Ein Mann zwischen zwei Frauen, gelegentlich auch umgekehrt – das ist schon seit Ewigkeiteneine Grundzutat des Unterhaltungsfernsehens. Besonders hierzulande war lange Zeit praktischkein Historienmehrteiler ohne die Dreifaltigkeit der Eheanbahnung denkbar, während Schwie-germütterträume à la Hugh Grant in fast jeder Hollywood-RomCom der Neunziger- bis Nul-lerjahre die Wahl hatten. Am Ende allerdings legte er sich garantiert ebenso fest wie Felicitas Woll und Josephine Preuss im deutschen Liebesreigen der Nuller- bis Zehnerjahre. Trennung,Tränen, Verlobung, Hochzeit, Trallala – es herrschte die heteronormative Liebesglückselig-keit in Zeiten der Cholera. Wenn es doch heute noch immer so einfach wäre...

In Zeiten von Corona sind amouröse Patchwork-Konstellationen gegebenenfalls schondeshalb noch komplizierter als in der hedonistischen Wohlfühlepoche vor 9/11, weil sie statt heteronormativ schon mal bisexuell sind. Zum Beispiel in der wunderbaren BBC-Serie „Tri-gonometry“. Als das Liebespaar Keiran und Gemma in der ersten von acht Episoden zur Kos-tenreduktion eine Mitbewohnerin sucht, wächst ihre WG nämlich nicht nur um die französi-sche Synchronschwimmerin Ray, sondern das dritte Rad am Wagen einer Dreiecksbeziehung in spe.

Schon beim Bewerbungsgespräch fällt derart oft der ebenso schambesetzte wie ent-hemmende Allerweltsbegriff „Vagina“, dass die Atmosphäre von Beginn an sexuell aufgela-den ist. Und weil alle drei auch sonst sehr freizügig sind, kommen sie sich bald näher, als es die Lebensplanung der beiden Hauptmieter geböte. Schließlich macht Keiran seiner Langzeit-freundin im zweiten Teil einen Heiratsantrag, der die Gefühlslage bis zur Hochzeitsnacht am Ende des vierten prägt – nur dass sie unvermittelt zu dritt stattfindet und damit alles nur noch viel, viel, um nicht zu sagen: viel, viel, viel komplizierter macht.

Obwohl das hippe London ihrer Ménage-à-trois so liberal und divers ist wie ein quee-res Kostümfest, zu dem die neugegründete Wohngemeinschaft gleich am ersten Abend geht, schaffen es Keiran, Ray und Gemma nicht, sich den Bruch überkommener Konventionen ein-zugestehen. Knapp 45 Minuten pro Folge fressen sie ihre Zuneigung meistenteils in sich hin-ein. Alles bleibt im Ungefähren. Gefühle werden nicht geäußert, geschweige denn gelebt. Es droht der emotionale Darmverschluss. Das Maximum erotischer Enthüllung zeigt daher Ray, wenn sie Kieran und Gemma beim Masturbieren durch die WG-Wand vögeln hört.

Wobei die Kamera dabei strikt über der Gürtellinie filmt und auch sonst kaum nackte Haut zu sehen ist. Allein schon dieses Understatement macht nicht weniger als ein kleines Serienwunder aus. Eines, das die Autoren Duncan Macmillan und Effie Woods – beide ziem-lich fernsehunerfahren – klug in einer Milieustudie der turbokapitalistischen Hauptstadt des turbokapitalistischen Königreichs verweben. Ihre drei Heimlichtuer sind nicht nur vom emoti-onalen Sinnestaumel zerrüttet; mindestens ebenso setzt den Twentysomethings im Ter-minstress die leistungsorientierte Gegenwart zu.

Sein Job als Rettungssanitäter etwa laugt den empathischen Kieran physisch und psy-chisch so aus, dass er Panikattacken kriegt. Parallel dazu wird Gemmas defizitäres Café-Re-staurant zum Spekulationsobjekt städtischer Immobilienhaie. Die arbeitslose Ray gerät abseits ihrer Herzschmerzen auch noch in die Mühlen eines Bewerbungstrainings zur Flugbegleiterin. Und vom krebskranken Vater über die alkoholabhängige Schwester bis zur Jugendfreundin vorm Coming-Out haben alle zudem stattliche Baustellen im engeren Umfeld.

Umso raffinierter ist es, wie die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari, als hochbegabte Vertreterin des „new greek cinema“ Dauergast diverser Filmfestivaljurys, den Erschöpfungsprozess ihrer Hauptcharaktere in Watte packt. Abfolgen hastiger Schnitte wech-seln sich mit Momenten erstarrter Lautlosigkeit ab. Immer dort, wo Beziehungsmelodramen sonst oftmals wild drauflos quasseln, setzt Tsangari auf nonverbale Kommunikation. Wenn der Schwarze Engländer Kieran Rassismus erlebt, macht er demnach kein redseliges Fass auf,sondern lässt die klischeehafte Ghettofaust eines WG-Besuchers wortlos am weißen Arm ver-hungern. Und dass die Eltern der ebenso Schwarzen Gemma anderer Hautfarbe sind, spielt so-gar überhaupt keine Rolle.

Es ist ein Hang zur tosenden Stille, der am Anfang des fünften Teils seinen Höhepunkthat, als Gemma und Kieran in den Flitterwochen durch finnische Wälder wandern und versu-chen, den unverhofften Dreier mit Ray zu verarbeiten. „Du bist auch in sie verliebt, und ich komme genau wie du nicht damit klar, dass ich eifersüchtig und verwirrt bin“, faucht Gemma zwischen Abertausend Bäumen einsam weinend, „also können wir bitte einfach nett zueinan-der sein?“ Das können sie offenbar nur schwer. Trennung, Tränen, aber kein Trallala. Vorerst zumindest.

Denn obwohl alle drei nicht ein noch aus wissen und sich gegenseitig mehr schmerzenals gewünscht, schaffen sie es doch, im passiv-aggressiven Chaos der Gefühle Formen von Zuversicht zu finden. Und die laden definitiv zum Binge-Watching ein. Neo zeigt den Acht-teiler ja nicht nur linear am Stück, sondern auch in der Mediathek. Und wer die Originalversi-on bevorzugt: die läuft – wenngleich ohne Untertitel – bei Amazon Prime. Beides lohnt sich mindestens so wie das Ringen dieser unkonventionellen Beziehung um ein sorgloses Leben zu dritt.

"Trigonometry", abrufbar in der ZDFmediathek.