vorn auf der Lokomotive gedreht. Dafür würde dir hier jeder Produzent den Kopf abreißen. Aber ehrlich? Mir gefällt die deutsche Einschränkung. Ich mag es, aus der Not eine Tugend zu machen; daraus entsteht oft etwas viel Besseres, als wenn man alle Optionen hat. Manchmal kreiert der Zufall die tollsten Dinge.

Wie schauen Sie selbst denn Filme anderer an – zuerst mit Blick aufs Licht?

Nee, ich lasse mich fallen, wenn der Film mich einfängt, und wenn ich Kamera und Licht toll finde, schaue ich oft ein zweites Mal und achte auf die Visualität und technische Umsetzung

Und ist Ihre Wohnung nach einen speziellen Lichtkonzept ausgeleuchtet?

(lacht) Ich habe schon viele Lampen, auch schöne, aber keine komplizierten Installationen mit smarter Regulierung. Zuhause heißt mein Lichtkonzept gute Atmosphäre und Gemütlichkeit.

(Dieses Interview erschien erstmals im Oktober 2021 bei DWDL.de)

"Blackout" steht seit Oktober 2021 bei Joyn Plus+ zum Abruf zur Verfügung. Die Free-TV-Premiere läuft ab diesem Donnerstag, 26. Januar 2023, bei Sat.1.