"I Know Your Soul", Bosnien-Herzegowina

Falls sich ein Kind das Leben nimmt, ist es die größte aller Tragödien. In Sarajewo weckt sie obendrein Erinnerungen an 1991, als Bosnien zum blutigsten Schlachtfeld der europäischen Nachkriegszeit wurde. Und wenn der Junge in einer Serie von Jasmila Žbanić Suizid begeht, deren Srebrenica-Film "Quo Vadis, Aida?" 2020 mit Preisen überhäuft wurde, muss es sich dabei doch um ein Drama im Schatten des Massakers handeln. Von wegen.

Emir springt vom Dach, weil er an einer normalen Schule von normalen Teenagern gemobbt wurde. Als die frisch geschiedene Staatsanwältin Nevena (Jasna Ðuricic) nach den Ursachen sucht, gerät sie in ein gewalttätiges Netz, das wenig mit dem Bosnienkrieg, aber viel mit der Mentalität dahinter zu tun haben: Misogynie, Machismo, Misstrauen und eine tief verwurzelte Wut auf alles, was von oben kommt.

Sechs Stunden lang schicken drei Regisseure um Alen Drljević ihre Hauptfigur durchs versehrte Land im Griff organisierter Kriminalität, das Flammen mit Feuer löscht und Jugendliche wie Nevenas Sohn Dino (Lazar Dragojević) kreiert, der in Emirs Tod verwickelt zu sein scheint. Im Sound seiner brutalen Rap-Texte zeigt "I Know Your Soul" damit eindrucksvoll, was Kriege hinterlassen. Und wie großartig selbst kleine Filmnationen damit umgehen.

6 x 50 Minuten, Arte-Mediathek

"Sowjet Jeans", Lettland

Die Welt von Renárs (Karlis Arnolds Avots) ist verriegelt, aber porös. Auf dem Gipfel des Kalten Krieges verdient sich der junge Kostümbildner am Rigaer Staatstheater etwas dazu, indem er Litauens Bevölkerung mit Westware versorgt. Jeans vor allem – für die Sowjetrepublik offenbar bedrohlicher als Pershing 2. Weil er dem KGB als IM dient, lässt das Regime den Spitzel allerdings in Ruhe.

Bis ihn der Führungsagent Maris (Igor Šelegovskis) 1979 auf seinen Schwarm, die finnische Gastregisseurin Tina (Aamu Milonoff), ansetzt. Zwischen Liebe und Pflicht, Solidarität und Selbstschutz zerrissen, zieht sich die Schlinge um Renárs Hals zu. Ein ebenso zynischer wie typischer Zwiespalt in Diktaturen, die das Vertrauen der Menschen gezielt untergraben. Wie gut, dass Staņislavs Tokalovs dieses Drama nach eigenem Drehbuch so tragikomisch erzählt.

Wie es abläuft, darüber kann man dank des überraschenden Twists in der zweiten von acht Folgen nichts verraten. Nur so viel: Der Regisseur mischt "Einer flog übers Kuckucksnest" mit "Das Leben der Anderen" und kreiert damit eine hinreißend ausgestattete Politgroteske, die gleichsam ernst und heiter von der Absurdität autoritärer Systeme erzählt. Ein Phänomen, dass unser Lachen 46 Jahre später im Hals erstickt.

8 x 55 Minuten, Arte-Mediathek

"Whisky on the Rocks", Schweden

Fast zeitgleich, nur westlich des Eisernen Vorhangs, erzählt die Disney-Serie "Whisky on the Rocks" vom Aberwitz der Tyrannei. Wie "Sowjet Jeans" auf Basis wahrer Ereignisse, strandet ein russisches U-Boot darin 1981 vor Karlskrona und löst damit beinahe den dritten Weltkrieg aus. Wie Staņislavs Tokalovs entscheidet sich allerdings auch Björn Steins für eine Politgroteske – nur noch politischer, vor allem jedoch: grotesker.

Während Schwedens bäuerlicher Premier Fälldin (Rolf Lassgård) zwischen den Großmacht-Dilettanten Breschnew (Kestutis Stasys Jakstas) und Reagan (Mark Noble) vermittelt, nehmen ihre Sekretärinnen das Heft des Handelns in die Hände und erhalten gemeinsam mit zwei schwedischen Fischern den Weltfrieden. In einer Zeit, die erneut am Rand globaler Konflikte irrlichtert, wirkt der komödiantische Ansatz ungeheuer entlastend.

Damit befindet er sich in guter Gesellschaft legendärer Antikriegssatiren wie Stanley Kubricks "Dr. Seltsam", Barry Levinsons "Wag the Dog" oder Charlie Chaplins "Großer Diktator". Für deren Tiefgang sind die Pointen und Figuren vermutlich ein Stück weit zu bizarr. Gerade in ihrer Überzeichnung allerdings wirken sie wie ein Antidepressivum und erklären uns in fünfteiliger Kürze obendrein klug den Ost-West-Konflikt.

5x40 Minuten, Disney+

"La Palma", Norwegen

Seit der Männermachtdemonstration "Exit" weiß alle Welt, dass Norwegen nationale Fiktionen von globalem Format beherrscht. "Desaster Movies" hätte man indes weniger erwartet. Schon gar keine über Vulkanausbrüche Abertausend Kilometer südlich. Als Jennifer (Ingrid Bolsø Berdal) und Frederik (Anders Baasmo Christiansen) mit Kindern auf die Kanareninsel La Palma fliegen, deutet sich daher auch eher ein Familiendrama der zerrütteten Ehe an.

Das ändert sich erst als die Geologin Marie (Thea Sofie Loch Næss) Hinweise auf eine Eruption mit anschließendem Tsunami kriegt und – wie in Katastrophenfilmen üblich – gegen wirtschaftspolitische Bedenken Richtung Wüste ruft. Dass sich "La Palma", wie der Vierteiler trocken heißt, davon unterscheidet, liegt am Spannungsaufbau. Anders als seismische Thriller andernorts nimmt sich Regisseur Martin Sundland ungewöhnlich viel Zeit fürs Personal.

Dem geht es vorm Überleben nämlich zunächst mal ums Leben selbst. Besonders Maries Tochter Sara (Alma Günther), die ausgerechnet im Angesicht des Untergangs ihr Coming-Out hat. Dass "La Palma" zum Ende hin schon mal in genreübliche Rettungsstereotypen verfällt und mitunter etwas seifig gerät – egal. Insgesamt hebt sich Netflix wohltuend vom desaströsen Mainstream ab.

4x60 Minuten, Netflix

"Die Glaskuppel", Schweden

Ritualkiller kommen in der Realität nicht viel häufiger vor als Tsunamis. im Krimi haben sie dagegen ungefähr eine Frequenz einfacher Diebstahlsdelikte. Wenn die schwedische Bestseller-Autorin Camilla Läckberg ("Fjällbacka") ihren Thriller "Die Glaskuppel" um verschwundene Mädchen in Schwedens Provinz zur Netflix-Serie umschreibt, gibt es darin jedoch ein paar sehenswerte Besonderheiten.

Die routinierte, aber nicht abgebrühte Polizei-Analytikerin Lejla (Léonie Vincent) war nämlich einst selbst Opfer eines Unbekannten, der sie als Kind unter einer Glaskuppel gefangen hielt. Als sich die Geschichte bei der Rückkehr in die alte Heimat wiederholt, beginnt sie gemeinsam mit ihrem Pflegevater (Johan Hedenberg) zu ermitteln und stößt auf Geheimnisse der Daheimgebliebenen. So weit, so gewöhnlich.

Interessant werden die sechs Folgen allerdings dadurch, wie tief wir in die Seele einer persönlich betroffenen Ermittlerin blicken, die offenbar weit weniger Traumata mit sich herumschleppt als alle Tatverdächtigen. Und das setzen Henrik Björn und Lisa Farzaneh (zumindest bis kurz vorm Showdown) erfrischend klischeefrei und permanent packend in Szene.

6x45 Minuten, Netflix

"Eingelocht", Frankreich

Dass wahrhaft Großes im Kleinen entsteht, mag in der Realität nur eine Binsenweisheit sein. In der Fiktion ist es die Grundlage anspruchsvollen Fernsehens jenseits optischer Schauwerte. Und selten kam sie besser zur Geltung als bei "Eingelocht" – einer großartigen Serie auf Arte, die vom denkbar winzigsten Volkssport handelt. Der französische Regisseur Maxime Chamoux schickt seine Landsleute nämlich auf den Minigolfplatz.

Sechs Viertelstunden spielen wechselnde Paarungen dabei um Arbeitsplätze, Spenderorgane, Anerkennung, Liebe. Und stets sucht Autor Sylvain Gouverneur auf den 18 Betonbahnen die Gesellschaft im Ganzen, ihre Höhen und Tiefen, das Leben an sich. Und das ist von einer dringlichen Schwerelosigkeit, die ansonsten nur Regisseure wie David Schalko zustande bringen. Wobei die Serie komplett auf Pointen verzichtet.

Der Humor entsteht inmitten der Absurdität alltäglicher Konflikte ganz gewöhnlich bizarrer Menschen. Im Dunkelfeld menschlicher Kommunikation gewissermaßen, wo zwischen Mitgefühl und Missverständnis oft nur ein falscher Abschlag liegt. Schade nur, dass "Eingelocht" so schnell vorüber ist. Hier wäre ein klein wenig größer definitiv besser gewesen.

6x15 Minuten, Arte-Mediathek