100 Folgen Lindström, 30 Jahre Pilcher. Welche Zutaten haben sich über die Jahre/Jahrzehnte verändert, welche sind unverändert? Geblieben ist der Gegenentwurf zum ARD Krimi…

Und unser Stolz auf nun über 170 Filme "Rosamunde Pilcher". Ich hatte vor einigen Jahren noch die Ehre, Rosamunde Pilcher persönlich zu treffen. Das war beeindruckend. Das war ein bisschen wie eine Audienz bei der Queen. Frau Pilcher war eine sehr höfliche, kluge Dame mit klassischem englischen Understatement. Für uns sind ihre Filme auch heute noch so wichtig, weil sie Cornwall bei unserem Publikum als Sehnsuchtsort etabliert haben. Solche Orte sind gerade in Zeiten von Ukraine-Krieg, Preissteigerungen und so vielen Unsicherheiten sehr wertvoll. Es ist legitim und wichtig, sich abends auch mal zurücklehnen zu können, um sich dann am nächsten Tag wieder den Herausforderungen des eigenen Lebens zu stellen. 



Hat sich die Erwartungshaltung an Eskapismus geändert?

Eskapistische Stoffe sollten heute eine Grundierung haben aus der Lebenswelt, in der wir uns gerade befinden. Heißt: Wir müssen Themen behandeln, die unser Publikum berühren. Es geht hier nicht um Realismus, aber es geht darum, dass die Geschichten etwas mit dem Leben unserer Zuschauer*innen zu tun haben. Wenn wir an den "Pilcher"-Film denken, der Anfang November läuft, dann erzählen wir die Geschichte einer Frau, die festentschlossen Mutter werden möchte – notfalls auch ohne Mann. Nachdem sie bisher auf natürlichem Wege nicht schwanger wurde, entscheidet sie sich für eine Kinderwunschklinik.

Der erste Pilcher-Film lief Ende Oktober 1993, er hieß "Stürmische Begegnung". Die "TV Spielfilm" schrieb damals von "trivialem Geplänkel“. Ärgern Sie solche Bewertungen noch?

Liebesfilme sind nicht zu beschmunzeln. Sie sind fester Bestandteil unserer Sehnsüchte, weil Liebe in unserem Leben die größte Rolle spielt. Insofern ist das ein wirklich wichtiges Genre. 

Inga Lindström ist ja ein Pseudonym einer deutschen Autorin. Was haben Frau Sadlo und Frau Pilcher gemeinsam? Kennen sie beide die Sehnsüchte der Zuschauerinnen und Zuschauer gut?

Auch hier haben wir klare Sehnsuchtsorte. Cornwall bei "Pilcher", Schweden bei "Lindström". Christiane Sadlo hat die "Lindström"-Filme mit ihrer Handschrift sehr geprägt. Beide Reihen haben gemein, dass wir eine Autorin haben, die die Reihen über Jahrzehnte hinweg begleitet. Natürlich haben wir bei den "Pilcher"-Adaptionen unterschiedliche Autor*innen, die die Vorlagen bearbeiten, aber auch hier achten wir darauf, dass das eine Zusammenarbeit ist, die kontinuierlich ist. Bei "Inga Lindström" haben wir zudem in erster Linie junge Protagonistinnen und Protagonisten, gleichzeitig aber behandeln wir Themen, die "à jour" sind. In der 100. Folge erzählen wir beispielsweise eine lesbische Liebesgeschichte – nur, wenn man an diesen Formaten kontinuierlich arbeitet und immer wieder Erneuerung fordert, kann man eine Marke wie "Pilcher" oder „Lindström“ erhalten. Die Zahlen geben uns recht. "Pilcher", "Lindström" und "Frühling" gehören zu den stärksten "Herzkino"-Formaten in der Mediathek. 

Haben Sie mal erforscht, wie viel männliches Publikum Pilcher und Co. schaut?

Die beiden Reihen werden vorwiegend von Frauen geschaut. Das Verhältnis ist in etwa zwei Drittel zu ein Drittel, also um die 30 Prozent männliche Zuschauer.

Mit welcher Schlagzahl planen Sie "Pilcher" und "Lindström" auch in den kommenden Jahren?

Wir möchten beide Marken erhalten. Gleichzeitig wollen wir den "Herzkino"-Sendeplatz aber weiterentwickeln und modernisieren. Daher werden wir neue Marken, wie etwa mit "Frühling" schon gelungen, etablieren. Und wir nehmen neue Reihen auf, jüngst "Dr. Nice". Außerdem geht "Malibu" im Oktober in eine weitere Staffel. Wir werden also einen Kanon aus bestehenden Marken, neuen Reihen und auch besondere Einzelstücke am Sonntagabend zeigen. 

 

"Malibu" ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir im Zuge der Preissteigerung im Markt gemeinsam mit den Produzent*innen punktuell günstigere Produktionsmodelle erfinden müssen.


Welche Punkte spielen bei der "Herzkino"-Erneuerung ganz generell eine Rolle?

Wir schauen uns natürlich genau an, wie die einzelnen Formate in der Mediathek genutzt werden. Wir wollen den Begriff Romantik immer neu aufladen. Im gleichen Atemzug gehen wir in einigen Reihen auch weg von der klassischen Romantik und bedienen, etwa in "Dr. Nice", sehr stark einen humorigen Ton. Bei Familie Schäfer in "Malibu" gehen wir stark ins allgemein Familiäre. "Malibu" ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir im Zuge der Preissteigerung im Markt gemeinsam mit den Produzent*innen punktuell günstigere Produktionsmodelle erfinden müssen. So verhindern wir, dass das Budget von drei Filmen den vierten letztlich cancelt. 

Das heißt konkret?

"Malibu" können wir günstiger produzieren. Wir haben ein festes Setting – einen Campingplatz in Deutschland. Und wir haben ein festes Ensemble. Mit diesen Parametern versuchen wir, eine Reihe aufzubauen, die eine hohe erzählerische Qualität hat, insgesamt aber weniger kostet. Ähnlich gehen wir übrigens bei "Hotel Mondial" vor, dessen zweite Staffel, produziert von Fiction Magnet, gerade am Mittwochvorabend läuft. Ich glaube an das Setting Hotel und sehe großes Potential. Es gab in Staffel eins Punkte, die uns nicht zufrieden gestellt haben. Daran wurde zur zweiten Staffel hin nun gearbeitet. Wir werden sehen, wie die Staffel jetzt bis Ende des Jahres performt. 

"Frühling" geht auf die 50. Folge zu. Fast alle Bücher kommen von Natalie Scharf – die Reihe hat heute noch so viel lineares Publikum wie vor zehn Jahren.

Der Erfolg der Reihe ist sehr stark der Erfolg von Natalie Scharf. Wir hatten einst zwei Filme ausprobiert und die Reihe dann Stück für Stück ausgebaut. Wir sehen heute klar die Handschrift von Natalie Scharf, die Showrunnerin und Produzentin ist. 

Lassen Sie uns über Reihen sprechen, die neu sind, aber keinen Raketenstart hatten: "Familie Anders", "Hotel Barcelona", "Unterm Apfelbaum" – wie lang ist Ihr Atem?

No risk, no fun. Es ist normal, dass Ideen auch mal nicht ad hoc angenommen werden vom Publikum. Das ist nicht schlimm. Wir sind ein öffentlich-rechtlicher Sender und können und müssen Dinge ausprobieren und munter voranschreiten. Bei "Familie Anders" ist eine zweite Staffel schon bestellt, weil wir an das Thema Beziehungstherapie glauben. Das treibt viele Menschen um. 

Sie stärken die Marke "Traumschiff" mit einem vierten Film pro Jahr, das geht zu Lasten von "Kreuzfahrt ins Glück" mit nur noch einem Film. Braucht man die "Kreuzfahrt ins Glück" dann überhaupt noch?

Sie haben Recht. Wir wollen dauerhaft versuchen, vier "Traumschiff"-Filme im Jahr zu machen. Dafür werden wir 2024 den letzten Film von "Kreuzfahrt ins Glück" ausstrahlen. Danach wird die Reihe dann nicht mehr fortgeführt. Unser Ziel ist klar: Es gilt, die Marke "Traumschiff" noch weiter zu stärken. 

Durch die Einstellung von "Letzte Spur Berlin" und "SOKO Hamburg" werden Gelder frei. Sie bestellen nun u.a. „"Pumpen" für ZDFneo/Mediathek. Wieso wird das keine gewöhnliche Weekly?

Wir haben den Wunsch, auch für jüngere Nutzer*innen neue Marken zu schaffen. Gleichzeitig haben wir im ZDF unser Angebot für Jüngere erheblich ausgebaut. Unser Portfolio besteht aus High-End-Serien, Drama- und Sitcom-Serien für Neo und der sogenannte Instant-Fiction, also schnell zu realisierenden kurzformatigen Web-Serien zu zeitgenössischen Themen. Das Angebot wird ergänzt durch Serienformate, die wir in höherer Stückzahl präsentieren möchten. Alle Entwicklungsfelder werden von den beiden Fictionabteilungen bespielt. Neben "Pumpen", ein Format das in der Abteilung von Frank Zervos verantwortet wird und weiteren Entwicklungen bei uns, möchten wir Serien schaffen, die mit hoher Stückzahl für Wiedererkennbarkeit und Vorfreude auf die nächsten Folgen sorgen. Wir planen da keine Weekly wie die "Lindenstraße", aber im Erfolgsfall eben eine durch Regelmäßigkeit entstehende neue Marke.

Wieso hat sich eigentlich noch kein Streamer an eine Daily gewagt?

Ein guter Gedanke. Seinerzeit waren "Bianca" und Co. ja sehr erfolgreich. Am Ende sprechen wir aber über einen hohen Kostenfaktor. So ausdifferenziert wie der Markt heute ist, stellt sich die Frage, ob man damit durchdringt und einen festen Anker für das Publikum schaffen kann.

Modernisiert wird ja auch abseits des Sonntagabends. Im November startet die Miniserie "Die zweite Welle", die eine Geschichte nach der schlimmen Tsunami-Katastrophe erzählt. Es ist ein Psychothriller, der besteht aus viel Wasser und fast noch mehr Lügen.

Wir können streiten, ob das ein klassischer Thriller ist. Ich würde sagen, es ist eine Dramaserie mit Thrillerelementen. Im Kern ist es eine Serie über eine Gruppe von Freunden, die damals den Tsunami erlebt haben. Jetzt leben alle in Berlin, sind Mitte 40. Durch einen Besuch aus der Vergangenheit kommen Geheimnisse und Lügen ans Licht und sie müssen sich fragen, was in ihrem Leben zählt. Entstanden ist eine hochemotionale, spannende Serie, die die Handschrift von Sarah Schnier trägt. Wir starten am 4. November in der Mediathek und zeigen das Format ab dem 27. Dezember im ZDF, jeweils nach 22:15 Uhr. 

 

Die Streaming-Euphorie ebbt ab. Das ZDF steht für Kontinuität und Erneuerung und ist zugleich verlässlicher Partner mit hoher Sichtbarkeit.

 

Wir waren jetzt in einigen Bereichen sehr speziell. Welches sind denn die übergeordneten Themen, mit denen Sie sich in diesen Wochen befassen?

Wir wollen Humor auf so ziemlich allen Feldern stärken. Humor kann man im Leben immer brauchen, auch im Programm. Es geht aber auch um die Zusammenarbeit mit Kreativen. Wir haben den Ehrgeiz, die erste Adresse für Kreative in Deutschland zu sein. Wir möchten  ein verlässlicher Partner sein. Wir möchten die Zusammenarbeit mit Orkun Ertener fortsetzen, der für uns unter anderem seinerzeit "Die Chefin" und "KDD" erfunden hat und mit dem wir kürzlich die Serie "Neuland" gemacht haben.  Annette Hess schreibt gerade die "Ku'damm"-Fortsetzung. Mit Natalie Scharf haben wir "Frühling" etabliert, sie hat "Honigfrauen" und "Gestern waren wir noch Kinder" mit uns gemacht. "Gestern waren wir noch Kinder" hat bei uns im Programm, aber auch international für Aufsehen gesorgt. Die Option für  die Remake-Rechte hat bekanntlich Jerry Bruckheimer erworben und wir sind für weitere Projekte verabredet. Und dann geht es schon stark darum, andere Produktionsmodelle zu gestalten, die auf den Wandel des Marktes einzahlen. Darüber haben wir schon gesprochen. Zudem ist es mir wichtig zu sagen: Die Streaming-Euphorie ebbt ab. Das ZDF steht für Kontinuität und Erneuerung und ist zugleich verlässlicher Partner mit hoher Sichtbarkeit.

Ich kann Sie nicht aus dem Gespräch entlassen, ohne kurz noch die auch von Ihnen verantworteten "Rosenheim-Cops" anzusprechen. Eine Serie, für die Sie für die nächsten Jahre eine Bestandsgarantie aussprechen können?

Die Serie funktioniert in der Mediathek und im Linearen sehr gut. Das ist ein Kultformat, an dem alle mit Herzblut arbeiten. Die Bestandsgarantie kann ich Ihnen sehr gerne ausstellen.

Frau Hempel, vielen Dank für das Gespräch.