Das rechtspopulistische Online-Portal "Nius" und die Kurzvideoplattform TikTok werden wohl keine Freunde mehr. In der Vergangenheit blockierte der Social-Media-Dienst die Veröffentlichung von Videos der Medienmarke mehrmals; sowohl 2023 als auch 2024 lag der Account für mehrere Monate brach.

Die Antwort von Nius nach den ungewollten Zwangspausen: ein Zweitaccount namens @StimmederMehrheit_ sollte mit den gleichen Inhalten die Reichweitenflaute umgehen. Zwischenzeitlich landete das Onlinemedium damit sogar eine Platzierung in den News-Charts – aber auch da spielte TikTok nicht mit. Wenige Monate später wurde das Alternativkonto ebenfalls eingeschränkt. 

Nius / TikTok © Nius / TikTok

Mittlerweile ist der Hauptaccount des Portals, das von Milliardär Frank Gotthardt gegründet und mit Ex-"Bild"-Mann Julian Reichelt als Chefredakteur besetzt wurde, auf TikTok wieder zu erreichen. Dem Profil folgen aktuell 113.000 Personen. Allerdings hat die Marke nach wie vor ein riesiges Problem: nur etwa jedes zehnte Video erreicht trotz der hohen Bekanntheit mehr als 10.000 Aufrufe, ein Großteil der Inhalte verweilt im drei- bis vierstelligen Bereich. Virale Treffer sind eine Seltenheit. Auf Basis dessen lässt sich ein "Shadowban" für den Kanal vermuten, der nun schon seit mehr als einem Jahr und damit wohl dauerhaft besteht. Dabei wird die Reichweite von Beiträgen eingeschränkt, ohne dass das explizit sichtbar gemacht oder der Kanal darüber informiert wird.

Es folgte daraus jedenfalls ein Kurswechsel. Bereits zu Zeiten der ersten Sperren setzte Nius auf alternative Ausspielwege und kreierte mit “Stimme der Mehrheit” oder “Achtung, Reichelt!” neue Accounts mit den gleichen Nachrichteninhalten. Als Konsequenz aus den niedrigen Aufrufzahlen des Hauptaccounts scheint sich das Nachrichtenportal nun aber vollständig auf Personenmarken zu konzentrieren: Über die Kanäle von Nius-Hosts wie Julius Böhm, Helena Gebhard oder Ralf Schuler werden die gleichen Inhalte wie zuvor auf dem Hauptkonto vertrieben – sogar mit dem offiziellen Markenlogo von Nius. 

Nius / TikTok © Nius / TikTok

Die Strategie zahlt sich augenscheinlich aus: Im Vergleich zu der bisherigen Performance können die zusätzlichen Profile und Inhalte tatsächlich punkten. Das zeigt sich sowohl an der Bekanntheit (mit mehr als 202.000 Abonnements auf dem erfolgreichsten Personenkanal) als auch in der Videoreichweite (mit zahlreichen, wiederkehrenden Inhalten in Millionenhöhe). Kein anderes deutsches Medium arbeitet in dieser Weise - und so erfolgreich - mit “Privataccounts”. 

Sogenannte Newsfluencer sind dabei nicht zu unterschätzen. Der Franzose Hugo Travers vertreibt regelmäßig Nachrichten auf Social Media und verzeichnet auf seinem TikTok- und Instagram-Kanal (@hugodecrypte) insgesamt mehr als 13 Millionen Menschen. Kein anderes journalistisches Medium kann in Frankreich eine so hohe Reichweite und Interaktionskraft nachweisen. Auch in Deutschland haben wir mit Personenaccounts wie “Herr Anwalt” (7,3 Millionen Abonnements) sehr gefragte Nachrichtenquellen, die nicht stärker von klassischen Medienmarken abweichen könnten.

Im Falle von Nius stellt sich dennoch die Frage nach der richtigen Kanalart: Handelt es sich um Privataccounts, die aus eigenem Interesse die Inhalte von Nius thematisieren, so fehlt die Markierung der werblichen Videos. Gehören die Konten zu Nius selbst, so verfehlen sie beispielsweise die Impressumspflicht. 

In jedem Fall haben sie Glück. Denn das Flagging-System, mit dem TikTok einzelne Accounts im Ernstfall bestraft, überträgt sich nicht auf unabhängige Konten der gleichen Marke. Zwar führen die identischen Inhalte (wie beim Haupt- und Zweitaccounts von Nius) zu kontinuierlichen Sperren, allerdings sind die Personenaccounts davon zunächst unberührt. Aufgrund der individuellen Einzelumsetzungen haben sie aus diversen Quellen gleichzeitig die Chance auf noch mehr virale Hits. 

Ist das ein ungenutztes Potenzial für alle anderen Medienmarken? Definitiv. Social Media nicht mehr aus der klassischen Markensicht zu denken und dauerhaft die Reputation des journalistischen Mediums in den Vordergrund zu stellen, wird mit diesem Strategiewechsel revolutioniert. Die Privataccounts funktionieren deshalb so gut, weil sie bewusst keinen werblichen Anschein hegen. Sie fungieren hier als Mittel zur Diversifizierung von Ausspielwegen und bieten einen persönlichen Blick auf die bereits bestehenden Themen des Mediums. 

Gleichzeitig birgt der Fokus auf Personenaccounts auch ein Risiko. Die aufgebaute Reichweite der zusätzlichen Kanäle kann einfacher missbraucht werden oder zieht mit dem Host weiter, sobald berufliche Veränderungen anstehen. Vor allem ungeklärte Besitzverhältnisse könnten zu unschönen Problematiken heranwachsen, die Medien zuvor noch nie lösen mussten.