Es gibt wohl kaum einen anderen Ort auf dieser Welt, an dem sich Feuer und Eis so faszinierend nahekommen wie in Island. Das begeistert einerseits Touristen, die Geysire beobachten und in der Blauen Lagune baden. Das kann andererseits gefährlich werden, wenn einer der mehr als 30 aktiven Vulkane ausbricht und seine Lava über die Gletscher ergießt. Katla ist der zweitgrößte Vulkan der Insel, größtenteils vom Plateaugletscher Myrdalsjökull überdeckt und daher in seiner Aktivität schwer zu beobachten. Das Zusammentreffen von Eis und Magma hat in den letzten tausend Jahren etwa zwanzig Mal für besonders explosive Eruptionen gesorgt, zuletzt 1918.

Jetzt ist Katla zur titelgebenden Bedrohung einer SciFi-Mystery-Serie geworden, des ersten isländischen Netflix Originals. Sie spielt in der Kleinstadt Vik, die ein Jahr nach dem gewaltigen Ausbruch des nahe gelegenen Vulkans wie eine apokalyptische Zone erscheint. Die meisten Menschen wurden evakuiert; die wenigen, die geblieben sind, helfen sich nach Kräften gegenseitig aus. Während das Eis langsam zu schmelzen beginnt, kommt etwas zum Vorschein, das mit menschlicher Vorstellungskraft nur schwer fassbar ist. "Les Revenants" lassen grüßen.

Dem isländischen Filmemacher Baltasar Kormákur ("Everest", "Trapped") gelingt eine faszinierende Mischung aus ein bisschen Klima-Kritik und sehr viel nordischer Mystik. Der nah am Polarkreis gelegene Inselstaat kennt seit Jahrhunderten ein reichhaltiges Portfolio an Sagengestalten, von Generation zu Generation überliefert. Eine besondere Rolle spielen dabei sogenannte Gestaltwandler, Angehörige eines verborgenen Volks, die entweder als Schutzengel oder als Vorboten des Todes in Erscheinung treten können. In "Katla" ist es an der mythologiefesten Pensionswirtin Bergrún, diese Erklärung zu vertreten, als nach und nach immer mehr von Asche bedeckte Doppelgänger auf dem Gletscher auftauchen – zuerst Gunhild, die ungealterte Version einer Schwedin, die vor 20 Jahren mal in Vik lebte, dann weitere Personen aus dem Ort, die entweder tot oder sehr krank waren.

Das erinnert mehr als nur ein wenig an die stilbildende französische Wiedergänger-Saga "Les Revenants". Was "Katla" dennoch originär erscheinen lässt, ist der gänzlich andere örtliche und atmosphärische Kontext. Der Ascheregen, der die Stadt überzogen hat, reflektiert die gedrückte Stimmung der Protagonisten, die allesamt ihr Päckchen zu tragen haben: Polizist Gisli pflegt seine todkranke Frau; Geologe Darri und seine Frau Rakel trauern um ihren Sohn; das Farmer-Paar Kjartan und Grima hat eigentlich kaum noch etwas zu bewirtschaften, schafft den Absprung nach Reykjavik aber nicht, weil Grima nicht loslassen kann, nachdem sie ihre Schwester Asa beim Vulkanausbruch verloren hat. Die tiefer liegenden Konflikte und Abgründe seiner Figuren deckt Kormákur langsam, aber unerbittlich im Lauf der acht Episoden auf.

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Überhaupt wird die Serie von ihrer ruhigen, um nicht zu sagen stoischen Erzählweise geprägt. Wer das aktuell vorherrschende Feuerwerk an Tempo und Dramatik in internationalen Qualitätsserien gewohnt ist, muss bei "Katla" erst einmal entschleunigen. Im Zusammenspiel mit dem heruntergeregelten Stimmungsspektrum, mit düsteren, ausgeblichenen Farben – strahlend weißen Schnee sucht man unter der Vulkanasche vergeblich – und melancholischem Sound kann das anfangs durchaus quälend wirken. Das ist erstens gewollt, um die Zuschauer in die Lage des Serienpersonals zu versetzen, und wird zweitens durch den zunehmenden Sog ausgeglichen, der Erklärung des Mysteriums näherzukommen.

Kormákur und sein Co-Creator Sigurjón Kjartansson verwenden dabei einen geschickten Kunstgriff, um die Mitratefreude des Publikums in Schach zu halten: Während Bergrún für den spirituellen Erklärungsansatz rund um Elfenvölker und Gestaltwandler zuständig ist, der angesichts des Unfassbaren nicht eben unplausibel scheint, gibt es mit Darri auch einen rationalen Gegenentwurf. Als Geologe ist es sein logischer Zugang, Gesteinsproben zu sammeln – die er nach gründlicher Analyse als außerirdische Substanzen klassifiziert. Mythologie versus Wissenschaft – so oder so bleibt die Spannung bis zum letzten Moment erhalten.

"Katla", bei Netflix