Herr Wilhelm, schon vor einigen Wochen sorgten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BR um einen „Kahlschlag“ bei der Kultur, nun haben auch zahlreiche Künstlerinnen und Künstler in einem Offenen Brief gegen einen Umbau Ihrer Kulturwelle Bayern 2 protestiert. Woher rührt die Aufregung?

Ich kann es niemandem verübeln, wenn Menschen an ihren Sendungen hängen. Dass in einem Veränderungsprozess, wie wir ihn angestoßen haben, einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besorgt sind, weil sie vielleicht noch nicht das gesamte Bild vor Augen haben, ist vollkommen normal. Letztlich hilft uns die geäußerte Kritik, unser Ziel noch genauer zu schärfen.

Was genau ist denn Ihr Ziel? 

Wir wollen der Kultur durch neue, attraktive Sendeplätze und Formate zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Dafür haben wir einen transparenten und offenen Prozess angestoßen, in dem 50 Kolleginnen und Kollegen aus allen Redaktionen gemeinsam Ideen für Bayern 2 entwickelt haben. Da wir uns in einem offenen Entwicklungsprozess befinden, konnten wir bislang noch nicht über konkretere Details sprechen. Nun sind wir einen bedeutenden Schritt weiter und haben mehrere Eckpfeiler definiert, an denen wir uns orientieren.

Die Sorge ist, dass in Zukunft deutlich weniger Raum für Kultur sein wird als bisher.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir werden künftig mehr Sendezeit für Kultur zur Verfügung stellen – nicht weniger. Dabei hilft uns unter anderem eine neue werktägliche Sendestrecke von 14 bis 16 Uhr, also insgesamt zehn Stunden neue, exklusive Programmfläche. Hier sollen Kulturinhalte, die aktuell am Wochenende wenig Nutzung haben, mehr Aufmerksamkeit bekommen. 

Das klingt nach mehr Durchhörbarkeit und einen Schritt hin in Richtung Mainstream.

Wir haben im BR ganz tolle Mainstream-Wellen, wir brauchen keine weitere. Das Erfolgsrezept von Bayern 2 sind die Kultur, die Kantigkeit, das Wissen und der Diskurs. Das abzuschaffen, wäre Quatsch. Darum geht es auch gar nicht – sondern darum, Kulturinhalte einem noch größeren Publikum als bisher zur Verfügung zu stellen, weg von Randzeiten am späten Abend oder am Wochenende. Die Menschen lieben die besondere DNA von Bayern 2, aber natürlich ist es unsere Aufgabe, ein solch erfolgreiches Angebot immer wieder weiterzuentwickeln. Und auch Redaktionen wünschen sich ein möglichst breites Publikum für ihre Qualitätsinhalte. Konkret heißt das: In Zukunft werden wir die Kultur verlässlich ab 6 Uhr zur Hauptsendezeit anbieten. Bislang kommt sie erst um 8.30 Uhr, also am Rande der Primetime. Durch diese Umstellung erreichen wir nicht nur mehr Menschen, sondern auch jüngere, da die frühere Stunde nachweislich mehr Menschen unter 50 hören. Das ist auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit wichtig.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen uns der gewandelten Mediennutzung stellen und uns fragen, wie wir auch morgen noch – so unser Auftrag – alle Menschen erreichen. Und: Kultur und Digitales schließen sich keinesfalls aus, wie etwa unser erfolgreicher Klavier-Podcast mit Igor Levit, die starken Abrufzahlen von radioWissen oder preisgekrönte Hörspiele wie „Mia Insomnia“ oder die „Seelenfänger“ zeigen. Wir werden deshalb in Zukunft die Möglichkeiten des Digitalen auch im Kulturkernbereich viel stärker nutzen. Und wir werden uns im ARD-Verbund komplementärer aufstellen und als BR unsere Regionen noch stärker in den Blick nehmen. Also weniger bundesweite Blockbuster und mehr bayerische Premieren. Gleichzeitig wollen wir eine neue Literatur-Veranstaltungsreihe vor Ort aufziehen und diese mit einem Digital-Format begleiten. Das sind nur zwei von vielen Ideen, an denen wir arbeiten. Das zeigt: Digital bedeutet nicht flach. Gerade hier ist doch Platz für Ecken, Kanten und verschiedene Sendelängen – im Übrigen ohne Rücksicht auf Gewohnheiten.

Was werden Sie denn künftig nicht mehr machen?

Zeiten, Titel und Formate werden sich verändern. So war das schon immer in der Geschichte von Radio und Fernsehen. Aber wenn wir etwa die Literatursendung „Diwan“ nicht fortführen, heißt das nicht, dass die Inhalte wegfallen. Im Gegenteil: Wir sparen nicht an den Inhalten, sondern sorgen mit zusätzlicher und besserer Sendezeit sowie neuen Formaten – zum Beispiel Büchertipps unserer Hörerinnen und Hörer – für mehr Nutzung und Beteiligung des Publikums. Kein Euro geht raus aus der Redaktion. 

Sind „Diwan“, das „Kulturjournal“ oder das „Nachtstudio“ aus Ihrer Sicht keine starken Marken, für deren Erhalt es sich zu kämpfen lohnt?

Die Medienforschung zeigt, dass es in unserem Programm viele Sendungen gibt, die zwar echt tolle Inhalte, aber eben nur eine geringe Nutzung haben. Die Frage, wie genau die neuen Sendungen heißen, werden wir uns in den nächsten Wochen im Detail ansehen. Sicher ist schon jetzt, dass die Kolleginnen und Kollegen künftig die Möglichkeit haben werden, mit ihren Inhalten auf attraktivere lineare Sendeplätze zu rutschen, gleichzeitig aber auch neue Projekte starten zu können, die nicht in ein klassisches Sendeschema gepresst werden müssen. Besonders wichtig ist mir dabei, dass wir als BR die einzigartige Kultur im Freistaat in den Vordergrund stellen: Premieren, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen in ganz Bayern.

Wie sieht nun der weitere Reform-Fahrplan aus?

Wir haben den gesamten Prozess seit Januar im Programmausschuss des Rundfunkrats offen dargestellt. Im nächsten Schritt werden wir Anfang Oktober unseren Gremien in einer erweiterten Sitzung die Details der geplanten Reform vorstellen. Danach geht es an die Umsetzung, damit die Erfolge möglichst schnell sichtbar werden können.

Herr Wilhelm, vielen Dank für das Gespräch.