Kirstin Benthaus-Gebauer, die 90er Jahre in denen Sie in der Branche angefangen haben, werden rückblickend als die goldenen Zeiten des Privatfernsehen bezeichnet. In welchen Zeiten leben wir heute?

Gute Frage. Golden sind die Zeiten momentan tatsächlich eher weniger. Betrachtet man die Stimmung im Gesamtmarkt, erlebt die Branche gerade eher steinigere Zeiten. Nach der Corona-Zeit mit ihren Einschränkungen war die Branche im vergangenen Jahr wieder in Aufbruchsstimmung, fast hyperaktiv wie ein Duracell-Hase. Da habe ich eine große Euphorie gespürt; man hat vieles nachgeholt und nicht damit gerechnet, dass wir so schnell und so radikal wieder ausgebremst wurden. Aber trotzdem schauen wir mit Tower positiv in die Zukunft: Denn es finden sich in steinigen Zeiten auch vereinzelt schöne bunte Kieselsteine und wenn ich dann auf meine mehr als 30 Jahre in der Branche zurückblicke: es gab alle paar Jahre Täler der Tränen zu durchschreiten, für die Branche ist diese Art der Volatilität nichts Ungewöhnliches. Und wir sind immer wieder mit neuen Ideen zurückgekommen. Wichtig ist, dass wir partnerschaftlich, Sender und Produzenten, auf ein funktionierendes Ökosystem setzen. Deswegen ist mir vor der Zukunft nicht bange.

Das dürfte auch an "Die Verräter" liegen. RTL setzt sehr große Hoffnungen auf die deutsche Adaption des Formats. Macht das stolz oder nervös?

Wir sind sehr stolz auf das Programm, der weltweite Erfolg hat den Erwartungsdruck natürlich nochmal erhöht. Die starken Quoten aus den anderen Märkten sind eine Benchmark, die wir auch mit unseren "Verrätern" erreichen wollen. Die globalen Erfolge treiben uns nur weiter an. Diese Produktion zahlt auch auf die Strategie ein, die ich seit meinem Start bei Tower vor etwas mehr als einem Jahr verfolge.

Was wäre denn ein Erfolg für "Die Verräter"? Wie hoch hängt die Latte?

(lacht) Die Frage kann, nein, will ich Ihnen nicht beantworten, da ich total abergläubisch bin. Mein persönlich gutes Signal ist es aber, wenn mir im Schnitt ein kalter Schauer über den Rücken läuft… Den gab es verstärkt. Wir hoffen natürlich deutlich über Senderschnitt abzuliefern. Es wird sehr spannend, auch mit der Strategie der Vorabveröffentlichung bei RTL+ und danach im linearen TV bei RTL. Die BBC hat es ähnlich gehandhabt, da hat es super funktioniert.

Wie sieht denn die Strategie für Tower aus, die Sie angesprochen haben?

Mit dem Antritt von All3Media Deutschland-CEO Taco Rijssemus haben wir, die Geschäftsführer der Labels, gemeinsam eine Business Strategie für die jeweiligen Marken in Deutschland entwickelt. Ich arbeite nach Beendigung des Joint Ventures und meinem Einstieg vor etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit meinem COO Saeid Shad daran eine neue Tower-Persönlichkeit zu formen, Tower eine neue DNA auf Basis alter Stärken zu verleihen. Tower steht für Formate aus dem umfangreichen All3Media International-Katalog und Eigenentwicklungen von großen, hochwertigen Unterhaltungsprogrammen, etablierten Programmmarken wie "Undercover Boss". Wir können uns dabei nie ausruhen, wollen auch neue Genres erobern, großartige Formate für den deutschen Markt entwickeln. Wie beispielsweise "Die Verräter". Übrigens bringen wir auch namentlich etwas Dynamik rein und treten künftig unter dem Markennamen Tower statt Tower Productions auf. So wie man uns im Markt ohnehin schon kennt und nennt.

Ausruhen fällt auch deshalb schwer, weil Sie "Das große Backen" an BBC Studios Germany verlieren. Kann "Die Verräter" den Verlust ausgleichen?

Tower hat seit über zehn Jahren "Das Große Backen" und "Das Promi-Backen" zu einer erfolgreichen Programmmarke bei Sat.1 gemacht und übergibt das Format - wie bei der Beendigung des Joint Ventures mit der BBC vor einigen Jahren geplant - nach Lizenzende. Wir sind stolz auf diese erfolgreiche Produktion mit 11 Staffeln und produzieren auch noch das nächste "Promi-Backen" sowie das Oster-Special 2024. Insofern sind wir trotz großer Backleidenschaft und Liebe zu den Formaten darauf vorbereitet. Und natürlich hilft es, mit "Die Verräter" einen der aktuellen Welthits für den deutschen Markt, für RTL zu entwickeln und zu produzieren, ein komplett neues Genre in Deutschland groß zu machen. Darauf freuen wir uns.

Sprechen wir über "Die Verräter", das in Deutschland in nur sechs Folgen erzählt wird. Das ist eine kurze Staffel…

Das Prinzip ist im Grunde in allen anderen Märkten das gleiche. Es gibt Unterschiede bei der Sendelänge oder eben der Anzahl der Episoden. Ein Grund für den weltweiten Erfolg ist sicher auch, dass die Macher von IDTV um Creative Director Jasper Hoogendoorn allen Produzenten eine klare "Format Bibel" an die Hand geben. Ich finde in Deutschland unseren Cast außergewöhnlich stark. Wir haben eine Besetzung mit bekannten Köpfen, die man noch nie in diesem Genre gesehen hat. Ich wollte schon sagen in einer vergleichbaren Show. Aber eigentlich gibt es kein Format, das der Show "Die Verräter" ähnelt.

Das wünschen sich ja viele Formate, also mal neue Namen zu gewinnen. Wie schafft man das mit einer Sendung, die noch keiner kennt, in einer Reality-Farbe die bislang in Deutschland kein Erfolg war?

"Die Verräter" sind mehr eine Gameshow als eine Realityshow. Deshalb auch offiziell eine "Reality-Krimi-Show". Der Clou: Tatsächlich laden wir die Kandidaten auch nicht ein, an einer Reality-Show teilzunehmen, sondern laden sie ein, ein Spiel miteinander zu spielen. Ein Spiel, in das wir nicht eingreifen. Psychologisch einzigartig. Es ist auch keine Show, in der sich Menschen profilieren können, da das Spielprinzip im Mittelpunkt steht. Bei "Die Verräter" dreht sich alles um menschliches Verhalten und es ist interessant zu sehen, dass die Kandidaten aufgrund ihrer verschiedenen Hintergründe und Kulturen unterschiedlich auf das Spiel reagieren, was es nicht planbar und umso spannender, dynamischer macht. Bei unseren Anfragen haben wir uns immer erkundigt, ob die Kandidatinnen und Kandidaten das Spiel Werwolf bzw. Mafia kennen. Und wer das schon mal gespielt hat, konnte sich sofort etwas darunter vorstellen. Doch den Mut zu haben, sich zu uns ins Schloss zu begeben, diese Achterbahn der Gefühle, Lug und Betrug auf Gedeih und Verderben auszuliefern - dafür sind wir den Prominenten sehr dankbar. 

Tower agiert laut Eigendarstellung hauptsächlich in den Genres Factual und Show. Wo steckt Ihrer Meinung nach gerade mehr Musik drin geschäftlich?

Momentan höre ich von Senderseite eigentlich meistens: Reality, Reality, Reality. (Lacht) Deswegen intensivieren wir hier auch unsere Entwicklungen. Ich bin aber genauso davon überzeugt, dass schöne neue Factual-Programme weiterhin sehr gut funktionieren. Auch und gerade in angespannteren Budget-Situationen wie der aktuellen. Dieses Genre ist dann doch nochmal kosteneffizienter zu realisieren und funktioniert auch hervorragend in der Primetime. Wie unser "Roadtrip Amerika", mit dessen Erfolg wir bei Kabel Eins sehr glücklich waren, gezeigt hat. Die drei Köche haben wir gerade auch schon wieder gemeinsam mit Producer Oliver Hedderich auf den zweiten Trip in die USA geschickt. Seit dem letzten Wochenende wird dort gedreht und ich freue mich schon auf die nächsten Abenteuer. Und natürlich suchen wir auch nach dem nächsten, eigentlich total naheliegenden, Thema. Etwas, was bisher noch nicht aufbereitet wurde. So wie Trödeln auch immer schon da war bevor es "Bares für Rares" gab.

In welche Richtung verstärkt Tower gerade seine Bemühungen?

Bei den aktuellen Eigenentwicklungen würde ich mir jetzt ungerne in die Karten schauen lassen. Vielleicht nur so viel: Mit meiner Entwicklungschefin Caroline Hunt wollen wir das Reality-Genre um eine neue Farbe bereichern.

Wie aussichtsreich ist es bei der angespannten Lage eine eigene Idee anzubieten, die keinerlei Track Record und damit vermeintliche Sicherheit mitbringt?

Natürlich wollen die Sender immer am liebsten ein "Proof of Concept", vor allem in angespannten Zeiten. Und auch wenn die Zeiten etwas schwieriger sind, entwickeln wir natürlich weiter. Da ist Kreativität besonders gefragt. Das ist doch auch der Grund, warum so viele tolle Kolleginnen und Kollegen wie zum Beispiel Julia Zinke und Julia Kielhorn seit über 15 Jahren bei uns sind: Um kreative Ideen zu realisieren. Ich möchte die eigene Kreativität nicht verlernen, weil Sender vorsichtig agieren. Deswegen werden wir auch weiter mit Ideen auf Papier zum Sender gehen.

Und aus dem All3Media-Katalog? Welche Formate würden Sie gerne nach Deutschland bringen?

(Lacht) Dazu sage ich gerne mehr. Wir würden gerne "Race across the world" nach Deutschland bringen, das bei der BBC in Großbritannien nach drei sehr erfolgreichen Staffeln jetzt auch eine Promi-Edition bekommt. Ein großartiges Format.

Aber genau diese Art Spiel tat sich in Deutschland bislang mit mehreren Formatideen schwer.

Dare to risk…! Ich finde, das Format bedient den aktuellen Zeitgeist. Das Reisen um die Welt und das Entdecken von neuen Welten, das Kennenlernen von anderen Kulturen und Menschen, die einem fremd sind. Das ist ein bisschen Eskapismus einerseits, aber auch Entdeckungsreise andererseits, bei der man etwas mitnehmen kann. Man taucht in die verschiedensten Lebenswelten ein und kann neben dem Abenteuer noch einiges dazu lernen. Dann kommt bei Channel 4 im nächsten Jahr etwas Neues: „The Underdog“. Das ist momentan noch streng geheim... so dass ich nur sagen kann: Es ist Reality, aber auch kein Dating. Und dann kaufen wir auch 3rd Party-Lizenzen ein und haben uns so in Südkorea die Rechte an einem tollen Format mit dem Namen "Roundtable" für Deutschland optioniert. Das ist das neue Musik-Format des "Masked Singer"-Schöpfers. Zudem finde ich auch das Format "Blue Therapy" spannend. Paar-Probleme junger Menschen, ein großer YouTube-Hit, der im Herbst in Großbritannien zu E4 kommt.

Konkreter ist laut Ihrer Website offenbar eine Fortsetzung der Datingshow "Date or Drop" für RTL bzw. RTL+? Da läuft zumindest ein Castingaufruf für eine neue Staffel…

"Date or Drop" ist ein absolut erfolgreiches Format, das dem Publikum und uns allen viel Spaß gemacht hat. Hier sind wir im engen Austausch mit dem Sender.

Wie viel Musik steckt für Tower als non-fiktionalem Produktionshaus im Streaming?

Da steckt einiges drin. Wir freuen uns sehr auf den Start der neuen Staffel "Naked Attraction" bei Discovery+ und sehen mit Begeisterung, dass non-fiktionale Unterhaltung inzwischen von fast allen Streamingdiensten nachgefragt wird. Discovery wollte große Marken und "Naked Attraction" ist ein international bekanntes Format - und war frei. Diese neue Durchlässigkeit und Flexibilität im Formatgeschäft – dass Formate zu anderen wandern können - gibt uns als Produzenten natürlich auch spannende neue Perspektiven. Ein weiterer Lichtblick in diesen Zeiten.

Frau Benthaus-Gebauer, herzlichen Dank für das Gespräch.