Dass "La Porta Rossa" keine Krimiserie wie jede andere ist, wird gleich zu Beginn der ersten Folge klar: Die Hauptfigur, Kommissar Leonardo Cagliostro, nimmt einen Tatort in Augenschein. Auf dem Dach eines alten Industriegebäudes am Stadtrand liegt ein Toter, offensichtlich kurz zuvor erschossen. Als die Kamera den Blick auf beide Gesichter freigibt, erkennen wir, dass Cagliostro selbst der Tote ist. Der Kommissar sieht seine eigene Leiche vor sich liegen, während die herbeieilenden Kollegen nur den toten Cagliostro sehen können.

So weit, so rätselhaft. Was sich aus dem Auftakt entfaltet, ist ein spannender Genre-Mix zwischen klassischer polizeilicher Mordermittlung, raffiniertem Verschwörungsthriller, gefühlvollem Melodram und übernatürlicher Mystery-Komponente. Carlo Lucarelli und Giampiero Rigosi, die Creator und Autoren von "La Porta Rossa", haben einen außergewöhnichen, durchaus innovativen Zugang gefunden, der beim Zuschauer ebenso viel binge-würdige Spannung erzeugt, wie er Fragen weit über den Krimiplot hinaus aufwirft.

TV-Serien aus Italien haben in letzter Zeit vermehrt für internationale Begeisterung gesorgt. Ob "Gomorrah", "1992" oder "The Young Pope" – die Perlen stammten dabei stets von Sky Italia, also aus dem Pay-TV. Derweil setzten die Free-TV-Sender in Rom und Mailand ihre Tradition der großen, massentauglichen, gut funktionierenden, aber weitgehend unspektakulären Primetime-Serien fort. Bis die öffentlich-rechtliche Rai im Herbst 2016 erstmals einen Sendeplatz für eigenproduzierte Fiction in ihrem kleineren, jüngeren Programm Rai 2 öffnete, wo sonst vor allem die einschlägigen US-Crime-Serien laufen. Deutlich komplexer und düsterer darf dort erzählt werden, so die Vorgabe.

Lucarelli und Rigosi nutzen das neue Spielfeld im kongenialen Zusammenspiel mit ihrem Regisseur Carmine Elia weidlich aus. Düster und komplex ist es in den zwölf Folgen von "La Porta Rossa" oft, und es regnet auch ziemlich viel in der norditalienischen Hafenstadt Triest, wo die Serie spielt. Cagliostro – von Lino Guanciale ("To Rome With Love") eindringlich verkörpert – ist während einer Razzia im mutmaßlichen Versteck einer kriminellen Organisation hinterrücks erschossen worden, so dass er seinen Mörder nicht sehen konnte. Vor ihm erscheint die titelgebende rote Tür, hinter der gleißend helles Licht den endgültigen Weg ins Jenseits verheißt. Doch Cagliostro geht nicht hindurch, weil er eine schreckliche Vision hat: Er sieht, wie seine Frau Anna (Gabriella Pession) in naher Zukunft von einer Person mit verdecktem Gesicht ermordet wird, und weiß intuitiv, dass es sich um denselben Täter handelt.

Ehe er also das Diesseits für immer verlassen kann, muss er den Killer finden, um Annas Leben zu retten. Sein neuer Zustand zwischen Leben und Tod ist für den Kommissar zunächst schwer zu fassen. Er kann die Menschen in seiner Umgebung, ihre Gefühle und Geheimnisse auf einmal anders wahrnehmen und verstehen. Obwohl er seit einigen Monaten von Anna getrennt war, wird seine emotionale Bindung zu ihr durch neue Offenbarungen enger denn je. Er selbst kann mit den Lebenden nicht mehr interagieren. Aber mit Hilfe der 17-jährigen Vanessa (Valentina Romani), die sich als Medium erweist, gelingt ihm die Kommunikation. Das ungewöhnliche Duo macht sich daran, den Fall zu lösen. Gleichzeitig lernt Cagliostro nicht nur Freund und Feind zu unterscheiden, sondern begreift auch die Fehler seines eigenen Lebens.

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Mit einer solchen Storyline und einer so ambitionierten Vermischung von Genres ist die Gefahr groß, dass am Ende ein eher künstlich wirkendes, entrücktes Produkt entsteht. "La Porta Rossa" umschifft diese Klippen erfolgreich, weil Lucarelli und Rigosi es verstehen, menschlich nachvollziehbare Emotionen in authentische, lebensnahe Dialoge zu überführen, und weil sie zu keinem Zeitpunkt den Thrill des Whodunit opfern. Elia inszeniert die Mystery-Elemente dabei so beiläufig, dass sie nicht als Selbstzweck, sondern als psychologisches Hilfsmittel für den Blick von außen daherkommen. Hervorzuheben ist auch die gefühlvolle, aber niemals erdrückende Score-Musik, die Komponist Stefano Lentini mit dem Rai-Sinfonieorchester eingespielt hat.

Der Mut zum Risiko hat sich für die Rai gelohnt. Mit durchschnittlich 3,5 Millionen Zuschauern und 14 Prozent Marktanteil konnte Rai 2 die Normalwerte seiner US-Serien mehr als verdoppeln und war während der Austrahlung im Februar und März mehrfach Italiens TV-Marktführer. Stolz ist man zudem auf Top-Marktanteile von 19 Prozent bei jungen Frauen oder 17 Prozent bei Hochschulabsolventen. Studiocanal hat den Weltvertrieb der Serie übernommen, einen Abschluss für Deutschland gibt es derzeit noch nicht. 

In Italien ist die zweite Staffel bereits in der Mache. Auch wenn "Made in Europe" keine Spoiler enthält, kann man wohl guten Gewissens sagen, dass am Ende der ersten Staffel noch zu viele Fragen offen sind, als dass Cagliostro durch die rote Tür gehen würde. "In fondo la verità è una sola: la fine non esiste", twitterte Rai 2 zum Finale. "Eigentlich lautet die einzige Wahrheit: Es gibt kein Ende."