Frau Frömsdorf, Herr Münzner, in wenigen Wochen fällt das Nebenkostenprivileg. Für Joyn wäre das theoretisch eine Möglichkeit, sich als Alternative zum Kabelanschluss zu positionieren. Aber bislang konnte man diesbezüglich noch wenig vernehmen. Welche Rolle will Joyn hier einnehmen?

Katharina Frömsdorf: Wir sehen Joyn als die beste Alternative zum Kabelanschluss, weil wir mit unserem Angebot einen Großteil der linearen deutschen Fernsehsender abbilden – und das völlig kostenfrei für die Nutzerinnen und Nutzer. Ungeachtet dessen bin ich gespannt, wie sich die Marktveränderungen durch den Wegfall des Nebenkostenprivilegs darstellen werden. Wir waren bislang bewusst nicht so laut, weil nicht davon auszugehen ist, dass in Millionen Haushalten das Fernsehsignal von heute auf morgen schwarz wird. Gleichzeitig rechnen wir damit, dass sich viele Konsumentinnen und Konsumenten erst mit dem Thema beschäftigen, wenn es wirklich so weit ist, also am 1. Juli – und gehen jetzt auch in die Kommunikation.  

Aber eignet sich Joyn denn wirklich als echte Kabel-Alternative, wenn die zweite große Privatsender-Gruppe gar nicht auf Ihrer Plattform vertreten ist?

Frömsdorf: Unsere Mission ist es, das Angebot von Joyn kontinuierlich auszubauen. Natürlich wünschen wir uns noch mehr Partner. Aus meiner Sicht ist es nachvollziehbar, dass RTL momentan eigene Wege geht, weil die Gruppe im Streaming mit einem klaren SVoD-Fokus zurzeit eine andere Business-Strategie verfolgt als wir. Trotzdem sind und bleiben wir mit allen relevanten und wichtigen Partnern, die aktuell noch nicht bei Joyn vertreten sind, im Austausch. 

Thomas Münzner: Durch die 70 linearen Live-TV-Sender und rund vier Jahre Programm auf Abruf, die sich über Joyn kostenfrei streamen lassen, ist Joyn schon jetzt für einen großen Teil der Nutzerinnen und Nutzer ein attraktives Angebot.  Wir können uns deshalb mit breiter Brust hinstellen und stolz darauf verweisen, dass kein anderer Streamer in Deutschland über ein derart großes kostenloses Angebot verfügt.

Dazu kommen Ihre Eigenproduktionen, deren Zahl bekanntlich wieder gesteigert werden soll. Vor wenigen Tagen ist "Big Brother" zu Ende gegangen. Welches Fazit ziehen Sie nach 100 Tagen?

Münzner: Wir waren sehr happy darüber, wie die Marke "Big Brother" nach der langen Pause bei Joyn gestartet ist, haben gleichzeitig aber immer gesagt, dass wir uns die Zahlen am Ende in aller Ruhe anschauen wollen. Und diese Zeit nehmen wir uns jetzt auch. Unabhängig davon steht fest: "Big Brother" hat unsere Plattform als großer Treiber insbesondere beim 24/7-Livestream gestärkt. 100 Tage "Big Brother" waren eine unfassbar starke Leistung des gesamten Endemol-Shine-Produktions- und des Joyn-Teams. 

Gibt's unabhängig davon eine wachsende Lust auf Reality?

Münzner: Es wird sehr, sehr viel mehr Reality bei Joyn geben. Insgesamt haben wir gleich acht neue Staffeln und Formate beauftragt, die alle noch in diesem Jahr bei uns zu sehen sein werden. Für den Herbst planen wir "Dr. Rick und Dr. Nick" (AT). Wir begleiten die beiden Beauty-Docs und TikTok-Stars in einer schillernden Reality-Soap. Beide bauen ihre Praxen – in denen sich übrigens auch zahlreiche Reality-Stars und -Sternchen die Klinke in die Hand geben – in Deutschland, aber auch im Ausland aus und da sind wir mit der Kamera dabei. Darüber hinaus setzen wir "Good Luck Guys" und "Forsthaus Rampensau" mit jeweils einer zweiten Staffel fort und machen "Das große Promi-Büßen" zum Joyn Original. Außerdem holen wir die deutsche Version von "Dating Naked", bislang bei Paramount+ beheimatet, in der zweiten Staffel exklusiv zu Joyn.

Dr. Rick und Dr. Nick © Seven.One/Aesthetify GmbH Dr. Henrik Heüveldop und Dr. Dominik Bettray werden in der neuen Reality-Soap "Dr. Rick und Dr. Nick" (AT) begleitet.

In der Vergangenheit hat Joyn immer wieder auf Formate mit Content Creators und Influencern gesetzt. Wie positioniert sich Joyn in diesem Bereich künftig?

Münzner: Für uns ist die Zusammenarbeit mit Content Creators weiter ein wichtiger Bestandteil, um neue Talente zu finden, sie an unsere Gruppe heranzuführen und so auch den jungen und social-media-affinen Zuschauer:innen ein Zuhause bei Joyn zu geben. Aus diesem Grund arbeiten wir sehr viel mit Kreativen sowohl vor als auch hinter der Kamera zusammen. Klar ist aber auch, dass wir verstärkt breitere Zielgruppen ansprechen wollen, um die Brücke zwischen TV- und Streaming-Publikum zu schlagen. Dafür fokussieren wir uns 2024 bei den Eigenproduktionen auf zwei Kern-Genres: Neben der Reality hat vor allem Comedy für uns Priorität. Hier holen wir unter anderem "Comedystreet" zurück und bringen es mit zwei weiteren Comedians in die heutige Zeit. 

Sie haben schon vor wenigen Tagen außerdem angekündigt, "Das Duell um die Geld" mit Joko und Klaas neu aufzulegen. Wir schwer war es, die beiden für Joyn zu begeistern?

Münzner: Da brauchte es keine Überzeugungsarbeit. Joko und Klaas wollten es unbedingt, sie selbst kamen mit der Idee auf uns zu. In der Vergangenheit haben die Fans zum Ausdruck gebracht, dass sie das Format unbedingt zurückhaben wollen: Kein anderes ProSieben-Programm wurde von unseren Zuschauerinnen und Zuschauern so sehr vermisst. Ich freue mich, dass wir ihnen den Wunsch erfüllen können und so die erste ProSieben-Show zum Joyn Original wird.

Im Fiktionalen haben Sie bereits vor einiger Zeit die zwei Comedyserien "Der Upir" und "KEKs" angekündigt. Kommt da noch mehr?

Münzner: Definitiv. Zum Jahresende planen wir ein besonderes Highlight: Die Comedy-Serie "Die Stinos", abgekürzt für "Die Stinknormalen". In den Hauptrollen sind Sebastian Bezzel, den man aus den Eberhofer-Krimis kennt, und Johanna Christine Gehlen zu sehen. Beide sind nicht nur im wahren Leben miteinander verheiratet, sondern auch in der Serie. Sie spielen ein stinknormales Paar mittleren Alters: Eigentlich keine Probleme, mittelgroßer Anspruch ans eigene Glück, kein großes Risiko – wenn da nicht die lieben Mitmenschen wären. In dieser Konstellation steckt sehr viel Humor drin, die Autor Stefan Stuckmann erzählen wird – produziert von SKP Entertainment und Nuworx Productions. 

Der Upir © Seven.One/Christoph Köstlin Fahri Yardim und Rocko Schamoni sind in den Hauptrollen der neuen Joyn-Serie "Der Upir" zu sehen.

Mit "Jerks", "Check Check" und "Frau Jordan stellt gleich" hat Joyn in der Vergangenheit schon einmal mehrere Comedyserien produziert. Danach war es dann lange ruhig. Waren das, rückblickend betrachtet, verlorene Jahre?

Münzner: Fest steht: Joyn produziert 2024 so viele Originals wie noch nie zuvor. Wir kommen aus einem Joint Venture und die vollständige Übernahme von Joyn durch ProSiebenSat.1 hat naturgemäß ein bisschen gedauert.  Dadurch konnten wir zeitweise nicht so viel Programm produzieren, wie wir das heute wieder tun. Aber nun geben wir, zusammen mit unseren Sendern, wieder Vollgas. 

Frömsdorf: Wichtig ist, dass ProSiebenSat.1 seine Konzernstrategie vor einem Jahr komplett neu ausgerichtet hat und Joyn als Herz des Entertainment-Geschäfts im Zentrum der Gruppe schlägt. Seit dem 12. Juni nun auch in der Schweiz! Das zahlt sich jetzt aus. Wir sind mit dem Start ins neue Jahr sehr zufrieden und freuen uns über starke Wachstumszahlen – bei den Nutzern wie bei den Werbebuchungen: Im ersten Quartal 2024 haben wir etwa ein Plus von 50 Prozent im Werbegeschäft von Joyn erzielt. Daran wollen wir anknüpfen.

Wie sehen die weiteren Ziele aus?

Frömsdorf: Wir sehen uns als enger Partner der Werbeindustrie. Daher kommen wir, das ist unsere DNA – und diesen Weg gehen wir weiter. Das unterscheidet uns im Übrigen auch von der direkten lokalen als auch von der globalen Konkurrenz. Unser klares Ziel ist es, ein breites Angebot für den Werbemarkt zu schaffen – denn AVOD ist für uns ein echter Wachstumsmarkt! Und nur bei uns gibt es dieses breite Angebot an Werbe-Umfeldern im Streaming. In Kombination mit den Reichweiten unserer TV-Sender sowie der wachsenden digitalen Reichweite von Joyn können wir ein Gesamtpaket anbieten, das seinesgleichen sucht. Wir haben uns daher weiterhin ein starkes zweistelliges Wachstumsziel gesetzt, sowohl in der Zahl der Nutzerinnen und Nutzern als auch in der Werbevermarktung. 

Immer mehr Streamer entdecken Werbung für sich. Ist das von Joyn, das ja von Beginn an sehr stark darauf setzte, ein Nachteil?

Frömsdorf: Aktuelle Studien zeigen sehr deutlich, dass die Akzeptanz von Werbung in Streaming-Angeboten zunimmt. Außerdem wünschen sich die Nutzerinnen und Nutzer im Inhalte-Dschungel einen Anbieter, bei dem sie möglichst viele Inhalte auf einer Plattform finden. Davon wird Joyn in Zukunft profitieren, zumal wir die Spezialisten in der Bewegbildvermarktung sind. Aufgrund unseres Werbemarkt-Fokus können wir zugleich flexibel auf die Bedürfnisse der Werbekunden reagieren und zusammen mit unseren Vermarktungskolleg:innen und unseren Tochterfirmen beispielsweise eng mit den Werbekunden zusammenarbeiten und Sonderwerbeformen kreieren. Es ist auch denkbar, Kanäle zu branden und tief in die Formatwelt einzusteigen. Da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Frau Frömsdorf, Herr Münzner, vielen Dank für das Gespräch.