Herr Freund, Sie sind mittlerweile seit vielen Jahren als Fußball-Experte im Fernsehen unterwegs. Wann haben Sie gemerkt, dass es Sie nach Ihrer Karriere als aktiver Fußballer und Trainer in diesen Bereich zieht? Gab es da einen bestimmten Moment?

Steffen Freund: Das war bei mir wie bei vielen erfolgreichen Spielern. Irgendwann bekommt man eine erste Anfrage, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Das war 2000 zur EM in Belgien und den Niederlanden. Ich war damals noch bei Tottenham in der Premier League und habe dann für das ZDF die Spiele der englischen Nationalmannschaft analysiert. Es war der inzwischen leider verstorbene Dieter Gruschwitz, der da offenbar Potenzial in mir gesehen hat. Da hatte ich im Vorfeld der ersten Übertragung eine gehörige Portion Lampenfieber, aber der Job hat mich immer gereizt. Das volle Bekenntnis, das hauptberuflich zu machen, habe ich dann nach meiner Zeit als Co-Trainer bei Tottenham gegeben. Das war 2014. Ich bin dann dort Schritt für Schritt reingerutscht, obwohl ich auch Bundesliga-Trainer hätte werden können.

Da sind Sie anders als andere Experten. Einige werden engagiert und hören dann wieder auf, sobald sie einen Job bei einer Mannschaft angeboten bekommen.

Ich bin da auch ein wenig überrascht, dass sich das noch nicht geändert hat. Von mir war es eine bewusste Entscheidung für die Medien zu arbeiten und nicht ständig die Seiten zu wechseln. Der Beruf des Experten ist, wenn man richtig vorbereitet sein will, durchaus ein "Fulltime Job".

Für Sie vor allem in den letzten Wochen und auch jetzt während der EM. Sie dürften der meistbeschäftigte Experte im deutschsprachigen Raum während des Turniers sein. In Deutschland sind Sie für RTL im Einsatz, in Österreich für ServusTV

Ich bin für alle 22 Spieltage gebucht, 17 Mal bei ServusTV und 5 Mal bei RTL. Dafür bin in sehr dankbar. Aber das ist auch richtig viel Arbeit. Oft sitze ich bis in die Nacht, schaue mir die Kader, die letzten Spiele und die Spielsysteme der Mannschaften an. Das ist einerseits schön, andererseits weiß ich auch, dass die kommenden Wochen eine harte Zeit für mich werden. Viele denken, man setzt sich als Experte einfach ins Studio und erzählt ein bisschen. Das war noch nie mein Anspruch. Ich versuche so wenig wie möglich Phrasen zu dreschen und stattdessen so viele Mehrwerte und Inhalte wie möglich zu liefern. Da gehört es dazu, nicht nur die Mannschaften zu kennen, sondern auch viele Spiele gesehen zu haben.

Ich versuche so wenig wie möglich Phrasen zu dreschen und stattdessen so viele Mehrwerte und Inhalte wie möglich zu liefern. 


Sie waren zuletzt im Einsatz beim Finale von Champions-, Europa- und Conference League und das länderübergreifend für RTL und ServusTV. Jetzt kommen viele Einsätze bei der EM. Vermissen Sie es nicht, ein großes Spiel einfach auch mal von der Couch aus zu sehen?

Dafür liebe ich den Job zu sehr. Ich hoffe das spürt man auch, gerade wenn die deutschen Mannschaften in der Europa League weit gekommen sind. Ich war ein emotionaler Spieler und bin ein emotionaler Experte, mit Bayer Leverkusen wäre ich in dieser Saison zum Abschluss gerne nochmal "Europa-League-Sieger" geworden (lacht). Gerade die letzten sechs Jahre haben bei RTL und Nitro viel Spaß gemacht, auch weil die deutschen Mannschaften international fast immer sehr erfolgreich waren.

Ihr Vertrag bei RTL läuft aus, ServusTV hat ab der kommenden Saison keine Champions League mehr. In der neuen Saison wird also auch für Sie einiges neu?

Ich arbeite seit fast zehn Jahren für die DFL als Co-Kommentar und begleite die Partien für internationale Zuschauerinnen und Zuschauer. Mein englisch ist nicht perfekt, aber gut genug, um den Klassiker Bayern gegen Dortmund fachlich sauber zu analysieren. Es wird also nicht alles neu. Aber es werden ab der kommenden Saison sicher interessante Aufgaben hinzukommen, gern würde ich wieder mehr in Richtung Premier League machen.

Gibt’s für Sie Unterschiede in der Herangehensweise bei der EM? Bei ServusTV agieren Sie gemeinsam mit Jan Åge Fjørtoft als Experte im Studio, bei RTL sind Sie an der Seite von Marco Hagemann Co-Kommentator.

Es sind eigentlich zwei verschiedene Jobs. Grundsätzlich ist die Vorbereitung ähnlich, weil ich immer beide Mannschaften im Detail analysiere. Da bekomme ich einerseits Unterlagen von den Sendern, recherchiere aber auch viel selbst. Ich schaue oft bei transfermarkt.de, weil es dort wirklich alle Basics wie Kader, Namen und die letzten Aufstellungen gibt. Als Experte beobachte ich, notiere die Spielszenen und gehe dann in die Analyse. Als Kommentator muss dagegen ich sofort das Live-Bild bewerten und dann wissen: Ist das ein Elfmeter oder nicht? Der Kommentar ist viel fokussierter auf den aktuellen Spielverlauf.

Steffen Freund und Marco Hagemann © privat Bei RTL kommentiert Steffen Freund regelmäßig an der Seite von Marco Hagemann

Können Sie das anhand eines Beispiels nochmal konkretisieren?

Wenn ich von einer Vierer- oder Fünferkette spreche, suche ich mir den Moment aus, in dem der rechte Außenverteidiger zum Beispiel in die Fünferkette rückt und Zuschauerinnen und Zuschauer das dann auch sehen können. Auch zwischen Marco und mir gibt es eine klare Richtlinie. Ich bin der Co, er leitet durch den Kommentar. Mein Schwerpunkt liegt da oft auf den Zeitlupen und in den Analysen, das muss schnell gehen und im Idealfall sollte ich auch richtig liegen. Als Experte schaue ich erst gemeinsam mit den Kollegen das Spiel und wir suchen Szenen zusammen aus. Da weiß ich schon im Voraus, was in der Sendung auf mich zukommt. Grundsätzlich versuche ich als Experte und als Co-Kommentator immer darauf zu achten, alle mitzunehmen. Also auch die große Masse der Zuschauer, die das Spiel mit Begeisterung schaut, aber eben keine "Hardcore Fußballnerds" sind.

Aber es werden ab der kommenden Saison sicher interessante Aufgaben hinzukommen, gern würde ich wieder mehr in Richtung Premier League machen.


Gibt’s Unterschiede beim Publikum zwischen Deutschland und Österreich? Dass Sie als Deutscher bei einem österreichischen Sender arbeiten, ist ja auch nicht selbstverständlich.

Hohe Ansprüche haben die Menschen in beiden Ländern, weil alle natürlich auch selbst Trainer sind (lacht). Bei ServusTV haben wir eine ganz andere Philosophie im Studio und das ist ganz explizit von Sportchef Christian Nehiba so gewollt.

Die Übertragungen bei ServusTV haben immer auch ein gewisses Show-Element. 

Jan und ich haben eine komplett unterschiedliche Herangehensweise. Jan Åge ist immer ein bisschen provokant und fordert mich heraus. Ich komme aus meiner Position als Fußballlehrer und halte dagegen. Oft reiben wir uns aneinander oder sind wir auch komplett unterschiedlicher Meinung. Es ist nie langweilig und das macht die Sendung bis zu einem gewissen Punkt unvorhersehbar. Wir machen das aber alles mit großer Freude und für die Zuschauer ist das sehr unterhaltend. Wenn es dann zu den Mannschaften geht, sind wir aber natürlich trotzdem gefordert, präzise Analysen zu liefern.

Steffen Freund und Jan Åge Fjørtoft © ServusTV/Philipp Carl Riedl In Österreich ist Steffen Freund bei ServusTV an der Seite von Jan Åge Fjørtoft als Experte aktiv

Was muss ein Experte aus Ihrer Sicht mitbringen? Inzwischen gibt es - im Gegensatz zu früher - eine ganze Schwemme an Personen, die von Sendern oder Streamern engagiert werden.

Ich denke, es schadet nicht wenn Experten den Fußball-Lehrer, also die Trainerlizenz, gemacht haben oder zumindest auf höchstem Niveau gespielt haben. Aber Experte ist halt kein Lehrberuf (lacht). Dieter Gruschwitz hat mich damals ausgewählt, weil ich in England gespielt und auch schon ein paar Titel gewonnen hatte. Ich bin für die Nationalmannschaft aufgelaufen und hatte viel Erfahrung. So kam der Kontakt damals mit dem ZDF zustande. Heute ist das alles etwas einfacher.

Man darf die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause nicht überfrachten. 


Das Interesse der Menschen an großen Turnieren ist nochmal größer als beim klassischen Klubfußball. Auch Sie erhalten in den kommenden Wochen vermutlich vermehrt Zuschriften, positive wie negative. Wie gehen Sie damit um? Verfolgen Sie die Kommentare in den sozialen Netzwerken? Oder journalistische Analysen über Ihre Leistungen? Oder blenden Sie das alles aus?

Das Allerwichtigste ist, dass es dem Zuschauer gefällt und das werten die Sender ja sehr genau aus. Allen kann man es eh nicht recht machen, deshalb darf man das Feedback von Einzelnen nicht überbewerten. Natürlich habe ich in den Jahren auch mal Fehler gemacht und Shitstorms erlebt. Grundsätzlich finde ich es aber wichtig, nicht alles was auf Social Media erscheint, sofort eins zu eins zu übernehmen.

Sie schauen also nicht, wie Ihre Leistungen in den sozialen Netzwerken bewertet werden?

Nein. Dazu ist die Diskussionskultur in sozialen Medien, speziell bei X, nicht geeignet. Da wird zu oft nur gepöbelt und persönlich beleidigt. Deshalb schaue mir auch die Kommentare kaum an. Das würde mir im Zweifel auch gar nicht helfen. Ich muss da eine Balance finden und will mich mit den Personen austauschen, die einen professionellen Blick auf den Job haben oder mit denen ich zusammenarbeite.

Was würden Sie sagen: Worauf kommt es beim Co-Kommentieren am meisten an? Müssen Sie wirklich immer unter Strom sein oder gibt es auch die Kunst des Schweigens?

Marco und ich haben während eines Spiels immer Ruhepausen, die sind ganz wichtig. Meist ist das dann, wenn die Fans singen oder wenn wir viel und intensiv hintereinander gesprochen haben. Ich denke, dass Marco und ich ein gutes Gespür dafür haben, das Stadion und die Fans wirken zu lassen. Viele Kommentatoren unterschätzen das: Man darf die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause nicht überfrachten.

Vielen Dank für das Gespräch!