Herr Habets, das Personalkarussell dreht sich bei ProSiebenSat.1. Aus welchen Gründen?

Zum 1. November haben wir das Unternehmen nach unserer, intern Project Horizon genannten, Restrukturierung, neu aufgestellt. Mit dem Abgang von Wolfgang Link im Frühjahr gab es schon einen Indikator dafür, dass wir uns unser Entertainment-Setup genauer anschauen würden, um Arbeitsprozesse und Reportlinien zu vereinfachen. Und das muss man konsequenterweise bis nach ganz oben durchdenken, gerade wenn wir den Fokus bei ProSiebenSat.1 aus unser Kerngeschäft Entertainment legen. Deswegen ist es für mich naheliegend, dass ich selbst die Geschäftsführung der Seven.One Entertainment Group übernehme. Weiterhin ist Stefan Endriß Chief Financial Officer. Henrik Pabst, der als Chief Content Officer eine umfassender angelegte Aufgabe übernimmt und das Content-Geschäft nun komplett aus einer Hand verantwortet: vom Einkauf, über die Strategie bis hin zur Kreation. Durch die Bündelung unter Henrik wird die crossmediale Ausspielung der Inhalte über all unsere Kanäle und Plattformen optimiert und das Zusammenspiel aller Marken gefördert. 

Und es gibt einige weitere Personalien zu besprechen…

Neu ist auch die Bündelung der Verantwortung für alle digitalen Plattformen bei Katharina Frömsdorf, die als Chief Platforms & Growth Officer bei Seven.One Entertainment sowie neue Geschäftsführerin unseres zentralen Bausteins fürs Wachstum, unserer Streamingplattform Joyn, agiert. So wollen wir Sender und digitale Plattformen noch enger zusammenbringen. Denn das ist die Positionierung mit der wir internationalen Streamingdiensten etwas voraus haben: Die 360 Grad-Verwertung von einerseits IP und Talents andererseits. Joyn, Studio71, Seven.One Audio, - alles endlich unter einem Dach und der Koordination von Katharina.

Damit verlassen Joyn-CEO Tassilo Raesig und CFO bzw. COO René Sahm den Streamingdienst, laut Mitteilung „aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die zukünftige Ausrichtung der Plattform“. Klare Worte. Wo lagen die Differenzen?

Als wir Anfang des Jahres unsere neue Entertainment-Strategie angekündigt haben, beinhaltete das auch eine Neupositionierung von Joyn als einen deutlich breiter angelegten Streamingdienst, der mehr Menschen ansprechen muss als das aktuell sehr junge Angebot mit oft edgy Formaten um Influencer, Streamer und Content Creator. Auch wenn die beiden Joyn sehr erfolgreich mit unserer österreichischen Tochter ProSiebenSat.1 PULS4 eingeführt haben, spiegelt sich sechs Monate später unsere Strategie nicht im Content Development, nicht im Produkt oder der Technik von Joyn. Wir haben unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Zukunft von Joyn aussehen soll. Aber wir haben keine Zeit zu verschenken; wir sind schon Late to the Game und müssen jetzt zügig und entschieden die neue Strategie implementieren. Ich freu mich, dass Katharina Frömsdorf jetzt übernimmt.

Es herrscht Irritation im Markt, wie Joyn aufholen will: Allein mit Content-Aggregation und Verlängerung linearer Programmmarken oder bekommt Joyn auch ein signifikant höheres Budget für eigene Originals?

Es gibt ein dezidiertes Budget für Joyn Originals und wir werden das im kommenden Jahr bereits verdoppeln. Das kommt von dem eingeplanten und angekündigten Content-Budget in Höhe von einer Milliarde Euro über all unsere Angebote hinweg, wird also intern umgewidmet, um Joyn die Chance zu geben, mit Leuchtturm-Programme aufzufallen, wie es z.B. „Jerks“ gelungen ist. Nur künftig eben nicht mehr nur bei den jungen Zielgruppen, sondern einem breiteren Publikum und wir werden unsere Investments in Joyn entsprechend unserer Fortschritte beim Wachstum des Streamingdienstes anpassen. Ich würde daher nicht ausschließen, dass wir in drei bis fünf Jahren über ein nochmal ganz anderes Budget für Joyn sprechen.

Und eine neue Staffel von „Big Brother“ gehört auch zu den Joyn-Leuchttürmen im kommenden Jahr? Das Gerücht kam in der vergangenen Woche auf…

(lacht) Das Gerücht bleibt auch nach unserem Gespräch ein Gerücht. Wir werden im November mit der Marke „Promi Big Brother“ die unique Position von Joyn stärken und das einzigartige Zusammenspiel von Streamer und Sender nutzen: Bei „Promi Big Brother“ setzen wir auf einen 24-Stunden-Livestream auf Joyn. Und tägliche Shows in Sat.1. Zudem testen wir auf Joyn einige neue interaktive Features.

Sprechen wir über die weiteren personellen Konsequenzen: Sie sagen, dass die Neuaufstellung als geplanter Endpunkt ihrer Restrukturierungsprogramm kommt. Und es soll Zufall sein, dass sich Daniel Rosemann nach 15 Jahren bei ProSiebenSat.1 zum gleichen Zeitpunkt entschieden hat, das Unternehmen zu verlassen?

Auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung, ProSiebenSat.1 zu verlassen, habe ich keinen Einfluss und Sie kennen Daniel Rosemann: Wenn er einmal eine Idee im Kopf hat, ist es schwer ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Also müssen wir das akzeptieren.

Wie stellen Sie dann die neue Organisation auf? 

Wir haben glücklicherweise so viel talentierte Köpfe im Unternehmen, dass wir unmittelbar eine interne Lösung gefunden haben. Grundsätzlich sind natürlich auch externe Impulse; zusätzliche kreative Gedanken immer wertvoll. Mit Hannes Hiller, der jetzt die ProSieben-Führung übernimmt, haben wir beispielsweise Bedarf im Bereich Development, den Hannes bisher sehr erfolgreich verantwortet hat und mit Marc Rasmus haben wir bei Sat.1 künftig einen Strategen mit Zielgruppen-Gespür, der bei Kabel Eins einen hervorragenden Job gemacht hat. Marc steht nun vor der Aufgabe die Präzision in der Programmentwicklung von Kabel Eins auch bei Sat.1 einzuführen. Deswegen - und basierend auf unseren ersten Gesprächen über seine Vorstellungen für die Marke - bin ich wirklich glücklich, ihn an der Spitze von Sat.1 zu haben, um dem Sender ein ausgeprägteres, wiedererkennbares Profil als Familiensender zu geben.

 

"Wir müssen für verlässliche Sehgewohnheiten sorgen und nachhaltige Sendeplätze schaffen."

 

Inwiefern soll sich das unterscheiden von dem, was Daniel Rosemann zuletzt mit Sat.1 probiert hat?

Ich möchte heute nicht ins Detail gehen und damit Marc oder Hannes vorgreifen, aber lassen Sie es mich auf Sat.1 bezogen allgemein beantworten: Wir wollen ein breites familienorientiertes, weiblich geprägtes Programm für die 40- bis 65-Jährigen planen. Dafür müssen wir für verlässliche Sehgewohnheiten sorgen und nachhaltige Sendeplätze schaffen, die Sehgewohnheiten etablieren können. Marc Rasmus will in der Zukunft verstärkt auf wiedererkennbare und vertraute Farben an bestimmten Abenden setzen und Henrik als CCO wird ihn unterstützen, dass wir das auch länger durchhalten. Ob es ums Kochen oder Quizzen geht: wir müssen unsere Zielgruppe die Chance geben, sich daran zu gewöhnen. Wir brauchen mehr Konsistenz und perspektivisch vielleicht auch längere Programmstrecken. Mit mehr Volumen können wir auch günstiger produzieren. Wir müssen hier eine neue Kontinuität reinbekommen. Das ist auch unsere Aufgabe als Geschäftsführung hier langfristige Committements einzugehen und Rückendeckung zu geben. Darüber ist Henrik mit Marc im Dialog.

Gilt das mit der Kontinuität auch für ProSieben?

ProSieben wiederum kann man ganz anders als Sat.1 programmieren; muss man sogar: Der Sender lebt von Innovation, von Events und die müssen immer wieder neu und frisch sein. Bei dem hier etwas jüngere Publikum sind stetig neue Einschaltimpulse etwas wichtiger als kontinuierliche Sehgewohnheiten. Hier sind Big Shiny Floor Shows zuhause, internationale Talents. ProSieben ist Überraschung.

Vor zweieinhalb Jahren hieß es, Sat.1 solle zum 40. Geburtstag wieder auf alter Flughöhe sein. Das wäre in zehn Wochen. Ich nehme an, Sie gestehen Marc Rasmus ein bisschen mehr Zeit zu?

(lacht) Ja, natürlich! Realistisch wäre wohl davon auszugehen, dass wir zur Saison 2024/25 - also nach den großen Sportevents im kommenden Sommer - erste Veränderungen sehen. Wir werden vorher natürlich schon optimieren, wo immer es möglich ist. Aber die korrigierte Ausrichtung wird im zweiten Halbjahr 2024 langsam sichtbar, ist allerdings eine Reise, die dauern wird - insbesondere im aktuellen Marktumfeld. 

Mit Marc Rasmus und Hannes Hiller bekommen die beiden großen Sender in ihrem Portfolio wieder eigenständige Führungen. Mit welcher Intention?

Wir brauchen Senderchefs, die ihre Marke im täglichen Geschäft leben und im Kampf um Marktanteile und verschiedene Zielgruppen braucht es einen Fokus aufs Programm. Dazu sprachen wir gerade über mehr Kreativität, die ein interner Wettbewerb sicher auch fördern kann.

 

"Wir sind bei ProSieben sehr abhängig geworden von Lizenzprogrammen"

 

Daniel Rosemann erklärte, dass die Budgets in der Access und Primetime fokussiert werden müssen und vor 16 Uhr im Grunde nicht mehr signifikant investiert werden könne. Gilt das nach wie vor?

Das ist ein anhaltender Trend in vielen europäischen Märkten. Sie können jeden Euro nur einmal ausgeben und dann liegt die Priorität auf den Sendestrecken am Abend und Vorabend. Wenn das funktioniert, kann man die Daytime optimieren, aber man fängt nicht dort an. Wenn wir am Vorabend eine tägliche Serie in Erstausstrahlung haben, dann macht es doch Sinn diese am nächsten Tag zu einer anderen Zeit noch einmal zu zeigen. Andere Uhrzeit, ein anderes Publikum. Die bekommen auch etwas Neues, auch wenn es theoretisch nur eine Wiederholung ist. Ich glaube aber nicht, dass wir unsere Investitionen in der Daytime auf Null runterfahren können, auch weil wir bei ProSieben sehr abhängig geworden sind von Lizenzprogrammen. Wir stehen hier mit den Streamingdiensten in Konkurrenz, die auch viele unserer Sitcoms haben. Also werden wir besonders smart investieren müssen in die Daytime.

ProSieben ist eine der jüngeren Sendermarken, aber das gesamte lineare Fernsehen - auch ProSieben - wird älter. Wie soll der Sender den Spagat schaffen, einerseits die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer zu adressieren, es davon aber immer weniger gibt und das Publikum insgesamt älter wird?

Auch die jüngste Marke kann sich ja weiterentwickeln. Wir bleiben jung, cool und innovativ. Wir wollen weiter Grenzen austesten und für Überraschung sorgen - aber ProSieben wird entsprechend der demografischen Entwicklung in den deutschsprachigen Märkten älter werden. Das bedeutet nicht, dass wir altes Programm machen.

Jetzt haben wir über die beiden großen Sender gesprochen. Aber es gibt ja noch weitere Neuerungen, etwa Felix von Mengden bei Kabel Eins…

Und der war schon Teil von Marcs Team bei Kabel Eins, hat den Erfolg mitgetragen und versteht dementsprechend, wie wir bei Kabel Eins auf das bisher Erreichte aufbauen können. Wir freuen uns auch sehr, dass Ellen Koch neben ihrer Verantwortung für Sixx die Führung weiterer Sender übernimmt, weil sie mit ihrem Background im Marketing eine wichtige Expertise für die kleinen Sender unserer Gruppe mitbringt: Wie sorgen wir dafür, dass sie auffallen in diesem harten Markt? Das Programm, gerade bei den kleinsten Sendermarken, ist ein bisschen mehr Brot & Butter Geschäft. Da braucht es viel mehr smartes Marketing, wo sie sich voll einbringen kann.

Nicole Agudo-Berbel wechselt zu Joyn - verantwortet aber weiter alle Distributionsthemen?

Richtig, Nicole Agudo-Berbel wird sich weiter um diese Themen kümmern, also u.a. um die Verbreitung unserer PayTV-Angebote über unsere Distributoren – nun auch für die Plattform Joyn. Während das unverändert ein Teil unseres Geschäfts mit unseren Verbreitungspartnern ist, kommt inzwischen die Frage dazu, wie wir Joyn auf zusätzlichen Plattformen integrieren, also die Joyn-App zum Beispiel auch über Magenta verfügbar wird. Deshalb ist Nicole jetzt im neuen Setup Teil unseres Digital Platform Team und wird eine Geschäftsführerin von Joyn.

Ist die Konsolidierung im Markt denn derzeit auch eine Gelegenheit für Zukäufe bei ProSiebenSat.1? Sky Deutschland, Sport 1… es wurde und wird ja viel spekuliert…

Wir sind sehr zufrieden mit dem Portfolio, das wir haben. Wir schauen uns Gelegenheiten natürlich an, aber würden sie nur verfolgen, wenn sie wirklich Sinn machen. Spezifische Spekulationen will ich nicht kommentieren.

Wenn die interne Restrukturierung nun abgeschlossen ist, stellt sich die nächste Frage: Wann kommt denn der erhoffte Aufschwung im Werbemarkt? Oder müssen wir auf ein Sommermärchen bei der EM im eigenen Land hoffen?

(lacht) Möchten wir uns davon abhängig machen? Also ich bin gedanklich inzwischen schon in 2024. Ich bin nun wirklich schon lange in dieser Branche aber habe noch nie zwei Jahre hintereinander mit einem so deutlichen Rückgang des Werbemarktes um jeweils neun bis zehn Prozent erlebt, aber so lange wie das jetzt schon andauert, steigt mein Optimismus weil wir in Deutschland nicht dauerhaft in dieser Werbe-Rezension bleiben werden. Wir sehen derzeit in mehreren Märkten deutlich sinkende Inflation sowie steigende Reallöhne. Ich hoffe wirklich, dass dieses Mehr an Budget in deutschen Haushalten im kommenden Jahr den Konsum wieder antreibt und das ist die wichtigste Lokomotive um den Werbemarkt wieder deutlich anziehen zu lassen.

Herr Habets, herzlichen Dank für das Gespräch.

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