Herr Diekmann, hat Ihre "Sehnsucht nach bürgerlicher Anerkennung" Sie dazu getrieben, das Buch zu schreiben?

Meine Motivation ist simpler, als Sie vielleicht vermuten. Ich bin ein glühender Anhänger der These, dass Geschichte nicht einfach so passiert, sondern von Menschen gemacht wird. An der Spitze von "Bild" bin ich vielen Menschen begegnet, die Geschichte geschrieben haben oder noch immer schreiben. Es war mir ein Anliegen, manche dieser Begegnungen mit Abstand zu beschreiben und einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen.

Angesichts der aktuellen Debatte über Springer und dessen Chef Mathias Döpfner hätten Sie sich wohl keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, wobei das natürlich nicht langfristig absehbar war. Dass "Bild" unter Ihrem Nachfolger Julian Reichelt in der Krise steckt, war dagegen schon vor zwei Jahren offensichtlich. Geht es Ihnen also auch darum, Ihre "Bild"-Zeit von den nachfolgenden Turbulenzen abzugrenzen?

Ich schätze Ihren Versuch, mir Äußerungen über die aktuelle Situation bei Springer und über meine Nachfolger zu entlocken – aber das war überhaupt nicht mein Impetus, als ich anfing, das Buch zu schreiben. Mit dem Gedanken trage ich mich schon seit Jahren. Es hat einfach seine Zeit gebraucht, weil mir nicht alle Geschichten leicht von der Hand gegangen sind, weil ich manche Gespräche und Zusammenhänge preisgebe, die überhaupt erst mit zeitlichem Abstand erzählt werden können.

Zählen Sie sich selbst denn auch zu den Menschen, die Geschichte geschrieben haben?

Aus dem politischen Journalismus kommend, habe ich mich in erster Linie immer als Beobachter verstanden. Die sehr exponierte Position als "Bild"-Chefredakteur bringt es aber mit sich, dass man mitunter auch selbst in die Schlagzeilen gerät. Deswegen erzähle ich natürlich auch von solchen Geschichten, bei denen das passiert ist und die zumindest teilweise schon aus anderer Perspektive erzählt wurden. Allen voran das journalistische Dilemma, in das mich der damalige Bundespräsident Christian Wulff mit seiner Nachricht auf meiner Mailbox gebracht hat. Wulff hat darüber ja selbst in seinem Buch geschrieben. Bei der Lektüre habe ich mich manches Mal gefragt: Wie kommt er zu dieser Behauptung? Schon ein Blick in den Kalender hätte ihn eines Besseren belehren müssen.

Kein anderer Chefredakteur hat es so lange bei "Bild" ausgehalten wie Sie. Können Sie erklären, wie Sie das geschafft haben?

Kai Diekmann: Ich war BILD © Penguin Random House "Ich war Bild – Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen" (544 Seiten, 34 Euro) ist bei DVA erschienen
16 Jahre waren eine furchtbar lange Zeit, aber ich hatte das Glück, mich in dieser Zeit mehrfach neu erfinden zu können. Der Umzug von Hamburg nach Berlin mit der gesamten Redaktion hat 2008 dazu geführt, dass jeder von uns seine Lebenszusammenhänge neu definieren musste. Das war wie ein Jungbrunnen. Und dann natürlich mein faszinierender Aufenthalt im Silicon Valley 2012/13, der eine Distanz geschaffen hat, bis hin zum Zeitunterschied, die mehr als gesund für mich war. Um so eine Langstrecke durchhalten zu können, muss man sich immer wieder fragen: Habe ich eine Mannschaft, auf die ich mich verlassen kann? Ich hatte zu jedem Zeitpunkt den Eindruck, dass ich mich blind auf meine Leute verlassen konnte. Und die tragen dich dann auch über einen so langen Zeitraum.

In diese 16 Jahre fiel auch die digitale Transformation, die aus der Zeitung "Bild" eine multimediale Marke gemacht hat – mit größerem Erfolg als bei vielen anderen Print-Objekten. Was haben Sie dabei als größte Herausforderung empfunden?

Dass ich einer Mannschaft, die ihren Erfolg und ihre Bedeutung traditionell in hohen Print-Auflagen bemessen hat, erklären musste: Wir lassen jetzt ein großartig funktionierendes Geschäftsmodell hinter uns und bewegen uns in eine unbekannte digitale Zukunft, von der wir nicht wissen, ob wir erfolgreich sein werden. Das war nicht leicht. Zumindest war mir damals aber klar: Wenn wir uns nicht in diese Zukunft bewegen, werden wir auf jeden Fall irgendwann unsere Relevanz verlieren. Ich fühle mich im Nachhinein bestätigt. Als wir digitale Bezahlinhalte eingeführt haben und die Auflage in den Keller rauschte, wurden wir von allen verprügelt. Andere Verlage, die damals lieber den x-ten Print-Ableger geschaffen haben, um das bestehende Geschäftsmodell auszulutschen, stehen heute nicht mehr so gut da.

 

Ich habe jedenfalls keine SMSen bekommen, die mich irgendwie beeindruckt oder gar verängstigt hätten.
Kai Diekmann

Ihre Zeit im Silicon Valley war für Sie aber nicht nur Inspiration, sondern auch der Einstieg zum Ausstieg.

Ich beschreibe im Buch diesen Moment auf dem Highway 101 im September 2012 – ich war damals zwölf Jahre Chefredakteur, die Wulff-Affäre lag ein halbes Jahr zurück. Auf der Fahrt von San Francisco nach Palo Alto fühlte ich auf einmal diese ungeheure Freiheit, die ich daheim in Deutschland nicht hatte. Mir wurde schlagartig klar, dass ich nach meiner Rückkehr etwas anderes machen musste. Zurück in Berlin habe ich mich dann ja ein Jahr lang weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, ein Change Team aufgebaut und die digitale Transformation vorangetrieben. 2014 habe ich zum ersten Mal mit Mathias Döpfner über mein Bedürfnis nach Veränderung gesprochen. Dann wurde ich nach Südkorea geschickt, um mit dem gleichen Team wie im Silicon Valley "Upday" zu entwickeln. Ende 2015 habe ich die Chefredaktion abgegeben, was langfristig mit Döpfner abgesprochen war. Allerdings habe ich den Fehler gemacht, mich darauf einzulassen, für eine Übergangszeit noch Herausgeber zu bleiben. Das hätte ich nicht machen sollen. Ich war nicht dafür gemacht, auf der einen Seite nicht mehr operativ tätig zu sein, aber auf der anderen Seite für alles in Haftung genommen zu werden, was schief lief – begleitet von Döpfners Kommentar: Du bist Herausgeber, nicht Heraushalter! In dem Moment stimmte die Balance für mich nicht mehr: Tanit und Julian hatten den Spaß, ich hatte den Ärger. Das Jahr hätte ich mir schenken können.

Gehörte zum Ärger auch die Erkenntnis, dass Sie die falschen Nachfolger mit ausgesucht hatten?

Wenn es um meine Nachfolger geht, halte ich es wie in der Politik: Darüber wird öffentlich nicht geredet. Und wenn doch, dann füllt das möglicherweise ein ganz neues Buch. Winston Churchill hat für seine Erinnerungen drei Bände gebraucht, Helmut Kohl vier, ich bin gerade mal beim Erstling. 

Dann lassen Sie uns über die Bewertung Ihrer eigenen Arbeit aus Sicht von Mathias Döpfner sprechen: "Kai hat BILD aus Sehnsucht nach bürgerlicher Anerkennung zu politisch korrekt gemacht. Das kann auf Dauer nicht gut gehen." War das zwischen Ihnen also ein 16 Jahre währendes Missverständnis?

Zwei Erkenntnisse dazu: Erstens hätte ich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet die "Zeit" mir mal bescheinigen würde, ich hätte "Bild" aus der "politischen Schmuddelecke herausgeholt". Das werde ich mir im Goldrahmen an die Wand hängen. Zweitens ist es für mich keine Überraschung, dass Mathias Döpfner und ich politisch unterschiedlicher Meinung sind. Das haben wir 16 Jahre lang mitunter offen ausgefochten, manchmal dergestalt, dass wir an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei unterschiedliche Kommentare zum gleichen Sachverhalt im Blatt hatten. Ich habe jedenfalls keine SMSen bekommen, die mich irgendwie beeindruckt oder gar verängstigt hätten.

Angesichts dessen, was wir in den letzten Wochen und Monaten von Döpfner lesen und hören konnten, fällt es schwer zu glauben, dass man mit so jemandem ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis haben kann.

Glauben Sie mir: Natürlich macht es mich nicht glücklich, wenn "Bild" statt großer Schlagzeilen auf Seite eins schlechte Schlagzeilen in eigener Sache macht. Aber ich bin jetzt seit sechs Jahren nicht mehr Teil des Verlages und ich bin auch kein Teil der Geschichte, auf die Sie anspielen. Ich habe zu den ganzen Vorgängen eine sehr explizite Meinung, aber ich erlaube mir nach sechs Jahren den Luxus, diese Meinung für mich zu behalten.

Herr Diekmann, herzlichen Dank für das Gespräch.