"Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitten Sie um ihre Aufmerksamkeit für einige wichtige Sicherheitshinweise: Wenn sie etwas in die Fächer über den Sitzen verstauen, achten Sie darauf, dass es nicht herausfallen kann. Und wenn der Pilot den Fehler machen sollte, in die Richtung zu fliegen, in der die Sonne aufgeht, sterben wir alle." Viel prägnanter lässt sich die belgische Thriller-Sci-Fi-Serie "Into the Night" nicht zusammenfassen, in der ein bekanntes Endzeitszenario dafür sorgt, dass eine Handvoll Menschen Jules Vernes alte Geschichte von "In 80 Tagen um die Welt" in den Schatten stellen muss. Hier wird beinahe täglich um den Globus gejettet.

Netflix geht mit seinem Original den bekannten Weg ähnlicher Sci-Fi-Produktionen der Streamingplattformen: Der übernatürliche Kick wird immer wieder angedeutet, aber nie ausgebaut oder gar erklärt. Wer bereits auf teasende Serien wie "Lost" sauer war, weil dort mehr Fragezeichen aufgeworfen wurden, als Antworten gegeben, sollte hier erst gar nicht einsteigen. Nicht nur wegen der Logikfehler auf der übernatürlichen Ebene, sondern auch wegen der Plotlöcher auf wissenschaftlicher Augenhöhe.

Es fängt bereits damit an, dass sich der Nato-Offizier Terenzio Gallo (Stefano Cassetti) innerhalb weniger Minuten die Waffe eines am Flughafen patrouillierenden Brüssler Polizisten aneignet und in ein Flugzeug stürmt, dass direkt abheben kann, nachdem er gedroht hat. Niemand hat sich ihm überhaupt in den Weg gestellt, was arg über die allgemeine Sicherheit am Brüssler Flughafen nachdenken lässt. Es geht direkt weiter: Eine Helikopter-Pilotin meldet sich freiwillig, das Linienflugzeug fliegen zu können. Dieses Detail ist bereits ein bisschen nerdiger, würde in der Realität jedoch selten auf Anhieb gut gehen.

"Into the Night" macht es dem Zuschauer glücklicherweise leicht, über diese inhaltlichen Schnitzer hinwegzusehen. Dafür wurden die Charaktere, die im Grunde reihenweise falsche Entscheidungen treffen, zu empathisch inszeniert – es geht um sie und ihr Schicksal im Rahmen des Armaggedons, nicht darum, physikalisch und technisch eine Masterarbeit zu entwerfen. Sie alle müssen "Into the Night" fliegen, um der Sonne zu entkommen, die plötzlich dafür sorgt, dass Menschen nicht nur gefährlich braun werden.

Das Flugzeug darf auf seiner Reise also nur dort landen, wo gerade Nacht ist und auch nur, um zu tanken und Proviant aufzustocken. Zeitgleich muss daran gearbeitet werden, eine etwas dauerhaftere Lösung zu finden, als auf ewig um die Welt zu fliegen, um sich vor der Sonne zu verstecken. In der engen Flugzeugkabine entsteht dadurch ein Kammerspiel um Macht, Verzweiflung und der Suche nach der Wahrheit.

Showrunner Jason George, der für diese Serie vom Roman "The Old Axolotl" von Jacek Dukaj inspiriert wurde, schaff es dabei auf beeindruckende Weise zu zeigen, dass selbst in solch einem Endzeitszenario nicht die eigentliche Bedrohung zum gemeinsamen Feind ernannt wird, sondern das keine Situation ausgelassen wird, in der man nicht seinen Mitmenschen für Fehler verantwortlich macht oder ihm einfach nicht vertraut. "Into the Night" dröselt das menschliche Wesen auf, das unter Schlafentzug und unendlichem Jetlag so schön fragil wird, dass die insgesamt sechs Episoden alles andere als langweilig werden.

Netflix profitiert sicherlich auch von der aktuellen Situation. Nachdem die gesamte Weltbevölkerung, bis auf wenige Außnahmen, monatelang keinen Flieger besteigen durfte, fühlt sich der Einstieg "Into the Night" wie ein langvergessenes Durchatmen an – immerhin in den ersten Minuten der Serie. Dann schwingt das freudige Gefühl, seriell in den Urlaub zu fliegen, in den immer fester werdenden Gedanken um, dass der Vorsatz, der Umwelt zuliebe etwas weniger in die Lüfte zu steigen, gar kein schlechter ist. Das belgische Original unterhält somit nicht nur mit packenden Erzählmechanismen, sondern auch mit der Verknüpfung aktueller Themen. Eine dystopische Serie, bei der nicht gesagt werden kann, ob sie 2020 nicht auch noch Realität wird.

Die erste Staffel von "Into the Night" kann derzeit bei Netflix gestreamt werden.