Die Stimmung im Norden Madrids könnte nicht besser sein - und das liegt nicht am strahlenden Sonnenschein. Brendan Fitzgerald, CEO von Secuoya Studios, steht auf der Dachterrasse seines Unternehmens mit Blick über die zwölf Soundstages, also Studiohallen, des schicken neuen Areals der Madrid Content City. An einigen davon, ebenso wie am Bürogebäude nebenan, prangt ein großes rotes N: Hauptmieter des Studio-Komplexes eine halbe Stunde nördlich von Madrid ist der US-Streamingdienst Netflix, der nicht nur seine spanische Zentrale hierhin verlegt hat, sondern in den Studios u.a. Teile der Serien „Haus des Geldes“, „Elite“ sowie den Film „Die Schneegesellschaft“ drehen ließ.

Wir sind zu Besuch bei der Secuoya Content Group und der aktuell vielleicht größten Wette im europäischen TV-Geschäft, irgendwo zwischen Optimismus, großer Ambition und kühnem Traum. Im Norden Madrids hat die Firmengruppe in den vergangenen Jahren die Madrid Content City gebaut bzw. baut genau genommen immer weiter. Es ist der größte Produktionskomplex für Film und TV in der Europäischen Union, muss sich nach Studiofläche in Europa nur den Pinewood Studios in Großbritannien geschlagen geben. Mit auf dem Gelände: Eine private Hochschule für die Ausbildung des Nachwuchs', ein Mercadona-Supermarkt, Sporteinrichtungen und sogar mehrere Restaurants.

Madrid Content City © Secuoya Content Group
 

Gebaut werden gerade auch Unterkünfte - für Studierende wie auch Produktionscrews. Ein Neubau von Kapazitäten in dieser Dimension erlebte der deutsche Markt zuletzt vor fast 30 Jahren mit dem Coloneum in Köln. Es ist ein großes Areal, diese Madrid Content City. Und doch ein Konzept der kurzen Wege: Zwischen dem spanischen Netflix-Office und den vom Streamer angemieteten Soundstages liegt nur ein Kreisverkehr, die gastronomische Infrastruktur macht ein Verlassen das Geländes nicht nötig, Platz für temporäre Dienstleister gibt es in den an die Soundstages angegliederten Räumlichkeiten.

No risk, no Wachstum? Ein Dienstleister geht ins Risiko

Und der Nachwuchs lernt gleich nebenan praxisnah oder darf, wenn der spanische Starregisseur Pedro Almodóvar auf dem Gelände filmt, auch täglich eine Stunde Mäuschen spielen bei den Dreharbeiten. Man ist sehr stolz auf das, was hier aus dem Boden gestampft wurde und macht aus den großen Ambitionen keinen Hehl. Mit der Gründung der Tochterfirma Secuoya Studios vor vier Jahren, mitten in der globalen Corona-Pandemie, will die 2007 von Raúl Berdonés (Foto) gegründete Firmengruppe ins Produktionsgeschäft einsteigen und schon jetzt macht es 50 Prozent der Umsätze der gesamten Gruppe aus. Ein Wandel vom Dienstleister zum Studio nach Hollywood-Vorbild - inklusive unternehmerisches Risiko.

Raúl Berdonés © Secuoya Content Group

Berdonés ist ein charismatischer Unternehmer, der „großes globales Potential“ in dem sieht, was Brendan Fitzgerald mit Secuoya Studios für ihn ausbauen soll. Seine Ansage, frei von Ironie und voller mit Überzeugung: „Wir wollen führend sein im fiktionalen Markt in Europa“. Er stützt sich dabei auf die Zahlen und Fakten der vergangenen Jahre. Beim Produktionsvolumen für globale Streamingdienste liegt Spanien seit 2023 auf Augenhöhe mit Großbritannien und im Vergleich mit allen EU-Märkten vorn. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die mit einer überraschenden Kultserie begann: Dass Netflix die spanische Serie „Haus des Geldes“ übernommen hat, war der Türöffner für den aktuellen Boom spanischer Produktionen, sagt Berdonés. 

Susanne Frank © ZDF Studios
Und er ist damit nicht allein. Die Beobachtung, dass Spanien als Produktionsland boomt, teilen einige deutsche Expert*innen für europäische TV- und Filmproduktion. Und insbesondere durch eine politische Rückendeckung und entsprechender Unterstützung von der die Branche in Deutschland weiterhin nur träumen kann. DWDL.de hat sich umgehört bei deutschen Produktions- und Distributionshäusern mit Erfahrung im spanischen Markt. „Das Förderprogramm ist sowohl für spanische Produktionen als auch für die Finanzierung internationaler (Ko-)Produktionen sehr attraktiv. Gerade in der aktuellen Rezession sind solche steuerlichen Anreize besonders hilfreich und unterstützend“, sagt etwa Susanne Frank. Sie ist Managerin Drama bei ZDF Studios, wo man in diesem Jahr mit „Weiss & Morales“ eine große deutsch-spanische Koproduktion vertreibt. „Und darüber hinaus sind die Produktionskosten in Spanien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedriger.“ 

Christian Gockel © Beta Film
Auch Christian Gockel, EVP International Operations, Spain and Portugal bei Beta Film hebt „vergleichsweise geringe Produktionskosten bei hoher Produktionsqualität und kurze Produktionszeiten; außerdem das attraktive Förderungssystem“ hervor. Das locke mit Steuervorteilen viele Produktionen an. Beta Film kennt Spanien ebenfalls gut, investierte in Serien wie „Polseres Vermelles“ (bei uns „Club der roten Bänder“), „Grand Hotel“ oder "Velvet“ lange bevor Netflix aufmerksam wurde auf Fiction aus Spanien, „wo es eine hohe Anzahl an Kreativen gibt, die von Beginn an mit Blick auf den internationalen Markt produzieren, was zu einer hohen Qualität führt und für uns die weitere Auswertung attraktiv macht“, so Gockel. Zu den großen Erfolgen aus Spanien gehörte zuletzt auch die Glossy Teenie-Soap „Elite“ oder der in der Madrid Content City gedrehte Film „Die Schneegesellschaft“ sowie die im April bei Netflix gestartete Serie „Der Gärtner“. Ein weiteres Beispiel eines anderen Anbieters ist der Film „Culpa Mia“ bei Prime Video, der knapp 80 Prozent der Aufrufe außerhalb von Spanien erzielt hat. 

Ein doppelter Boost für den Standort Spanien also: Einerseits sorgen all diese Produktionen für eine neue Sichtbarkeit und Prominenz von spanischen Talents vor und hinter der Kamera. Andererseits macht die gezielte Stärkung der lokalen Kreativwirtschaft durch Steueranreizmodelle Produktionen in Spanien seit fünf Jahren deutlich attraktiver. Genau daran will Secuoya-Gründer Raúl Berdonés mitverdienen und das nicht nur als Vermieter von Netflix. Für weiteres Wachstum setzt Secuoya Studios-CEO Brendan Fitzgerald (Foto), der Studio-Erfahrung von Sony Pictures mitbringt und einst auch schon mal für Beta Film arbeitete, auf eine ambitionierte Initiative. 

Secuoya Studios © Secuoya Content Group

In einigen europäischen aber auch lateinamerikanischen Märkten setzt man auf lokale Pods - kleine Crews vor Ort - die mit Kenntnis des lokalen Marktes mögliche Projekte für Koproduktionen identifizieren sollen. Das Ziel: Sich an Projekten zu beteiligen, die in ihrem Heimatmarkt schon einen Auftraggeber bzw. Abnehmer haben, aber noch Finanzierungslücken schließen müssen. Dort will Secuoya Studios gegen ein Stück vom Kuchen einspringen, vorausgesetzt die Produktionen werden zu einem gewissen Prozentsatz in der Madrid Content City produziert. Laut Secuoya-Gründer Raúl Berdonés und seinem CEO Pablo Jimeno stellt man dafür gut 100 Millionen Euro zur Verfügung - und will nun auch in Deutschland Ausschau halten nach Produktionen, an denen man sich beteiligt.

Ein Studio-Betreiber, der ins Risiko geht statt nur Infrastruktur zu vermieten oder als Dienstleister zu agieren? Ein Konzept, das uns gedanklich kurz zurückbringt zum schon einmal erwähnten Coloneum in Köln, wo Betreiber MMC Studios unter der Geschäftsführung von Jens Wolf vor zwei Jahren noch zu einem ähnlichen Abenteuer aufbrechen wollte, um aus der Dienstleister-Rolle heraus zum Studio nach US-Vorbild zu werden. Doch diese Ambitionen in Köln wurden durch personelle Veränderungen weitgehend kassiert. Aber auch im Norden von Madrid muss sich die schöne Theorie erst noch in der Praxis bewähren. 

Madrid Content City © Secuoya Content Group

Bislang sind 99 Prozent der Produktionen auf dem Gelände spanischsprachig. Perspektivisch hofft Secuoya Studios-CEO Brendan Fitzgerald, dass mehr als die Hälfte des Umsatzes von nichtspanisch-sprachigen Produktionen auf dem Gelände kommen soll. Da zeigt sich dann das Ausmaß der Ambitionen sehr deutlich, aber gut: Das Werben um ausländische Produktionen hat auch gerade erst begonnen. Man gewährleiste in der Madrid Content City eine problemlose, englischsprachige Produktionsumgebung, versichert Fitzgerald. Und neu ist ohnehin fast alles auf dem Gebäude, von den Studios über Postproduktions-Möglichkeiten bis zur Ausstattung der privaten Hochschule.

Vier Faktoren für den Produktionsboom in Spanien

Die Lernkurve dürfte auf jeden Fall steil sein, angesichts der Explosion des Produktionsvolumens in der Madrid Content City. 2024 waren es noch eine handvoll Serien, dieses Jahr sollen hier 20 serielle Projekte realisiert werden, wobei da Netflix-Produktionen in den dauerhaft vom Streamer angemieteten Soundstages nicht einmal eingerechnet sind. „Die Stimmung ist hier viel besser als im Rest von Europa und sicherlich auch besser als in den USA“, sagt Brendan Fitzgerald beim Blick auf das Gelände. Man spürt etwas, was selten geworden ist: Zuversicht. Konkret würden vier Aspekte Secuoya bei der neuen Positionierung in die Karten spielen. Neben den steuerlichen Anreizmodellen für Produktionen in Spanien, dem sicherlich naheliegendsten Impuls, gebe es drei internationale Faktoren. 

Die Corona-Pandemie und damit einher gehende Produktionsbeschränkungen u.a. in Hollywood haben dazu geführt, dass zur Deckung von Programmbedarf viele Sender und Streamingdienste rund um die Welt plötzlich auch andere Märkte in den Blick genommen haben. Die Dominanz von Hollywood bekam erste Risse. Als dann noch 2024 der Doppelstreik Hollywood gänzlich lahmlegte, schauten sich manche Unternehmen nicht mehr nur inhaltlich sondern auch produktionstechnisch nach Alternativen um. Davon hat Spanien als Produktionsstandort profitiert, ebenso wie zuvor schon vom Brexit: Weil sich die EU-Quote von 30% europäischer Produktionen für globale Streamingdienste nicht mehr mit britischen Produktionen erfüllen lassen.

Seriencamp Conference © Seriencamp
Bei der Seriencamp Conference in Köln, dem größten Fachtreffen der Serien-Branche in Deutschland, stehen in dieser Woche bei zahlreichen Sessions europäische Koproduktionen im Fokus. Eine an sich nicht neue Disziplin, die gerade aber wieder mal eine Renaissance erfährt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist sie auf der kollektiven Suche nach Sparpotential und Förderungen diesmal vielleicht geschäftlich relevanter als inhaltlich.  ZDF Studios, ohnehin Hauptsponsor der Seriencamp Conference, aber auch Beta Film sind in Köln vor Ort - ebenso wie Secuoya Studios-CEO Brendan Fitzgerald.