Die Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Media for Europe (MFE) ist auch deshalb spannend, weil sich zwei gegensätzliche Ansätze gegenüberstehen. Während die Italiener dabei sind, eine paneuropäische TV-Allianz zu formen, hat sich die RTL Group zuletzt aus einigen Märkten zurückgezogen, um in anderen zu investieren und "nationale Champions" aufzubauen. In Deutschland investiert man kräftig - und so wird sich wohl nicht zuletzt hierzulande entscheiden, welche der beiden Strategien mittel- und langfristig größeren Erfolg verspricht. 

MFE und RTL Group stehen sich in Deutschland erstmals in einem großen Rahmen gegenüber. Es ist aber längst nicht so, als hätten die beiden Konzerne noch nie Berührungspunkte gehabt. In Spanien etwa ist das auch heute schon der Fall, wenn auch in einem viel kleineren Rahmen. MFE ist schon seit den 80er Jahren in Spanien aktiv und hat seine Gruppe Mediaset España in den zurückliegenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut. Seit wenigen Jahren ist das spanische Geschäft eine vollständige MFE-Tochter. 

Auf der anderen Seite steht im spanischen Markt die Sendergruppe Atresmedia, allen voran mit ihren beiden Hauptsendern Antena 3 und laSexta. An Atresmedia ist die RTL Group beteiligt. Zuletzt wurde die Beteiligung etwas zurückgefahren, das Unternehmen hält aber immer noch rund 15 Prozent der Atresmedia-Anteile. MFE und RTL Group stehen sich in Spanien also bereits seit Jahren indirekt gegenüber - nun wird daraus in Deutschland ein direktes Duell. 

Der spanische Markt dürfte den Mailändern ein warnendes Beispiel sein - und zugleich den Verantwortlichen in Unterföhring Hoffnung machen. Die Geschichte von Mediaset España ist nämlich durchaus mehrschichtig. Die Gruppe hat mit ihren Sendern Telecinco und Cuatro (zur Gruppe gehören auch eine Reihe von Spartenkanälen) lange gutes Geld verdient, weil man mit einem vergleichsweise günstigen Programm lange sehr hohe Quoten eingefahren hat. Allerdings: Es mangelte an Innovationen, irgendwann gingen die Quoten zurück - und mit ihnen die Werbeeinnahmen. Eine echte Alternative hat die Gruppe bislang nicht gefunden. Ein Medienmanager mit Einblick in den spanischen Markt sagt gegenüber DWDL.de, Telecinco sei "zu Tode gespart" worden.

"Mediaset Spanien wird nicht aus Mailand heraus geführt"

Vor wenigen Jahren startete man einen Versuch, familienfreundlicher zu werden. Das hat nicht den erhofften, nachhaltigen Erfolg gebracht - und auch hier gibt es eine Parallele mit RTL in Deutschland. Auch die Kölner wollten ihr Schmuddelimage vor einigen Jahren loswerden, sogar Dieter Bohlen wurde unter Chief Content Officer Henning Tewes vor die Tür gesetzt. Der erhoffte Erfolg blieb aus, später folgte die Rolle rückwärts: Dieter Bohlen kehrte zurück und die neue Senderchefin Inga Leschek propagierte, dass ein Sender wie RTL auch Ecken und Kanten haben müsse.

Während Mediaset España im MFE-Kosmos also lange ein Vorzeige-Tochterunternehmen war, hat sich das zuletzt durch die fehlenden Innovationen ein Stück weit geändert. Den MFE-Verantwortlichen dürfte klar sein, dass man es in Deutschland bei ProSiebenSat.1 anders machen muss: Investitionen ins Programm sind essentiell, um mittel- und langfristig Erfolg zu haben. 

Gleichzeitig hatte das Management bei Mediaset España immer viel eigenen Gestaltungsspielraum und agierte an der langen Leine von Mediaset Italien. "Mediaset Spanien wird nicht aus Mailand heraus geführt", sagt ein Branchenbeobachter gegenüber DWDL.de. Auch andere Marktteilnehmer bestätigen diese Sichtweise. Dem Management bei MFE sei klar, dass die inhaltliche Gestaltung der TV-Sender in den jeweiligen Märkten passieren müsse. Das kann für ProSiebenSat.1 eine gute Nachricht sein: So lange die Zahlen stimmen, könnte sich MFE mit Interventionen zurückhalten. Blöd nur, dass ProSiebenSat.1 aktuell eher schlecht als recht durch die Krise navigiert. Tröstend ist da maximal, dass es auch vielen anderen Medienunternehmen schlecht geht und man die eigene Misere so auf die allgemeine wirtschaftliche Lage schieben kann. 

P7S1 kann hoffen - wenn die Zahlen stimmen

Geführt wurde Mediaset España über viele Jahre hinweg von Paolo Vasile, einem gebürtigen Italiener und Berlusconi-Vertrauten. Er führte die Gruppe zu ihren größten Erfolgen - und trotz seiner offenkundigen Nähe zu Silvio Berlusconi behielt er viel Eigenständigkeit. Ein Branchenbeobachter beschreibt Vasile gegenüber DWDL.de als "Sonnenkönig". Er musste 2022 gehen, als dunkle Wolken über dem Palast aufzogen. Infolge der schlechten Performance fiel Telecinco irgendwann hinter den größten Konkurrenten Antena 3 zurück - das wurde Vasile zum Verhängnis. 

Von Paolo Vasile stammt ein Zitat, das eindrucksvoll belegt, wieso Silvio Berlusconi und später auch sein Sohn Mediaset España immer an der langen Leine ließen. "In Spanien haben wir den Jamón, in Italien den Prosciutto; beide stammen vom Schwein, haben aber nichts miteinander zu tun", sagte der langjähriger TV-Manager mal. Und trotzdem wird man sich angesichts der Entwicklung der Spanien-Geschäfts in Mailand vielleicht doch die Frage stellen, ob die Freiheit, die Vasile und seine Kollegen lange hatten, zu weit ging. Das könnte Auswirkungen auf die ProSiebenSat.1-Übernahme haben. 

Auch ein Blick auf die politische Ebene bei Mediaset España lohnt sich: Ähnlich wie in Italien sind die Sender auch dort vor allem auf Unterhaltungsformate ausgerichtet. Es gibt Nachrichten, die waren nach Einschätzung von Beobachtern aber nie ein Aushängeschild. "In Spanien verfolgen die Berlusconis keine politische Agenda", sagt einer, der den Markt gut kennt. Und: "MFE will in Spanien unterhalten und damit Werbung verkaufen". Wenn, dann werde die politische Agenda im Privatfernsehen von der Konkurrenz bestimmt. "Wer in Deutschland Angst vor einer möglichen Umfärbung der Nachrichten von ProSiebenSat.1 hat, muss nur nach Spanien gucken. Das ist dort eine rein unternehmerische Geschichte", sagt ein anderer Experte. 

Am Donnerstag und Freitag werfen wir in unserer Wochenserie zur ProSiebenSat.1-Übernahme durch MFE noch einen Blick auf die unterschiedlichen Streamingstrategien der Häuser und beleuchten generell die Thematik einer paneuropäischen TV-Allianz. 

Die Wochenserie MFE x P7S1 bei DWDL.de