Herr Werninger, Sie erzählen mit „Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“ die Geschichte des FC Bayern München als Serie. Wie real bzw. fiktional ist die Geschichte?

Die Geschichte der Serie ist schon sehr nah an dem, was damals passiert ist. Dafür haben Richard Kropf und das Autorenteam sehr ausführlich recherchiert in Biografien, Chroniken, Archiven. Es basiert ja auch auf dem gleichnamigen Buch „Gute Freunde“ von Thomas Hüetlin, das die Geschichte des FC Bayern dann sogar bis 2002 erzählt, auch das ist schon sehr detailliert. Natürlich ist die konkrete Dialogebene fiktionalisiert und manchmal dramaturgisch verkürzt, wobei wir auf die nötige Authentizität achten, um der Zeit und den Figuren treu zu sein.

Gerade weil es zuletzt auch viele Doku-Projekte gab, bei denen die Nähe zu Vereinen und Personen durchaus kritisiert wurde: Wie sind Sie die Serie angegangen?

Die Serie wurde absichtlich nicht zusammen mit dem FC Bayern München entwickelt und produziert, um eine Serie über, aber nicht mit dem FC Bayern München zu erzählen.

Aber man dreht sowas sicher nicht, ohne vorher mal zu sprechen, oder?

Der Verein und die wichtigsten Akteure waren über unser Vorhaben informiert. Nico Hofmann und ich waren hier mit einigen auch schon in Kontakt. Auch zum 70. Geburtstag hatten wir eine Dokumentation über Franz Beckenbauer produziert. Alle waren im Bilde, aber uns war sehr wichtig, dass wir frei erzählen können. Es gab schließlich auch Tiefpunkte und durchaus kritisch zu bewertende Geschäftspraktiken und da stand nie in Frage, das nicht in der Serie zu zeigen, gerade weil zuletzt manche Dokumentation über Fußballvereine bei mir den faden Beigeschmack hinterlassen hat, dass ausgerechnet im Dokumentarischen das Kritische oft rausgelassen wurde.

Aber Sie wollen jetzt nicht den Dokumentationen Konkurrenz machen?

Nein, natürlich erzählen wir im großen Ganzen eine Erfolgsgeschichte und das fiktionalisiert, aber mit allen wichtigen Details, auch den dunklen Momenten und da hatten wir die Sorge, dass eine zu frühe Einbeziehung uns hemmt und die erzählerische Freiheit einschränkt, deswegen haben alle erst die fertige Serie gesehen. Ich bin auch extrem glücklich, dass Nico Hofmann und ich bereits vor der Veröffentlichung– u.a. von Paul Breitner – so positive Reaktionen bekommen; regelrecht Begeisterung erfahren. Wenn sich in den Rückmeldungen unsere angestrebte Authentizität bestätigt, ist das für so ein Projekt natürlich ein Geschenk.

Im modernen Fußball gilt der FC Bayern München als erfolgsverwöhnt. Wie findet man da Fallhöhe, um eine spannende Geschichte zu erzählen?

Wir erzählen mit dieser Staffel die Geschichte des Vereins von 1964 bis 1974 und zu Beginn dieser Periode war Bayern München quasi ein Regionalliga-Verein und die Sechziger in München das Maß aller Dinge. Dann kam der Baulöwe Wilhelm Neudecker, der vorher nichts mit Fußball zu tun hatte, übernahm den Verein und stellte mit dem gewieften Manager Robert Schwan zusammen die Weichen für das, was der FC Bayern München heute ist. „Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“ erzählt diese Zeit aus der Sicht von fünf heute legendären Fußballspielern – Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Uli Hoeneß – und das in jeder Folge aus der Perspektive von einem von ihnen. Die letzte Folge ist dann die WM 1974, wo sie alle zusammen Weltmeister werden. Was so besonders daran ist: Das waren alle Spieler aus der Region. Heute bestehen Mannschaften oft aus zusammengekauften Nationalspielern diverser Nationen, die mit Millionensummen gelockt werden. Damals gab es das noch nicht, da spielte man für den Verein vor Ort und es war auch noch nicht viel Geld im Spiel. Gerd Müller musste parallel noch weiter als Möbelpacker beim Vereinsboss Neudecker arbeiten. Diese Gruppe von Jungs ist der Grundstein für die heutige Marke FC Bayern München und wie einzigartig ist es, dass jemand wie Uli Hoeneß heute noch da ist? Ich bin Fußball-Fan und auch Bayern-Fan, deswegen hatte ich schon immer die Idee im Hinterkopf, dass man diesen Aufstieg mal erzählen müsste.

Kann man den über 1974 hinaus erzählen?

Jetzt muss die erste Staffel natürlich erst einmal reüssieren, aber die zweite Staffel ist gedanklich bereits in Planung. Die würde relativ zeitnah da anknüpfen, wo wir jetzt aufhören. Ende der 70er Jahre kam dann die Hochphase von Gladbach, die dreimal Deutscher Meister wurden, u.a. mit Udo Lattek, der davor beim FC Bayern war. Es kommen Namen wie Jupp Heynckes und Spieler wie Lothar Matthäus auf die Bildfläche. Da widmen wir uns also den späten 70ern und frühen 80ern. Wie es dann weitergehen kann, wird man sehen. Ich glaube, je näher wir an die Gegenwart kämen, desto schwieriger wäre es, das fiktional zu erzählen, weil es dann u.a. mit den handelnden Personen komplexer wird.

Sie arbeiten in der Serie auch mit Originalmaterial von früher…

Ja, die ganzen Spielszenen sind ganz bewusst Archivmaterial, weil das Nachdrehen von Sportszenen unfassbar aufwendig und teuer ist, wenn es nicht billig aussehen soll. Das war uns von Vornherein klar und gibt zusätzlich Authentizität, weil sie den Style und Look von damals transportieren – an den wir uns in den gedrehten Szenen natürlich angepasst haben. Regisseur David Dietl und DoP Holly Fink haben extra mit Super 8-Kamera gedreht, um die Übergänge vom Archivmaterial zum gedrehten Material hinzubekommen. Wir haben uns besonders viele Gedanken gemacht, um ein stimmiges Ergebnis zu bekommen. Auch, weil wir wissen, dass es sehr viele Fans des FC Bayern München gibt, die die damalige Zeit noch in Erinnerung haben und mit ihren Erinnerungen abgleichen werden.

 

"Diese eher risikoaverse Phase wird ein Ende haben."

 

Wir sehen seit Jahren schon bei Sendern wie Streamingdiensten den Trend zu IP-basierten Projekten. Meist Bestseller, die verfilmt werden, aber auch Personen oder Marken wie der FC Bayern München werden inzwischen zum Aufhänger für Projekte. Geht Fiktion nur noch so, um Risiken zu minimieren?

Wir leben in einer Zeit, in der das Risiko von Investitionen noch mehr als sonst minimiert werden soll. Da werden Projekte bevorzugt, die über einen bekannten Anker von Haus aus einen gewissen Erfolg versprechen, weil sie damit schon mal auffallen und das heutzutage die erste Hürde ist. Das geht mit einer Serie über den FC Bayern München einfacher als mit einer originären Geschichte, die man erstmal vermitteln muss.

Haben Sie Hoffnung, dass originäre Geschichten wieder auf mehr Offenheit stoßen?

Zunächst einmal haben wir gerade diesen Trend und den bedienen wir als UFA im Kino, Streaming und linearen TV mit einer Vielzahl an Projekten, aber ja, ich bin als Optimist sehr zuversichtlich, dass wir spätestens 2025 auch wieder – gerade als Gegenreaktion – wieder mehr Bereitschaft für originäre Geschichten erleben werden. Ich glaube an die Kraft von Kreativität und dass sich eine richtig gute Idee immer durchsetzen lässt. Diese eher risikoaverse Phase wird ein Ende haben.

Die Streamingdienste justieren ihre Strategie, die werbefinanzierten Sender ebenso. Wie sehen Sie gerade den Markt?

Momentan ist Mainstream das Ziel für alle, weil auch die internationalen Streamingdienste sich inzwischen mehr an dem orientieren, was früher mal Privatfernsehen war. Breite Ansprache, um möglichst viele zu erreichen, auch weil viele jetzt auf Werbung setzen und man Werbekunden Reichweite bieten muss. Das geht nicht mit zu nischigen Programmen. Die sehen wir gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, die mit dem Fokus auf die Mediatheken eine viel größere Bandbreite und mehr Mut beweisen als zuvor, wenn ich u. a. beispielsweise an die von meiner Kollegin Nataly Kudiabor verantwortete Serie „All you need“ für die ARD Mediathek denke. Auch das ZDF experimentiert viel mit seinen Neoriginals. Die Öffentlich-Rechtlichen werden ihrem Auftrag, allen ein Angebot zu machen, in der fiktionalen Vielfalt gerade so gerecht wie noch nie. Das ist kein Angebot mehr nur für 50+.

Und es ist keine Ausrede, wenn diese Mediatheken-Serien genau dort stattfinden, während im Schaufenster des linearen Fernsehens weiter das läuft, was immer lief?

Ich bin ein Freund davon, Inhalte nicht über die Ausspielwege zu definieren, weil das auf Publikumsseite doch niemanden interessiert. Eine gute Serie verdient ein großes Publikum, egal, ob linear oder im Netz. Wie sich das am klügsten programmieren lässt, ist bei allen Beteiligten gerade in der Findungsphase. Auch RTL experimentiert mit „Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“ und ich finde das sehr spannend: Erst die Veröffentlichung exklusiv online bei RTL+ zum Länderspiel, dann die Ausstrahlung der ersten drei Folgen im linearen Fernsehen. Damit bin ich total fein und hoffe, dass das Experiment aufgeht.

Letzte Frage: Wie sehen Sie als jemand, der schon viel Zeitgeschichte verfilmt hat, das Thema Corona? Ist die globale Pandemie als Thema schon bereit für Verfilmungen?

Da gibt es noch große Zurückhaltung, weil es bei Sendern und Streamingdiensten die Sorge gibt, dass die Menschen sich nicht gerne an diese Jahre erinnern und froh sind, dass das gerade überstanden ist. Außerdem haben wir gerade andere internationale Krisen, was beim Publikum, das nach Unterhaltung sucht, eher den Wunsch nach Eskapismus fördert. Aber in einer stärker fiktionalisierten Form – und schon geplant, bevor Corona kam – nähert sich „Helgoland 513“, das wir für Sky Deutschland produziert haben, ja der Frage, was eine tödliche Pandemie mit einer Gesellschaft auf einer abgeschotteten Insel macht. Da verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Realität.

Herr Werninger, herzlichen Dank für das Gespräch.

"Gute Freunde - Der Aufstieg des FC Bayern", ab 18. und 22. November bei RTL+ (je drei Folgen). RTL zeigt drei Folgen am 22. November zur Primetime