Seit 37 Jahren ist die Einschaltquotenmessung der GfK im Auftrag der AGF der Standard mit dem die TV- und Media-Branche arbeitet. Welchen Anlass gab es jetzt für Ihre zusätzliche Messung der TV-Nutzung in derzeit einer Million Haushalten?

Sven Stühmeier: Wir und auch viele andere Werbetreibende haben sich stets eine genauere Datengrundlage gewünscht. Aus technischen Gründen war das über viele Jahre nicht möglich. Zudem hatte ich immer das Gefühl, dass die Wünsche derer, die das Medium maßgeblich finanzieren, teils auch ausgeblendet worden sind. Wir als Vodafone sind überzeugter Werbekunde im TV, aber eben gleichzeitig auch Telko-Konzern und größter TV-Anbieter in Deutschland - und sind das Thema deshalb aus eigenem Interesse angegangen, um für das Medium TV besser planen zu können. Wir brauchen mehr Insights und andere Stellschrauben, um zu optimieren.

Herr Curkovic, wie ist in diesem Zusammenhang AdScanner entstanden?

Marin Curkovic: Sven Stühmeier und ich haben einen gemeinsamen Background, waren beide früher im Media-Geschäft und zeitweise sogar im gleichen Team. Ich war von 2010 bis 2017 bei Group M, mein Bruder in Kroatien zur gleichen Zeit CEO eines kroatischen Telko-Unternehmens mit einer hohen Marktdurchdringung von IPTV, was auch unter Berücksichtigung von Datenschutz zu einer Menge Daten führte, die aber noch ungenutzt waren. Nach Jahrzehnten der Planung basierend auf 5.000 Haushalten war es faszinierend, die Daten von hunderttausenden oder im Falle von Deutschland einer Million Haushalten zu haben. Das sind erst einmal Rohdaten, die man richtig aufbereiten und deuten muss. Und so ist die Idee zu AdScanner entstanden. Wir sind dann von Kroatien nach Österreich gekommen, wo wir mit der A1 Telekom-Gruppe zusammenarbeiten. Das war ein toller Testmarkt für Deutschland und dann kamen die Gespräche mit Vodafone.

Als wir uns das erste Mal mit Ihren Daten befasst haben, war auch ein Umdenken erforderlich, wenn man sonst die repräsentative Hochrechnung als Grundlage kennt. Es sind die relativen Ergebnisse zueinander, die bei Ihrer Messung von besonderem Interesse sind, oder?

Marin Curkovic: Ganz genau. Wir werden mit unseren Daten keine Aussagen darüber treffen, wie viele Millionen Menschen in Deutschland eine Sendung oder einen Werbespot gesehen haben. Dafür sind wir nicht demografisch repräsentativ, wenngleich bei der hohen Fallzahl eine gewisse Repräsentativität nicht von der Hand zu weisen ist. Eine für uns wichtige Schwelle sind mindestens hunderttausend eingeschaltete Geräte. Bei der Menge und einer Abdeckung aller Regionen Deutschlands ist es schon fast schwierig ein grob verfälschtes Bild zu bekommen. Trotzdem: Für die absoluten Zahlen zur für Deutschland hochgerechneten Nutzung gibt es die AGF und ihrem Panel, das ist deren erklärter Auftrag. Wir können Relationen herstellen, Entwicklungen und Tendenzen messen und darüber viele zusätzliche Erkenntnisse gewinnen.

 

"TV muss mithalten können mit der Messbarkeit anderer Angebote."
Marin Curkovic, CEO und Gründer von AdScanner

 

Sven Stühmeier: Ich glaube , dass wir mit diesen Bemühungen erst am Anfang stehen. Derzeit geht es um die Messung der reinen TV-Nutzung, aber die Vision, die wir in der Kooperation mit AdScanner verfolgen, ist größer: Die Nutzung von Bewegtbild fragmentiert sich auf immer mehr und unterschiedlichen Wegen. Deswegen ist das bisher Erreichte vielleicht nur die Hälfte dessen was man bei der vollständigen Messbarkeit von Bewegtbild-Reichweiten finden kann.

Bleiben wir erstmal beim Status Quo. Mit welcher Vorbereitung arbeiten Vodafone und AdScanner an dieser Datenerhebung? Zum ersten Mal öffentlich wurde das Projekt ja im August 2021…

Sven Stühmeier: Der Vorlauf bei der Umsetzung lag bei etwa zwei Jahren. Wir haben Mitte 2019 zum ersten Mal darüber gesprochen, aber dann braucht es eine gründliche Umsetzung, weil wir uns als Vodafone der enorm hohen Verantwortung beim Umgang mit den Daten unserer Kunden bewusst sind. Bevor so ein Produkt auf den Markt gebracht wird, müssen auch zeitraubende Fragen und Prozesse wie die des Datenschutzes, des Wettbewerbsschutzes und der IT-Security umfassend geklärt sein, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Gründliche Vorbereitung für ein solches Großprojekt ist für ein internationales Unternehmen wie Vodafone Grundvoraussetzung. Es gab auch einen monatelangen Testlauf, um zu schauen, ob das überhaupt so funktioniert wie erhofft. Dann führt man viele Gespräche mit Marktteilnehmern, was Zeit braucht.

Wie viele Haushalte werden derzeit gemessen und was für Haushalte sind das dann?

Marin Curkovic : Wir sind inzwischen bei rund einer Million Haushalten, die über rückkanalfähige Geräte von Vodafone fernsehen. Primär handelt es sich dabei um Haushalte, die über das Kabelnetz fernsehen. Wir denken, dass wir die Zahl der gemessenen Haushalte zukünftig sogar noch erhöhen können – zum Beispiel durch eine Kooperation mit anderen Plattformbetreibern. Der generelle Ansatz bei diesem Projekt ist „open source“, denn es hilft uns und Vodafone, je umfangreicher wir die TV-Nutzung in Deutschland abbilden können. Wir erweitern die Datengrundlage stetig, spüren aber dabei keine signifikante Änderung der Messung, was nochmal belegt, dass wir so hohe Fallzahlen haben, die schon ein gesichertes Bild liefern. Das kann bei der Berücksichtigung anderer Empfangswege sicher nochmal anders sein.

Herr Stühmeier sprach eben Unzufriedenheit bei Werbekunden an. Herr Curkovic, was bietet AdScanner denen denn als Mehrwert?

Marin Curkovic: Letztlich mehr Reichweite für den Budgeteinsatz. Unsere Gesamthypothese basiert darauf, dass mit dem „mehr“ an Daten auch z.B. die Platzierung von Werbespots über alle betrachteten Sender präziser geplant werden kann. Das ist die finanzielle ROI-Perspektive, gerade auch für StartUps, die vereinzelt und gezielter platziert buchen und mit genaueren Leistungswerten einen besonders großen Hebel bekommen, um sicher zu stellen, dass sie für ihr Budget auch entsprechend Leistung erhalten. Es geht also nicht nur um Effizienz für die ganz Großen. Wir können Transparenz schaffen, um nachzuweisen, wenn z.B. der Werbespot nachts in einem Werbebreak gleich vier Mal lief, was so nicht sein sollte.

 

"Ich hatte immer das Gefühl, dass die Wünsche derer, die das Medium maßgeblich finanzieren, teils auch ausgeblendet worden sind."
Sven Stühmeier, Group Leader Digital Brand Communication & Technology bei Vodafone

 

Es geht um mehr Kontrolle?

Marin Curkovic: Es geht auch um das Gefühl einer besseren Kontrolle der Investitionen, was wir von mehreren unserer Kunden gehört haben. Da heißt es dann: Wenn ich 50.000 Euro bei Facebook ausgebe, habe ich das Gefühl, meine Kampagne beherrschen zu können. Ich bekomme detaillierte Leistungswerte, kann optimieren und stetig verfolgen. Wenn ich Millionen Euro im TV platziere, bekomme ich erstmal nichts. Natürlich bekomme ich auf Nachfrage von Partnern dann auch Informationen, aber ich kann nicht selbst den Überblick behalten, wo meine Werbespots eigentlich gelaufen sind. Das ist eine Situation, in der wir eine wertvolle Ergänzung darstellen wollen mit der möglichen Verknüpfung von Kampagnen, Reichweiten und Spendings. Das vermittelt ein anderes Gefühl von Nachvollziehbarkeit, wie die investierten Werbegelder im TV wirken.

Sie sind unbequem für TV-Vermarkter, denen sie auf die Finger schauen. Die werden durch die erhobenen Daten zu Werbespot-Platzierung und Leistungswerten den Kunden mehr Fragen beantworten müssen. Damit macht man sich ja sehr beliebt…

Marin Curkovic: Die Fernsehtechnik hat sich verändert und wir können heute viel genauere Betrachtungen als noch vor einigen Jahren vornehmen. Wir wollen dem Medium TV im Wettbewerb der Mediengattungen helfen und können auch festhalten: Kunden von AdScanner buchen nicht weniger TV, auch weil wir bei den KPI flexibel sind. Wir stellen die Rohdaten, bestimmen aber nicht über die Deutung. Unsere Kunden, beispielsweise Agenturen, können entscheiden, wie sie diese Daten für sich nutzen. Wenn man sich die Situation in Österreich und Kroatien angeschaut, wo wir mit AdScanner bereits seit längerem im Markt etabliert sind, zeigt sich: Kunden, die AdScanner-Daten bei der Planung von TV-Spendings nutzen, investieren mehr, weil wir allen helfen können, mehr Vertrauen in TV-Spendings aufzubauen. Wir tun das, weil wir von der Qualität des Fernsehen als schnell aufbauendes, reichweitenstarkes, visuelles Werbemediums total überzeugt sind. Nur hat sich der Bewegtbild-Wettbewerb in mehr als 30 Jahren verändert und das TV muss mithalten können mit der Messbarkeit anderer Angebote.

Sven Stühmeier: Am Ende muss der Markt bewerten, ob ihm unser Angebot an genaueren und granulareren Einblicken Vorteile bietet. Bis jetzt ist die Resonanz bei Advertisern, Agenturen und Vermarktern überaus positiv. Und dass DWDL.de in den Erkenntnissen einen Mehrwert sieht, ist doch auch kein schlechtes Zeichen.

Sie haben bereits angekündigt, dass parallel auch ein eigenes Panel aufgebaut wird. Was steckt dahinter?

Sven Stühmeier: Wir bauen das Panel aus verschiedenen Gründen auf. Naheliegenderweise, um auch zu einer Repräsentativität zu kommen. Wir wissen zwar, dass wir mit der Größe der Fallzahlen recht nah rankommen, aber beanspruchen nicht, repräsentativ zu sein. Da gilt es zum Beispiel noch Haushalte von Menschen mit Migrationshintergrund stärker zu gewichten, die haben tendenziell eine höhere Sat-Nutzung, um auch Heimatprogramme empfangen zu können. Das ist ein Grund für den Aufbau eines repräsentativen Panels mit etwa 10.000 Haushalten. Dann geht es um die Ansprüche von Advertisern, die in ihren Kampagnen-Planungen in Zielgruppen-Definitionen denken, die über die soziodemografischen Sichtweise hinaus gehen. Es gibt nutzungsbasierte Sichtweisen, einstellungsbasierte Sichtweisen etc. Wir wollen in unserem Panel auch adhoc-Umfragen ermöglichen, um bei diesen Panel-Haushalten dann zusätzliche Informationen abzufragen. Ein Beispiel: uns würde interessieren, Haushalte zu erreichen mit vielen internetfähigen Endgeräten. Dafür ist mir aber Alter und Geschlecht egal.

 

"Wir erweitern die Datengrundlage stetig, spüren aber dabei keine signifikante Änderung der Messung, was nochmal belegt, dass wir so hohe Fallzahlen haben, die schon ein gesichertes Bild liefern."
Marin Curkovic

 

Marin Curkovic: Wir gehen quasi den umgekehrten Weg der AGF. Dort gibt es ein Panel und die Herausforderung Return-Path-Data zu integrieren. Wir haben ein Return-Path-Data-Universum und wollen das strategisch mit einem repräsentativen Panel kalibrieren. Unsere Überzeugung ist, dass die reale Nutzung in möglichst vielen Haushalten die beste Grundlage ist, bei der ein Panel dann gewisse Überrepräsentativitäten ausgleichen kann.

Sven Stühmeier: Wir steuern zu auf eine Zukunft in der Bewegtbild-Vermarktung, die sich an den Geräten orientiert, was im Internet ohnehin Standard ist. Niemand fragt sich ja, ob eine Website möglicherweise von zwei Personen vor dem iMac gemeinsam gelesen wird oder wie viele Menschen sich gleichzeitig auf einem Gerät ein YouTube-Video anschauen. Meiner Ansicht nach ist die Zukunft AdImpressions-basiert und Device-basiert, und nicht personenbezogen – was aus Datenschutzgründen auch nachvollziehbar ist. Anders lässt es sich in der Masse sonst nicht messen.

Eine Verständnisfrage aus Neugier zum Abschluss: Über die GIGA TV Cable- und IPTV-Boxen sind auch Streamingdienste nutzbar. Können Sie also für diese Haushalte mit Blick auf z.B. den Januar 2022 sagen, wie viele Minuten im Schnitt lineares Fernsehen, Netflix und Prime Video geschaut wurden?

Marin Curkovic: Das ist natürlich eine Frage, die wir auch von Agenturen gestellt bekommen. Wir können nicht feststellen, welche Sendungen bei den SVoD-Diensten geschaut wurden. Aber wir arbeiten daran, dass wir zukünftig im AdScanner-Cockpit darstellen können, wie viel Nutzung auf die Streamingdienste und wie viel Nutzung auf lineares Fernsehen entfällt. Ein kleiner, exklusiver Einblick: Im Januar 2022 haben innerhalb des Vodafone Universums 53% der gemessen Haushalte mindestens einmal non-lineare Dienste aufgerufen. Und am häufigsten aufgerufen werden – das ist sicherlich keine Überraschung – Netflix und Prime Video.

Herr Stühmeier, Herr Curkovic, herzlichen Dank für das Gespräch.

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