Herr Modenbach, wenn Sie morgens auf die Quoten schauen, welche Zahlen betrachten Sie als erstes?

(lacht) Wenn Sie unser Reporting sehen könnten, würden Sie sehen, dass wir eine sehr differenzierte Betrachtung nutzen. Es ist also tatsächlich gar nicht die eine Zielgruppe, die mir direkt ins Auge fällt. Denn: Eine einheitliche Zielgruppe ist schon längst überholt. 

Die Diskussion um die Definition der Zielgruppe ist wieder aufgeflammt, seit RTL einen erneuten Vorstoß unternommen hat, 14-49 durch 14-59 zu ersetzen, weil die bisherige Zielgruppe gerade mal noch ein Fünftel der TV-Nutzung abbildet. Werden Sie den Kollegen aus Köln folgen?

Die Diskussion ist nicht neu. Schon vor zehn Jahren haben wir uns sehr intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Damals wie heute macht es für uns wenig Sinn, auf eine einheitliche Zielgruppe zu setzen. Das hängt damit zusammen, dass unser Senderportfolio komplementär ausgerichtet ist, was bei RTL nicht der Fall ist. Wir verfolgen damit das Ziel, möglichst alle Zielgruppen abzudecken, indem jedem Sender eine spezifische Aufgabe zukommt. Aus diesem Grund haben wir damals unsere Relevanz-Zielgruppen definiert, die beschreiben, wo die jeweiligen Sender ihre Schwerpunkte haben. ProSieben für eine junge Zielgruppe, dazu die männlichen und weiblichen Sender Sixx und ProSieben Maxx. Sat.1 ist wiederum mit seinem älteren, weiblichen Fokus sehr breit aufgestellt und Kabel Eins in der Mitte der Gesellschaft verankert. Dazu haben wir das Angebot später noch um Sat.1 Gold und Kabel Eins Doku erweitert. All diese Sender funktionieren in diesen Ausrichtungen sehr erfolgreich.

 

"Anders als es Stephan Schmitter darstellt, kauft der Werbemarkt nicht 14-59 – und hat auch bisher nicht 14-49 gekauft."

 

Auch RTL Deutschland spricht mit seinen Sendern wie RTL Up oder Nitro verschiedene Zielgruppen an. Dennoch hat man in Köln den Wunsch nach einer einheitlichen Zielgruppe. Wenn es diese nicht mehr gibt, dann sucht sich am Ende doch jeder seine Zielgruppe aus, in der er erfolgreich ist – mit der Folge, dass es nur noch Gewinner gibt. 

Durch unsere komplementäre Sender-Strategie sichern wir auch die breite Vielfalt unseres Programmangebots. Das honoriert unser Publikum, aber auch der Werbemarkt. Ohnehin möchte ich Stephan Schmitter in einem Punkt gerne vehement widersprechen. 

Nur zu.

Anders als es Stephan Schmitter darstellt, kauft der Werbemarkt nicht 14-59 – und hat auch bisher nicht 14-49 gekauft. Die Werbekunden nutzen die vielfältigsten Zielgruppen, die – je nach Marke, Produkt oder Kampagne – sehr differenziert sein können. Nicht umsonst bietet die AGF anhand der Strukturinformationen eine vielfältige Möglichkeit, Zielgruppen zu bilden. Und diese Vielfalt wird von unseren Kunden auch stark genutzt. So ist die Nachfrage nach jungen Zielgruppen sehr hoch – höher als man vielleicht denkt.

Ärgerlicherweise gibt es aber nicht mehr so viele junge Zuschauerinnen und Zuschauer.

Im Schnitt haben Sie recht. Das heißt aber hauptsächlich, dass junge Menschen selektiver schauen. Sie mögen vielleicht insgesamt weniger Fernsehen schauen, weil sie mehr Alternativen haben. Dennoch gibt es Programme, die sie in großer Masse nutzen. Nehmen Sie "Germany's Next Topmodel – by Heidi Klum", das für eine junge weibliche Zielgruppe nach wie vor eine Ikone ist. Oder die NFL, mit der wir erst bei ProSieben Maxx und inzwischen auch bei ProSieben eine fast verloren geglaubte Zielgruppe erreicht haben, nämlich junge Männer. Es ist wichtig, diese Zuschauergruppen weiter bedienen zu können – und dafür brauchen wir eine differenzierte Betrachtung der Zielgruppen.

Derzeit schaut ein 14- bis 29-Jähriger im Schnitt kaum mehr als eine halbe Stunde lineares Fernsehen. Das ist so viel wie eine Folge "GZSZ". Sie buhlen also um eine Zielgruppe, die kaum noch einschaltet.

Das ist am Ende gar nicht so wenig und verteilt sich ja nicht über die gesamte Breite des Angebots, sondern konzentriert sich insbesondere auf die Leuchtturm-Formate wie "Joko & Klaas gegen ProSieben", "The Masked Singer" oder eben "GNTM". Dass wir solche Programme weiter machen können, liegt auch daran, dass wir nicht eine große Zielgruppe über alle Sender legen. Das ist ein riesiger Vorteil des deutschen Fernsehmarktes. Der hiesige TV-Markt ist in jungen Zielgruppen nach wie vor sehr robust – anders als der Free-TV-Markt in den USA, der sich inzwischen fast ausschließlich auf die älteren Zuschauerinnen und Zuschauer konzentriert. Es ist ein großer Wert für die Werbekunden, dass sie bei uns trotz des demografischen Wandels jung positionierte Programme bei einem großen Sender wie ProSieben finden und dort eine Zielgruppe erreichen, die sonst kaum noch lineares Fernsehen schaut – besonders im Wettbewerb mit digitalen Plattformen.

Was meinen Sie damit?

Wir sollten nicht unterschätzen, dass das lineare Fernsehen für die Werbekunden nach wie vor das stärkste Instrument für Werbeerfolg ist. Die Werbeformen im Fernsehen sind diejenigen, die die meiste Werbewirkung zeigen. Gäbe es diese in bestimmten Zielgruppen nicht mehr, dann wäre das für die Werbekunden eine schlechte Nachricht. Dann können sie die Reichweiten vielleicht noch woanders kaufen, aber eine flüchtige Nutzung am Handy, bei der die Werbung in Sekundenbruchteilen weggescrollt werden kann, ist etwas anderes als ein ins Programm eingebetteter Werbespot, ein Sponsoring oder ein aufmerksamkeitsstarkes Placement. 

 

"Die große Zielgruppe 14-59 wird nicht helfen, weil dadurch jedes Programm gleich aussehen würde."

 

Trotzdem wird der demografische Wandel dafür sorgen, dass das Publikum noch älter werden wird. Schon jetzt liegt der Altersschnitt des Publikums von Sat.1 und Kabel Eins bei deutlich über 50 und auch ProSieben ist näher dran an der 49 als an der 40.

Natürlich verändert sich die Fernsehnutzung kontinuierlich. Aus diesem Grund diskutieren wir im Haus auch immer wieder, ob unsere Relevanz-Zielgruppen noch passen. Vielleicht werden wir sie zukünftig vereinzelt an demografische Strukturen anpassen, aber eines ist ganz klar: Die große Zielgruppe 14-59 wird nicht helfen, weil dadurch jedes Programm gleich aussehen würde, wenn sich alle Sender an der gleichen Zielgruppe orientieren. Das ist dann wirklich irgendwann wie in Amerika. Da macht es fast keinen Unterschied mehr, ob Sie CBS oder ABC schauen. 

Hängt Ihr Sträuben gegen 14-59 vielleicht auch damit zusammen, dass ProSieben in einer erweiterten Zielgruppe nicht mehr Zweiter wäre, sondern nur noch Vierter?

Nein. Ich verstehe, dass es den Bedarf gibt, Sender miteinander zu vergleichen. Mir geht es darum, dass eine Beschränkung auf 14-59 das junge Publikum ignoriert. Das Segment 50-59 hat genauso viel Nutzung wie das gesamte Segment 14-49. Rechnet man beides einfach zusammen, wird deren Interesse genauso groß gewichtet wie die Vorliebe aller anderen. 

Gleichzeitig wollen ja auch Sie mit großen Reichweiten punkten und verweisen tagtäglich in Pressemitteilungen stolz auf riesige Nettoreichweiten, die sich darauf beziehen, wie viele Menschen mindestens eine Minute am Stück gesehen haben. Ist das ernsthaft die Lösung?

Gegenfrage: Was ist denn der Reichweiten-Wert in der digitalen Welt? Das ist der Klick. Da reichen schon Bruchteile einer Sekunde, um als Nutzung gezählt zu werden. Da ist die TV-Nettoreichweite schon ein deutlich härterer Wert, der zugleich die Vielfalt der erreichten Menschen abbildet. Außerdem ist es das, was der Werbemarkt plant. Eine Entscheidung für einen Mediaplan orientiert sich daran, wie möglichst viele verschiedene Menschen mit den Werbebotschaften in Kontakt kommen. So gesehen ist die Nettoreichweite ein viel wichtigerer Indikator als etwa der Marktanteil. 

Hätten Sie sich gewünscht, dass RTL das Gespräch mit Ihnen sucht?

Jede Seite hat ihre eigene Vorstellung. Wichtig ist vielmehr, dass wir mit den Werbekunden im engen Dialog sind und deren Bedürfnisse optimal abbilden. 

Herr Modenbach, vielen Dank für das Gespräch.

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