Den ersten Deutschen Filmpreis im neuen Amt nahezu reibungslos überstanden – da darf man schon mal kurz durchatmen. Zumal auch das politisch heikle Unterfangen geglückt ist, den neuen Kulturstaatsminister bei dessen erstem Filmpreis – nach zwei Tagen im Amt – ebenso klug wie gewinnend einzubinden. Es trifft sich gut, dass Martin Heisler, seit April Vorstandsvorsitzender der Deutschen Filmakademie, nach all dem Filmpreis-Trubel nun wieder mehr Augenmerk aufs eigene Unternehmen richten kann.
Denn in seinem Hauptjob steckt der Berliner Produzent mitten in der Pre-Production-Phase für ein ambitioniertes Serienprojekt. Ende Juli starten die Dreharbeiten zum Sechsteiler "Westend Girl", der eine ziemlich verrückte Geschichte erzählt: Die 19-jährige Paula, wohlbehütet aufgewachsen im Berliner Westen, muss plötzlich mit ansehen, wie ihre Eltern verhaftet werden. Ihnen wird zur Last gelegt, den größten Kokainring der Stadt zu betreiben. Bei ihrem Versuch, sie aus dem Gefängnis zu holen, dringt Paula selbst tiefer als gedacht in das lukrative Familiengeschäft ein.
Frei erfunden ist die Story nicht. So oder so ähnlich ist es vor Jahren einer Schulfreundin von Regisseurin Pola Beck ("Druck", "Tender Hearts") ergangen, die den abenteuerlich-dramatischen Stoff jetzt mit Heislers Produktionsfirma Flare Film fiktionalisiert. Richard Kropf ("Kleo") hat die Drehbücher mit einem hochkarätig besetzten Writers' Room aus Luisa Hardenberg ("Push"), Katharina Brauer ("Para – Wir sind King"), Alexander Lindh ("A Better Place") und Julian Gaupp-Maier ("How to Sell Drugs Online (Fast)") entwickelt. Stefan Schaller ("Tatort") übernimmt die andere Hälfte der Regie.

Die Tochter von Frankreichs privatem TV-Marktführer TF1 – mehrheitlich im Besitz des Baukonzerns Bouygues – bezeichnet er als "nicht so kapitalmarktgetrieben wie manche andere Gruppe". Sie sei an "gesundem, nachhaltigem Wachstum" interessiert und gebe ihrer deutschen Beteiligung die "nötige Zeit". Das ist vor allem deshalb von Belang, weil Investoren im Produktionssektor ihre Wachstumsziele der letzten Jahre aufgrund der gesunkenen Nachfrage zurückschrauben mussten. Seine erste Serie hatte Heisler kurz vor dem Einstieg der Franzosen gestemmt: das mitten in der Pandemie gedrehte 18-Millionen-Euro-Projekt "Funeral for a Dog" für Sky. Die achtteilige Romanverfilmung bedeutete für die zuvor eher im Arthouse-Kino erfahrene Flare Film eine völlig neue Spielwiese.
Leider hat Comcast "Funeral for a Dog" und andere deutsche Serien komplett vom Markt genommen. Es gibt sie nirgendwo zu sehen.
Martin Heisler, Geschäftsführer von Flare Film und Spark Studios
"Es war Marcus Ammon bei Sky zu verdanken, dass wir als relativ kleine Firma ein solches Projekt verantworten durften", erinnert sich Heisler. In der Boomzeit, als immer mehr Plattformen gar nicht genug Seriennachschub bekommen konnten, war freilich auch klar, dass ein unabhängiges Haus mit damals knapp 37.000 Euro Bilanzgewinn und acht festen Mitarbeitern nicht in der Lage sein würde, auf Dauer eine höhere Schlagzahl zu liefern. Bei Heisler persönlich kam noch der Ehrgeiz dazu, den eigenen Werken mehr Reichweite zu verschaffen, was ebenfalls mehr Investitionskraft erforderte: "Wir haben in der Vergangenheit einige sehr gute Filme gemacht, von denen nicht alle so viel Publikum erreicht haben, wie ich mir das gewünscht hätte. Der Rückhalt eines internationalen Netzwerks macht es jetzt möglich, dass wir unseren Sweet Spot zwischen Arthouse-Kino und mainstreamtauglichem Fernsehen konsequenter verfolgen."

Inzwischen geht Heislers Blick vor allem nach vorn. Über "Westend Girl" hinaus sind eine Handvoll weiterer Serien in Entwicklung. In diesem Jahr werden noch ein "Tatort" sowie die Filme drei und vier der ARD-Mystery-Krimireihe "Wäldern" mit Rosalie Thomass als Hobbydetektivin Lara Glanz gedreht, voraussichtlich nächstes Jahr folgt fürs Kino die Verfilmung der Kinderbuchreihe "Zippel, das wirklich wahre Schlossgespenst". Nach dem Doku-Erfolg mit dem ZDF-Vierteiler "The Wagner Brothers", der die Berliner NBA-Stars Moritz und Franz Wagner begleitete, hat Flare Film die Dokuserie "Mesut Özil: Zu Gast bei Freunden" in der Mache, die 275.000 Euro Produktionsförderung vom Medienboard erhielt.
Dass die französische Mutter ihren Fußabdruck im deutschen Markt gern noch vergrößern würde, ist in der Branche ein offenes Geheimnis. Auch dieses Bestreben ist Teil von Heislers Mission. Studio TF1 hält seine 51-Prozent-Beteiligung nicht an der Flare Film direkt, sondern an der deutschen Zwischenholding Spark Studios. Die restlichen 49 Prozent gehören nach wie vor Heisler, der damit an jedem Neuerwerb beteiligt ist. Anfang 2024 fädelte er eine 60-Prozent-Beteiligung an der Berliner Dog Haus Filmproduktion ("Der Greif", "Tatort") von Erol Yesilkaya und Sebastian Marka ein. Mit Autor und Regisseur Henk Handloegten ("Babylon Berlin") hat Spark Studios einen Slate-Deal vereinbart. Für weitere kreative Start-ups oder etablierte Produktionsfirmen ist die Gruppe dem Vernehmen nach offen.
Mehr als genug zu tun, sollte man also meinen. Warum hat Heisler sein Ehrenamt im Vorstand der Filmakademie, dem er seit 2019 angehört, dann noch ausgeweitet und sich im April zum Vorsitzenden wählen lassen? Die Antwort kommt ohne Zögern: "In meiner Arbeit als Produzent bin ich immer wieder an gläserne Decken gestoßen. Man fragt sich zum Beispiel, warum man diesen Auftrag oder jene Förderung nicht bekommen hat, warum man aus Kostengründen etwas im Ausland drehen muss, was eigentlich vor der eigenen Haustür spielt. Mir geht es deutlich besser, seit mir klar ist, dass man sich nicht nur passiv treiben lassen muss – man kann die Umstände selbst mitgestalten. Diese Verantwortung nehme ich mit großer Freude und Überzeugung wahr."
Während die Produktionsallianz momentan ohne CEO dasteht, weiß sich die Zunft immerhin an der Akademiespitze von einem engagierten filmpolitischen Fürsprecher vertreten. An Wolfram Weimers geglückten Filmpreis-Einstand wird Martin Heisler bald anzuknüpfen wissen. Schließlich sähe das Gros der Produktionswirtschaft die unvollendete Filmförderreform von Weimers Amtsvorgängerin Claudia Roth lieber heute als morgen komplettiert. "Es gibt ein sinnvolles Reformkonzept", so Heisler, "das von der Branche relativ einheitlich mitgetragen wird, aber bislang nicht vollständig umgesetzt wurde. Damit hat die Politik Unsicherheit geschaffen. Natürlich hoffen wir alle, dass die neue Regierung die Reform schnellstmöglich in die Hand nimmt."