Herr Hoffmann, seit Anfang Januar produziert WeltN24 neben den eigenen Sendern und dem Frühstücksfernsehen für Sat.1 auch ein neues Vorabendprogramm für Servus TV Deutschland. Wie wichtig ist dieser Auftrag für Sie? 

Wir haben seit inzwischen drei Jahren eine andauernde Breaking-News-Ausnahmesituation, die ich so in meiner journalistischen Laufbahn noch nicht erlebt habe. Erst die Corona-Pandemie, jetzt seit einem Jahr der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir haben deshalb unser Angebot ausgeweitet, so dass wir im Jahr 3400 Stunden Live-Programm bei Welt TV haben. Für die Zuschauer sind wir zu einer favorisierten Informationsquelle geworden, was sich auch im Rekordmarktanteil von 1,8% widerspiegelt. Für mich ist das aber auch ein Beleg dafür, dass sich die Zuschauer durch die großen Vollprogramme und exzessiven Angebote der Öffentlich-Rechtlichen nicht ausreichend informiert fühlen, sondern weitere Perspektiven und Einordnung suchen. Aber das hat natürlich seinen Preis: Das Programm wird teurer und nicht jede Breaking-News-Situation lässt sich durch Werbung unterbrechen. Deswegen ist ein mehrjähriger Auftrag wie der von ServusTV ein fixer, zusätzlicher Erlösstrom und eröffnet neue Synergien auch für Welt. 

Welchen Anteil macht dieses Geschäftsfeld denn inzwischen aus? 

Wir haben schon lange umgesetzt, was manche Medienhäuser noch vor sich haben: Eine Diversifizierung der Erlösströme, um sich damit breiter und sicherer aufzustellen. Man kann grob sagen, dass etwa die Hälfte unserer Erlöse aus den Werbeeinnahmen der Sender kommen, die andere Hälfte aus unserem Produktionsgeschäft. Wir produzieren ja auch werktäglich viereinhalb Stunden Frühstücksfernsehen für Sat.1, wo wir das Marktführer-Feeling genießen. Im letzten Jahr mit sensationellen 16,9 Prozent Marktanteil im Jahresdurchschnitt. 

Sie sprachen eben bei der Produktion für Servus TV Deutschland von Synergien für Welt. Was meinen Sie damit? 

Wir haben die Möglichkeit, das für Servus TV Deutschland produzierte Material auch bei Welt TV zu nutzen.  Wir stärken damit unser aktuelles Programm und zusätzlich unsere Library auch um zeitlose Magazin-Inhalte, die sich noch einmal auswerten lassen. Das macht es für uns zusätzlich attraktiv.  

Wie zufrieden sind Sie bislang mit der Produktion? 

Hochzufrieden. Es gab positives Feedback von den Zuschauern und was für uns natürlich auch wichtig ist: Es gab positives Feedback vom Auftraggeber ServusTV. Ich gehe als Zuschauer aus dieser Sendung sehr viel schlauer heraus, weil wir weit über die Chronistenpflicht hinaus gehen und beweisen konnten, dass wir mit Welt nicht nur in der Champions League des Nachrichtenjournalismus spielen, sondern auch Magazinstrecken stemmen können. Was die Reichweiten angeht, um ihre Nachfrage schon vorweg zu nehmen: ServusTV bewertet in erster Linie nach Gesamtpublikum und nicht so sehr nach Marktanteilen in der jungen Zielgruppe. Uns allen ist klar: Es braucht Geduld, sich mit diesem unverwechselbaren Profil am von Gewohnheit geprägten Vorabend zu profilieren.  

Was ist denn so unverwechselbar an dem Ansatz? 

Wir setzen auf Relevanz, auf Vertiefung und Einordnung. Das ist überhaupt die Chance für viele Medien, nicht nur das Fernsehen. Früher einmal hatte TV das Privileg, schneller zu sein als die Tagespresse, was aber durch das Internet längst abgelöst wurde. Also ist es nicht so sehr die News, aber die Vertiefung und Einordnung, mit der man punkten kann. Auch Feelgood-Themen dürfen in einem Magazin natürlich nicht fehlen. 

Dass die Wahl des OnAir-Personals polarisiert und starke Gegenreaktionen hervorgerufen hat - das war gewollt? 

Das haben wir so gar nicht empfunden. Es sind alles sehr meinungsstarke Kommentatoren, die auf ihre Art einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass wir insgesamt in Deutschland keine einseitige Berichterstattung erleben. 

Gibt es die sonst zu oft? 

Das ist immer eine Frage des Betrachters. Wenn man mal zurückblickt: Axel-Springer-Kommentatoren haben in vielerlei Hinsicht Recht behalten. Das gilt zum Beispiel für unseren Standpunkt zu Freiheit und Selbstbestimmung, der Einheit Deutschlands, in jüngerer Vergangenheit für die sehr klare Haltung von Welt und Bild, dass man mit Putin keinerlei Geschäfte machen sollte. Ich glaube, dass es in unserem Hause immer wieder starke Meinungen gab, für die wir kritisiert wurden, denen die Geschichte jedoch oft rechtgegeben hat.  

Bei Servus TV Österreich liefert Intendant Ferdinand Wegscheider selbst höchst umstrittene Beiträge. Wer hat beim Vorabendprogramm die Hoheit bei redaktionellen Entscheidungen? 

Wir haben im Vorfeld viele gute Gespräche geführt, um für das von uns zugelieferte Programm eine gemeinsame Grundlinie zu finden, aber am Ende muss man ganz klar sagen: Das ist eine Auftragsproduktion für einen Kunden. 

Dessen Einschaltquoten irgendwann natürlich messbar sein sollten. Wieviel Zeit bleibt dafür? 

Wir sehen durch die veränderte Fernsehnutzung selbst bei den großen Vollprogrammen inzwischen erst nach mehreren Wochen eine Aussagekraft bei der Performance von Daytime-Programmen, da braucht es sicher Geduld und trotzdem können wir mit dem Produkt und seiner Qualität jetzt schon zufrieden sein. 

Sprechen wir über Bild TV. Macht es Sinn für wenige Stunden originäres Programm pro Woche 24/7 einen linearen Sender zu verbreiten?  

Bild sendet mit exklusiven Dokumentationen, aktuellen Talk- und Sportformaten. Dazu muss man wissen:  Keiner der jüngeren linearen, eigenständigen Fernsehsender in Deutschland hat nach seinem Sendestart so schnell technische Reichweite im AGF-Panel aufbauen können wie BILD. Wir sind inzwischen bei mehr als 52 Prozent angelangt. Verglichen mit anderen Neustarts von Fernsehsendern sind wir damit einsame Spitze - und trotzdem ist es eine Faustregel im Fernsehgeschäft, dass man sich erst einmal eine relevante technische Reichweite im AGF-Panel erarbeiten muss und wenn die erzielt ist, können wir auch gewünschte Marktanteile realisieren und mit der Chefredaktion von BILD die nächsten Ausbaustufen des Programms definieren.  

Dann war es demnach ein Fehler vom Start weg massiv zu investieren? 

In einer Zeit, in der sich durch Pandemie, Afghanistan und dann Russlands Angriffskrieg eine Live-News-Berichterstattung förmlich aufdrängte, war es verlockend und nachvollziehbar, dies auszuprobieren. Das haben wir getan und Bild Live war dank exklusiver Zugänge zu den Themen da auch immer wieder durchaus erfolgreich, aber in Zeiten zurückgehender Werbeerlöse und einer sich abzeichnenden makroökonomischen Abkühlung gehen wir jetzt einen anderen Weg. Die Quelle guter Marktanteile ist vor allem eine hohe Verweildauer im Programm, die sich besser über längere Stücke erzielen lässt. Deswegen setzt Bild seit der Programmreform Ende letzten Jahres unter anderem auf exklusiv eingekaufte Dokumentationen sowie auch punktuell auf Eigenproduktionen. 

Kommt Bild TV dann nicht N24Doku in die Quere? 

Am Donnerstagabend hat Bild eine lange Talk-Strecke, am Sonntag Sport. Wir werden das Live-Sport-Programm auch weiter ausweiten und News gibt es auch nach wie vor bei Bild um 18, 19 und 20 Uhr wie im Live-Ticker - da gibt es also genügend Differenzierungspotential zu N24Doku.  

Wenn Sie vom Ausbau des Sports sprechen: Sind das Perspektiven, die sich in Zusammenarbeit mit dem neuen Streamingdienst Dyn ergeben, an dem Axel Springer beteiligt ist? 

Bild TV hat schon jetzt mit „Die Lage der Liga“, „InTorNational“ und „Reif ist Live“ einen erfolgreichen Sport-Lineup am Sonntagvormittag. Dazu passt, dass Dyn Media mehrere exklusive Sportrechte erworben hat, unter anderem die Handball- und Basketball-Bundesliga der Männer. Wir freuen uns sehr, dass Bild TV ab der kommenden Saison pro Spieltag jeweils ein Spiel dieser beiden Top-Ligen live und frei empfangbar übertragen wird. 

Bei Bild, bei Servus TV Deutschland und auch bei Welt wird stark auf Meinung gesetzt - das galt im deutschen Nachrichtenfernsehen lange als nicht gefragt. Das deutsche Nachrichtenfernsehen war sehr nüchtern im Vergleich zu Konkurrenz u.a. in den USA. Das ändert sich? 

Mit Meinung kann man sich vom Wettbewerb abgrenzen und Profil gewinnen, was mit der klassischen Nachrichtenberichterstattung so nicht möglich ist. Ich glaube, dass die nackte Nachricht heute oftmals digital als Push-Benachrichtigung den Leser oder Zuschauer erreicht. Wer heutzutage den Fernseher einschaltet, ist oft besser informiert als das früher der Fall war. Die Nachricht ist möglicherweise schon bekannt, also braucht es mehr. Es braucht Einordnung und Vertiefung. Deswegen ist es nötig, den Begriff des Nachrichtenfernsehen weiter zu fassen als früher und nicht nur die reine Chronistenpflicht zu bedienen, sondern auch Meinungen zu liefern - natürlich sorgfältig als solche gekennzeichnet.  

Klingt so als wenn Sie das ausbauen wollen? 

Kein Nachrichtensender verfolgt das so konsequent wie wir bei Welt TV, nicht nur über Gäste zu einzelnen Themen, sondern auch in Form des „Welt Talk“, der Talksendung unseres TV-Chefredakteurs Jan Philipp Burgard, der im vergangenen Jahr mit 4,2 Prozent den besten Marktanteil seiner Geschichte gemacht hat, als wir als erster Sender den Kanzler nach dem G7-Gipfel zu Gast hatten. Welt will sich in Debatten einbringen und auch Debatten auslösen. Das galt für die gedruckte Welt schon immer und findet immer konsequenter auch im TV statt - mit profilierten Köpfen wie unserem Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, unseren Chefredakteurinnen Dagmar Rosenfeld und Jennifer Wilton, unserem Herausgeber Stefan Aust, unserem bestens vernetzten Politexperten Robin Alexander oder der sehr pointierten Kommentatorin Anna Schneider. Ich könnte viele Namen nennen. Es ist wirklich ein Privileg, bei Welt als 360-Grad-Marke so viele starke Autoren im Rücken zu haben, diese auch im TV erleben zu können und das in einem hochmodernen Studio. Für unsere technischen Innovationen sind wir gerade übrigens mit einem Innovationspreis ausgezeichnet worden. Aktuell setzen wir hier die Maßstäbe im europäischen Nachrichtenfernsehen. Und das nicht als Selbstzweck, sondern mit einem echten Mehrwert fürs Publikum. 

Welcher Wettbewerb macht Ihnen momentan am meisten zu schaffen? 

Wir stehen am Ende nicht im Wettbewerb mit einzelnen Mediengattungen, sondern mit allen Medien, die um Aufmerksamkeit und Zeitbudgets der Menschen grundsätzlich kämpfen. Wenn es um Aktualität geht, gehören natürlich alle digitalen Nachrichtenangebote dazu, aber selbst TikTok und Instagram sind inzwischen eine Art Konkurrenz. 

Was beschäftigt Sie in diesem Jahr? 

Wir haben im letzten Jahr tatsächlich alles erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Deswegen ist unser oberstes Ziel, genau das fortzusetzen. Für Welt gilt, dass wir die gewonnenen Zuschauer auch auf Dauer halten. Dabei geht es ganz konkret um gewonnene Zuschauerinnen, denn wir konnten den Anteil der Frauen bei Welt auf 35 Prozent erhöhen, was im Nachrichtenfernsehen selten ist. Das ist eine recht neue Entwicklung. Nun gilt es, diese Zuschauerinnen zu halten – auch außerhalb der Live-Strecken. So haben wir uns vorgenommen, in diesem Jahr anders als bislang mindestens 30 einstündige Reportagen und Dokumentationen selbst zu produzieren. Eine Woche vor der Wiederholungswahl in Berlin haben wir die Doku "Hauptstadt am Abgrund - Wie Clans und Extremisten Berlin erobern" gesendet, eine Produktion, an der Kollegen der TV und der Print-Redaktion gemeinsam gearbeitet haben. Am 24. Februar haben wir beispielsweise anlässlich des Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine die einstündige Doku „Blutvergießen im Herzen Europas – ein Jahr Ukraine-Krieg“ von unseren Reportern Steffen Schwarzkopf, Tatjana Ohm, Max Hermes und Christoph Wanner, die nicht weniger als ihr Leben riskiert haben für diese Berichterstattung. 

Herr Hoffmann, herzlichen Dank für das Gespräch.