Der Umgang mit dem Thema Vergewaltigung in Serien ist in den vergangenen Jahren oft kritisiert worden. Denn es geht in den meisten Fällen nicht um das Thema an sich und welche Folgen es für die Betroffenen hat - sondern es wird als Werkzeug eingesetzt. Entweder soll damit eine Handlung vorangebracht werden (sehr beliebt in Ermittlerserien), oder es wird bei einer Figur als Trauma aus ihrer Vergangenheit eingesetzt, um bestimmte Charaktereigenschaften (Wut! Traurigkeit! Unnahbarkeit!) plausibel zu machen. In "Apple Tree Yard" dagegen ist das Thema Vergewaltigung keine Randerscheinung. Nein, hier steht das Thema im Mittelpunkt und wird von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.

Es geht um eine Frau, die vergewaltigt wird. Und zwar eine Frau aus der Mitte der Gesellschaft: Dr. Yvonne Carmichael. Sie ist eine renommierte Wissenschaftlerin, verheiratet, Ende Vierzig, hat zwei erwachsene Kinder. In vier beklemmenden Episoden zeigt die BBC-Serie, wie sehr Yvonne Carmichael unter dem Trauma leidet, wie sich ihr Leben verändert durch die brutale Tat und deren Folgen. Und nicht nur ihr Leben - auch das der Menschen um sie herum. Sie zeigt, wie schwierig die eigentlich simple Frage "Warum ist sie nicht zur Polizei gegangen?" ist, die Nicht-Betroffene danach oft stellen. Sie zeigt, wie schwer es das britische Rechtssystem Vergewaltigungsopfern macht. Und wie schwierig es sein kann, gegen Vorurteile anzukommen - auch die eigenen. 

Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Buch der britischen Autorin Louise Doughty. Die Vorlage liefert zweifellos ein packendes Psychodrama. Doch erst die Hauptdarstellerin Emily Watson macht es zu der sehenswerten Serie, die "Apple Tree Yard" geworden ist. Wie Watson ihre Mimik, ihre Gestik oder auch nur ihre Körperspannung einsetzt, das allein trägt ganze Szenen. Sie schafft es, das Publikum mitleiden zu lassen, das Publikum teilhaben zu lassen an dem, was in ihrer Figur vorgeht - auch in der Vergewaltigungsszene, die durch Watsons Schauspiel kombiniert mit der guten Regie-Arbeit bemerkenswert geworden ist. Bemerkenswert deswegen, weil hier zwar wenig zu sehen ist, die Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst und Verzweifelung, die Yvonne Carmichael in dieser Situation spürt, dennoch sehr gut transportiert werden.

"Apple Tree Yard" ist keine perfekte Serie, am Ende von Folge 4, wenn man nach packenden 231 Minuten ausschaltet und über das Gesehene nachdenkt, stellt man ein paar Inkonsistenzen fest, die hier aus Spoilergründen nicht näher erläutert werden können. Aber das, was Regisseurin Jessica Hobbs, Drehbuchautorin Amanda Coe und Hauptdarstellerin Emily Watson zum Thema Trauma und Vergewaltigung hier abgeliefert haben, ist beispiellos und läutet hoffentlich einen angemesseneren Umgang mit dem Thema ein. 

Die Autorin der Buchvorlage hat übrigens vor kurzem angekündigt, dass sie an einer Fortsetzung des Romans arbeitet, in der sie sich auf eine andere Figur konzentrieren will. Die britischen Medien spekulieren nun bereits über eine Fortsetzung der TV-Serie, doch die BBC hat sich dazu noch nicht geäußert.

"Apple Tree Yard" ist in Deutschland bisher nicht verfügbar, Arte hat im Frühjahr die Rechte erworben. Ein Datum für die Ausstrahlung steht noch nicht fest, aber wie der Sender auf Anfrage mitteilte, soll die Serie dort 2018 zu sehen sein, voraussichtlich im ersten Halbjahr.

Der Trailer zur DVD, die man als UK-Import auch in Deutschland kaufen kann: 

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