Herr Beaujean, wird 2022 für die ProSiebenSat.1 Media SE ein Jahr der Rückkehr zu einer wie auch immer gearteten Normalität?

Wir haben uns das natürlich vorgenommen und haben die Auswirkungen der Ausläufer der Pandemie auf unser Geschäft auch so eingeschätzt, wie es jetzt absehbar eintritt. Aber wir leben in einer neuen Normalität, in der man für alles vorbereitet sein muss – und dann kam die Ukraine-Krise on top. Unser Vorteil: Wir sind strategisch so aufgestellt, dass wir in diesen Zeiten gegenläufige Effekte für uns nutzen können. Das ist ein Asset gegenüber anderen Häusern, das uns robuster macht. 

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel unabhängig vom TV-Geschäft: Wir haben mit Verivox natürlich durch die Energiekrise gerade Schwierigkeiten, aber auf der anderen Seite mit Silvertours – also billiger-mietwagen.de – oder Jochen Schweizer Mydays gerade ein starkes Geschäft, weil nach der Pandemie die Reiselust der Deutschen wieder voll einsetzt und wieder Events möglich sind. Man kommt endlich wieder zusammen, auch bei uns im Haus. Und bei dem von uns übertragenen Benefiz-Spiel Borussia Mönchengladbach gegen die ukrainische Nationalmannschaft war ich im Stadion und muss sagen: Gut, dass das Zusammenkommen wieder möglich ist.

Um die Fußballsprache mal aufzugreifen: Haben Sie von der Defensive einer Pandemie-Bewältigung wieder in die Offensive umgeschaltet?

Wir waren nie in der Defensive. Selbst zu Zeiten größter Unsicherheit in der Pandemie, im ersten Jahr 2020, sind wir im Entertainment nicht in die Defensive gegangen, sondern haben massiv weiter investiert. Ich habe das Programm nicht gekürzt. Wir setzen unsere 1,05 Mrd. Euro im Bereich Content für das Beste in zwei Welten ein – linear und digital. Und da sind noch nicht die Investitionen eingerechnet, die wir in unser oft unterschätztes Geschäft von Studio 71 stecken, immerhin die größte YouTuber-Community in Deutschland und eine sehr große im US-Markt. In diesem spezifischen Segment geben wir nochmal 400 Millionen Euro für YouTuber, digitale Content-Produktion und -Distribution aus. Wir knüpfen ja auch mit Joyn immer wieder dort an und positionieren Joyn eben anders als viele Streamingangebote. Im Gegensatz zu anderen, die ihre Shortform-Inhalte nicht auf Google/YouTube auswerten wollen, machen wir das. Warum? Wir geben Geld für Content aus, das sind Fixkosten und jeder Euro mehr, den ich damit einnehmen kann, ist gut. 

 

"Konsumenten agieren nicht anders als wir: Am Ende muss es bezahlbar sein"

Rainer Beaujean zum Wettkampf der SVoD-Angebote

 

Mit der anderen Positionierung von Joyn meinen Sie die weitgehende Fokussierung auf AVoD?

Ich lasse bei allem, was wir tun, dann doch immer auch den Taschenrechner benutzen. Wir haben schon vor zwei Jahren ausgerechnet, dass sich das SVoD-Geschäft von Netflix und Co. zunehmend schwieriger gestalten wird. Das Budget für Entertainment hängt letztlich nicht daran, was man gerne hätte und wie viele tolle Angebote mit Filmen und Serien noch gestartet werden, sondern ist am Haushaltseinkommen ausgerichtet. Da agieren Konsumenten nicht anders als wir: Am Ende muss es bezahlbar sein. Deswegen haben wir bei Joyn, wo wir alle unsere digitalen Entertainment-Angebote bündeln, frühzeitig den Fokus auf AVoD gelegt.

Jetzt wollen Amazon und Netflix aber plötzlich mitmischen im werbefinanzierten Streaming...

Ich war mal bei der Telekom und habe T-Online geleitet. Das Zauberwort ist Zweitmarke. Wir haben damals auch Zweitmarken eingeführt, etwa die Marke Congster, heute Congstar, die es in abgewandelter Form heute noch gibt. Wenn Sie ein neues Produkt zu nah an Ihrem Kernprodukt positionieren, denkt jeder Bestandskunde darüber nach, ob ein Wechsel für ihn sinnvoll ist. Es kann passieren, dass zunächst einmal eine Abwanderung von Ihrem Premium-Produkt zum günstigeren Angebot erfolgt. Das hilft Ihnen aber nicht beim ARPU, also Umsatz pro Kunden, der rauscht ab. Dann haben Sie erstmal einen negativen Effekt. 

Sie sorgen sich also nicht um einen Einstieg Netflix’ ins AVoD-Geschäft?

Wer mal schnell in die Werbevermarktung einsteigt, um günstiger zu sein, kannibalisiert sich erstmal selbst und, das hört sich für mich nicht sinnvoll an. Außerdem steigt man nicht mal schnell in die Werbevermarktung ein, auch das ist zunächst ein kostenintensiver Aufbau. Deswegen glaube ich diese Ankündigungen erst, wenn ich sie sehe.

Sie selber haben betont, wie zentral Joyn für Sie im Digitalen ist. Wann erwarten Sie denn eine Klärung der Besitzverhältnisse mit Discovery?

Joyn ist für uns essenziell und eine Monetarisierungsform unseres Contents. Ob Discovery sich entscheidet, strategisch eine andere Richtung einzuschlagen – was ich nicht beeinflussen kann – ändert daran nichts. Man kann sich dann nicht mehr die Kosten teilen, aber es gilt weiterhin die Botschaft: Wir sind offen, wenn sich jemand beteiligen will.  

Was wird zuerst passieren Ihrer Meinung nach: Der Börsengang der ParshipMeet Group oder der Verkauf von Red Arrow Studios?

Der Börsengang von ParshipMeet ist marktabhängig, aber wir sind ready to go. Zu einem möglichen Verkauf der Red Arrow Studios: Unser Kernmarkt ist Deutschland, Österreich und Schweiz – und wir betrachten alle unsere Assets danach, ob sie uns in den Kernmärkten helfen. Deswegen ist das US-Geschäft von Red Arrow Studios tendenziell immer etwas, was wir uns anschauen. Aber es kommt immer auf den richtigen Preis und den richtigen Käufer an. Wir sprechen von einem Geschäft mit Talenten, sie sind hier der größte Wert und für sie muss es deswegen auch passen. 

Kurz vor der Pandemie haben Sie den Verkaufsprozess ausgesetzt. Der ist jetzt wieder aufgenommen?

Wir hatten es gestoppt, als ich die Aufgabe hier übernommen habe. Wir haben dann die The Meet Group übernommen und hatten erstmal andere Prioritäten. Wir sind aber immer offen für Gespräche, wenn jemand auf uns zukommt. Wir überprüfen grundsätzlich, was strategisch wichtig für uns ist und schauen dabei auf Synergien, Profitabilität und Internationalisierbarkeit von Plattformen. Deswegen sind zum Beispiel Flaconi und Stylight langfristig keine strategischen Assets für ProSiebenSat.1, so wie wir uns von einigen Geschäften ja auch schon, entsprechend der vor zwei Jahren klar definierten Strategie, getrennt haben. 

Letzte Frage: Sie bauen in Unterföhring einen neuen Campus für das Unternehmen, aus dem ab Januar auch die gesamte Nachrichtenproduktion wieder selbst realisiert werden soll. Alles im Plan oder macht das Bauvorhaben Kopfschmerzen?

Das macht keine Kopfschmerzen. Bauen ist immer schwierig und falls es durch die Pandemie nicht rechtzeitig fertig werden sollte, haben wir vorgesorgt. Wir können erstmal aus alternativen Räumlichkeiten arbeiten und so wie geplant die Nachrichtenproduktion wieder aus eigener Hand aufnehmen.

Herr Beaujean, herzlichen Dank für das Gespräch.