Es passiert nicht oft, aber immer wenn ein vermeintliches Blutwunder entdeckt wird, also eine Heiligenfigur oder ein Bildnis Christi mit blutungsähnlichen Erscheinungen, dann geraten sowohl katholische Gläubige als auch findige Geschäftemacher in Verzückung. So mancher Wallfahrtsort ist im Laufe der Jahrhunderte auf diese Weise entstanden.

Was passiert, wenn ein solches Phänomen mitten in unsere aufgeklärte Moderne hereinplatzt? Niccolò Ammaniti, gefeierter italienischer Schriftsteller und Drehbuchautor, spielt die Frage in seinem achtteiligen Mystery-Thriller durch. Und zwar mit einem so raffinierten Rhythmus aus fesselnder Spannung, schwarzem Humor und greifbarer Nähe zu den Hauptfiguren, dass man als Zuschauer schon bald nicht mehr weiß, was und wem man eigentlich glauben soll.

Als bei einer Razzia gegen einen Mafiapaten eine Marienstatue gefunden wird, die unaufhörlich Blut weint, nimmt das Schicksal seinen Lauf und führt Menschen aus völlig verschiedenen Welten zusammen. Vertreter der Kirche ist ausgerechnet ein Mann, der am Rande der Legalität lebt: der spielsüchtige Pater Marcello (Tommaso Ragno), ein Ausgestoßener, der es vor allem mit Drogenabhängigen und Prostituierten zu tun hat. Vom anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums, aus der Welt der Politik, kommt Italiens Ministerpräsident Pietromarchi (Guido Caprino), ein Machtmensch, der die Regierungsgeschäfte stets über seine eigene Familie stellt und der sich selbst als ungläubig bezeichnet.

Für die Ermittlungsbehörden steht Volta (Sergio Albelli), der General der Carabinieri, der die Statue unter Verschluss hält und nur den Regierungschef einweiht. Die Welt der Wissenschaft schließlich vertritt die Biologin Sandra Roversi (Alba Rohrwacher), die den Fall im Geheimversteck untersucht und tatsächlich echtes Menschenblut mit männlicher DNA diagnostiziert.

Während die weinende Madonna diesen eingeweihten Kreis beschäftigt, steckt Italien – oh Wunder – in einer heiklen politischen Phase. Ein Referendum über den Verbleib des Landes in der Europäischen Union steht unmittelbar bevor, Pietromarchis politisches Schicksal ist damit verknüpft. Doch schon bald scheint sein Schicksal mindestens ebenso eng mit der wunderhaften Statue verbunden. Für ihn beginnt eine innere Umwälzung, eine geradezu spirituelle Erweckung, die sich auch in der Auseinandersetzung mit den Vertretern der anderen Welten manifestiert. Sie alle werden wie von einer Gravitation von der Ikone angezogen.

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Pater Marcello entpuppt sich als alter Freund des Ministerpräsidenten. Er wird einberufen, um seine Einschätzung aus Glaubenssicht abzugeben. Biologin Sandra bleibt nicht lange die scheinbar neutrale Wissenschaftlerin, sondern wird sehr persönlich in das Wunder verwickelt. Sie hat ihre todkranke, im Koma liegende Mutter zu pflegen und versucht daher heimlich, etwas Blut aus der Madonna für eine Wunderbehandlung abzuzweigen. Es gehört zum Reiz von "Il Miracolo", dass keine der Figuren so bleibt, wie wir sie am Anfang kennenlernen. Im Angesicht des Wunders begleiten wir sie durch mitunter extreme Wandlungen.

Zu Beginn einer jeden Episode reißt Ammaniti in traumähnlicher Atmosphäre eine Geschichte aus der Vergangenheit an, die scheinbar unzusammenhängend neben der Haupthandlung steht, aber nach und nach zur Erklärung des Wunders beitragen könnte, indem sie eine Welt der Gewalt und Brutalität schildert, der alttestamentarischen Geschichte von Abraham und Isaak nicht unähnlich. Einerseits spielt Ammaniti gekonnt mit biblischen Zitaten, andererseits enthält er sich jeglicher dogmatischer Wertung oder Einordnung. Meisterhaft fügt er die Schicksale seiner Protagonisten in ein komplexes Mosaik ein, das jeden von ihnen autonom wirken lässt, beim genaueren Hinsehen dann aber doch wie durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden.

Ästhetisch überzeugt die Koproduktion der beiden FremantleMedia-Töchter Wildside aus Italien ("The Young Pope") und Kwaï aus Frankreich ("Baron Noir") mit einer glänzenden Oberfläche, etwa dem malerisch fotografierten Rom zur romantischen Musik von Jimmy Fontana. Von dort kostet Ammaniti, der sich die Regiearbeit mit Francesco Munzi und Lucio Pellegrini geteilt hat, die Fallhöhe zu den Untiefen seiner Mikrokosmen und den Auswirkungen des paranormalen Phänomens genüsslich aus. Bei Europas größtem Serienfestival, der Séries Mania in Lille, wurde "Il Miracolo" Anfang Mai mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet, Tommaso Ragno erhielt den Preis als bester Schauspieler für die Darstellung von Pater Marcello. Der Achtteiler lief im Mai auf Sky Italia und wird hierzulande voraussichtlich Anfang 2019 bei Arte zu sehen sein.