Die Idee klingt so einleuchtend, dass man sich wundert, warum noch niemand früher darauf gekommen ist: Hamburgs größter Produzent verfilmt Hamburgs größtes Wahrzeichen. Die Rede ist weder vom Michel noch von der Elbphilharmonie. Im ganzen Land gibt es laut einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus keine beliebtere Sehenswürdigkeit als das Miniatur-Wunderland in der Hamburger Speicherstadt. Um anderthalb Millionen Besucher jährlich zu bewältigen, hat es an 365 Tagen meist von sieben Uhr morgens bis ein Uhr nachts geöffnet.

Wenn das keine filmreife IP ist. Nachdem Studio Hamburg mit seiner Tochter Letterbox vor fünf Jahren eine Folge des Krimi-Klassikers "Notruf Hafenkante" inmitten der weltgrößten Modelleisenbahnanlage spielen ließ, denkt man jetzt richtig groß: Geplant ist eine internationale Koproduktion fürs Kino im stark nachgefragten Genre Family Entertainment. Die Story, die "Hui Buh"- und "Pfefferkörner"-Autor Dirk Ahner erdacht hat, lässt den zehnjährigen Matteo mitsamt seiner Patchwork-Familie auf magische Weise geschrumpft im Miniatur-Wunderland aufwachen, wo sie sich auf die Suche nach dem verschollenen Großvater begeben und allerlei Abenteuer erleben. 2026 soll gedreht werden.

Der touristischen Erfolgsspur scheint der Tochterkonzern des NDR auch tausend Kilometer weiter südlich zu folgen. Seit Anfang Juli ist die Studio Hamburg Production Group (SHPG) an der Südtiroler Produktionsfirma Albolina Film beteiligt. Nach der 2016 eröffneten Studio Hamburg UK in London ist Italien damit der zweite Auslandsmarkt für die Gruppe. Vom bisherigen Alleingesellschafter, dem Bozener Buchverlag Edition Raetia, hat die SHPG 50 Prozent der Albolina-Anteile übernommen. Man kennt und schätzt sich seit Jahren: Albolina produziert nicht nur eigene Filme, sondern ist als Serviceproduzent für ausländische Firmen, die in Italien drehen, auch darauf spezialisiert, den italienischen Tax Credit und mögliche Regionalförderung von der IDM Südtirol zu besorgen. Gemeinsam realisierte man bereits Filme wie "Urlaub mit Mama", "Die Pfefferkörner und der Fluch des schwarzen Königs" oder jüngst auf Sizilien das ARD-Degeto-Melodram "Niemand ist du" mit Ann-Kathrin Kramer. Und seit diesem Jahr verbindet die Partner noch ein weiteres Projekt: der "Bozen-Krimi" der ARD Degeto, den die Letterbox von der Firma des langjährigen Produzenten Eberhard Jost übernommen hat.

Studio Hamburg auf einen Blick

  • Umsatz 2024: 333,2 Millionen Euro (Platz 3 der DWDL.de-Produktionsriesen)

  • Gesellschafter: NDR Media

  • Geschäftsführer: Johannes Züll

  • Produktionsfirmen: 307 Production, Albolina Film, AlwaysOn Production, Amalia Film, Doclights, doc.station, Eco Media, Friday Film, Klingsor Media, Letterbox Filmproduktion, Nordfilm, Polyphon, Real Film Berlin, Riverside Entertainment, Studio Hamburg Serienwerft, Studio Hamburg UK

  • Produktionen 2025 (Auswahl): Call My Agent Berlin (Disney+); Das Traumschiff (ZDF); Der Bozen-Krimi (ARD); Der Quiz-Champion (ZDF); Der Usedom-Krimi (ARD); Die Kanzlei (ARD); Ein Fall für Conti (ZDF); Großstadtrevier (ARD); Miss Merkel – Ein Kreuzfahrt-Krimi (RTL); Neuer Wind im Alten Land (ZDF); Notruf Hafenkante (ZDF); Praxis mit Meerblick (ARD); Soko Wismar (ZDF); Tatort (ARD), WaPo Elbe (ARD); Zwei Frauen für alle Felle (ARD)

Dennoch stehen die Zeichen nicht auf Wachstum, eher im Gegenteil. Die Studio-Hamburg-Gruppe ist 2024 in der Konzerngesamtleistung um knapp sechs Prozent auf 324,6 Millionen Euro zurückgefallen, der Umsatz blieb mit 333,2 Millionen Euro nahezu stabil. Das Vorsteuerergebnis sank um knapp neun Prozent auf 11,3 Millionen Euro. "Wir hatten jedoch sehr vorsichtig geplant und haben den Plan deutlich übertroffen", sagt Studio-Hamburg-Chef Johannes Züll dem Medienmagazin DWDL.de. "Damit konnten wir trotz eines herausfordernden Marktumfelds ein solides Ergebnis erwirtschaften. Und es ist uns nun über die Jahre gelungen, unser Eigenkapital deutlich zu steigern und unsere Bankverbindlichkeiten stark zu reduzieren." Fürs laufende Geschäftsjahr rechnet Züll mit "weiter sinkenden Umsätzen und einer abnehmenden Gesamtleistung, allerdings unter erhöhtem Ergebnisdruck". Die anhaltende Konsolidierung im Produktionsmarkt sowie steigende Kosten in nahezu allen Bereichen zögen große Herausforderungen nach sich. Dennoch werde man auch 2025 mit einem "soliden Ergebnis" abschließen.

WaPo Elbe © ARD/Rudolf Wernicke Effizienz am Vorabend: Die ARD-Serie "WaPo Elbe" von Klingsor ist ein Beispiel für Kostendisziplin
Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, wie der Ende Juli veröffentlichte NDR-Geschäftsbericht die eigene Verantwortung für die Rückgänge bei Studio Hamburg erklärt: "Das Auftragsvolumen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sinkt", heißt es dort, was mit der Unsicherheit über die noch nicht verabschiedete Beitragserhöhung begründet wird. Und weiter: "Die öffentlich-rechtlichen Sender setzen bei neuen seriellen Entwicklungen auf preiswertere Formate, die vor allem im Vorabend mittelfristig etablierte Serienformate ablösen sollen. Freiwerdende Mittel werden verstärkt in Formate investiert, die ein jüngeres Publikum über die Mediatheken erreichen sollen." Mit Langläufern wie "Großstadtrevier", "Notruf Hafenkante", "Soko Wismar" oder "WaPo Elbe" ist der Vorabend für die Produktionstöchter von Studio Hamburg eine entscheidende Zone, wo man Effizienz und Produktionsvolumen hochfahren muss, wenn man den gewohnten Ertrag halten will.

 

Eine strukturelle Trennung von Produktions- und Studiogeschäft, wie sie Bavaria Film plant, haben wir schon vor vielen Jahren umgesetzt.
Studio-Hamburg-CEO Johannes Züll

 

Die Geschäftsführer der drei Einheiten – Michael Lehmann bei der SHPG, Beatrice Kramm bei der Polyphon und Jan Diepers bei der Studio Hamburg Serienwerft – stemmen sich mit einer Fülle von Initiativen gegen den wachsenden Druck. Lehmann hat der Gruppe nicht nur zusätzliche Filmreihen wie den "Bozen-Krimi" oder die in diesen Tagen in der ARD anlaufenden "Zwei Frauen für alle Felle" gesichert, sondern Anfang des Jahres auch die Bündelung der gemeinsamen Doku-Firmen mit ZDF Studios unter dem Dach der Doclights eingefädelt (DWDL.de berichtete). Dort gibt es mit Jan Holtz einen neuen starken Mann: Der Geschäftsführer der Eco Media führt nun auch die Mutterfirma an der Seite der langjährigen Doclights-Chefs Michaela Hummel und Jörn Röver.

Kramm, die unlängst das 60-Jährige der Polyphon feierte, sprach im DWDL.de-Interview vom Effizienzkurs ihrer "WaPo Elbe" und liebäugelte mit einer hochfrequenten Sat.1-Vorabend-Soap. Diepers wiederum hat die "Roten Rosen" seit Mai inhaltlich und produktionstechnisch neu aufgestellt – inklusive massiver Reduktion des Stromverbrauchs (DWDL.de berichtete). Johannes Züll nennt zwei weitere wichtige Leistungen aus dem laufenden Jahr: dass OneGate Media das Einkaufs- und Vertriebsmandat für das Schweizer Fernsehen ab 2026 gewonnen habe und dass es Studio Berlin gelungen sei, für die vorgezogene Bundestagswahl im Februar kurzfristig die nötigen Studio- und Produktionskapazitäten hochzufahren. Aber: "Die Nachfrage nach Projekten in den Studios stockt, das betrifft auch unseren Atelier- und Bühnenbau."

Kaum vermeidbar ist in diesen Tagen, dass der gespannte Blick aus Hamburg-Tonndorf in Richtung Grünwald-Geiselgasteig geht, zum anderen großen ARD-Tochterstudio. Könnte die geplante Aufspaltung der Bavaria Film indirekt auf Studio Hamburg abfärben? Dort hat man bereits die zwei Units, die die Münchner Kollegen anstreben. "Eine strukturelle Trennung von Produktions- und Studiogeschäft, wie sie Bavaria Film plant, haben wir schon vor vielen Jahren umgesetzt", so Züll. "Wir sehen aber – scheinbar anders als die Bavaria Film und ihre Gesellschafter – strategische Vorteile, beide Bereiche aktiv zu managen und als jeweils wichtige Bestandteile der Studio Hamburg Gruppe weiter zu betreiben und zu entwickeln." Beide Geschäftsfelder trügen zum Wert der Gruppe bei, die Holdingstruktur mit der Studio Hamburg GmbH erlaube es, "zielgerichtet und kostenoptimal" Services für beide Geschäftsbereiche bereitzustellen. "Gleichwohl", fügt Züll noch an, "beobachten wir die Entwicklungen mit Interesse."

Produktionsriesen um Umbruch – bisher erschienen